Alle Artikel mit dem Schlagwort: Europa

Die Meinungen der selbsternannten Osteuropa-Versteher

Es liegt etwas in der Luft… … Es ist der Meinungsstreit zum Ukrainekrieg. Die einen sind für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, die anderen finden, dass man Wladimir Putin nicht reizen darf. Die einen fordern ein Gas-Embargo, um den Druck auf Russland zu erhöhen, die anderen sind dagegen, weil sie fürchten dass dann die deutsche Wirtschaft kollabiert. Und zum Geisteszustand des russischen Präsidenten hat ohnehin jeder seine eigene Meinung. Auf Facebook, Twitter &Co. wimmelt es von selbsternannten Generälen, Strategieexperten und Osteuropa-Verstehern, die fiebrig das Kriegsgeschehen kommentieren, der Politik Ratschläge geben oder Zensuren verteilen. Man kann der Meinung sein: Das nervt. Ob zum Ukrainekrieg, zur Coronapandemie und vielen anderen Fragen: Selbstverständlich darf jede Person ihre Meinung frei äußern, jedenfalls im gesetzlichen Rahmen. Wir nennen es Meinungsfreiheit, davon lebt die Demokratie. Die Frage ist allerdings, ob man zu allem eine Meinung haben muss.  Sie stellt sich gerade in den sozialen Medien, wo heute tatsächlich jede/r fast alles öffentlich sagen kann. So ist es nicht geboten (und auch nicht klug), seine Meinung zu Dingen zu äußern, von …

Spirituelle Apokalypse

Der russische Nationalist Alexander Dugin erklärt dem Westen den Krieg. Er beruft sich auf Martin Heidegger und den italienischen Esoteriker Julius Evola. Dahinter steckt das gefährliche Projekt einer geistig-politischen Totalumwälzung – ein ontologischer Faschismus. Text: Thomas Vašek Alexander Geljewitsch Dugin hasst Amerika, den Westen, die moderne Welt, die für ihn immer mehr in Nihilismus und Dekadenz versinkt. Der 60-jährige Philosoph und Politologe träumt von einem wiedererstarkten Russland, das dem Siegeszug westlicher Werte Einhalt gebieten soll. Er beruft sich gern auf Martin Heidegger. Den Menschen im verkommenen Westen sage Heidegger nichts mehr, schreibt Dugin: Daher kann er zu uns sprechen. Dugins zweite Leitfigur ist in Deutschland bislang weniger bekannt. Es ist der italienische Kulturphilosoph und Esoteriker Julius Evola – ein protofaschistischer Rassentheoretiker und Antisemit, der die SS als heldenhaften Eliteorden verehrte, eine faschistische Rassenlehre entwickelte und ein Vorwort zu den »Protokollen der Weisen von Zion« schrieb. Der Philosoph Alexander Geljewitsch träumt von einem wieder erstarkten Russland, das dem Siegeszug westlicher Werte Einhalt gebieten soll. Dugin, Heidegger, Evola – ein auf den ersten Blick seltsames Gespann. Da ist …

Wieviel Demokratie brauchen wir?

Die Demokratie ist die am wenigsten schlechte Staatsform. Aber sie ist kein Wert an sich. Was bedeutet das für die Zukunft Europas? Text: Tobias Hürter und Thomas Vašek Am 26. September ist wieder Demokratietag in Deutschland, wie alle vier Jahre. Die Bundesbürger – oder die meisten von ihnen – machen ihre zwei Kreuzchen für die Abgeordneten des Bundestags. Es geht um Parteiprogramme, Finanzen und Familien und natürlich um Personen, allen voran um Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock. Danach ist, wenn alles gutgeht, wieder vier Jahre Ruhe. Um eines aber geht es zu wenig in diesen Monaten – um die Frage: Was tun wir da eigentlich? Was für eine Handlung ist dieses Kreuzchenmachen, in welchen Strukturen findet es statt, und ginge es vielleicht auch besser? Kurzum: Es geht zu wenig um das Wesen dessen, was wir »Demokratie« nennen, und um das Unwesen. Jeder kennt die Demokratie, aber nicht jeder versteht sie. Sie ist Stoff für dröge Sonntagsreden, Heiligtum vieler Staatsverfassungen, Vorwand für Kriege und Gewalteinsätze. Aber wovon genau spricht man, wenn man »Demokratie« sagt? …

Müssen wir Europa wollen?

Europa ist uns zur Gewohnheit geworden. Setzen wir die Idee der Gemeinschaft deshalb aufs Spiel? Haben wir überhaupt begriffen, was die EU bedeutet? Wir sind Europäer. Wir kaufen italienischen Parmesan, lieben französischen Bordeaux und fahren mal schnell über die Grenze nach Österreich. Wir zahlen in Euro. Unsere Fliesenleger kommen aus Polen. Wir studieren für sechs Semester in Venedig, arbeiten in Luxemburg oder sparen, um unseren Kindern ein Schuljahr an einer guten britischen Lehranstalt zu finanzieren. Europa ist selbstverständlich. Aber was ist Europa? Europa – das war in der griechischen Mythologie eine Königstocher, die vom Gott Zeus entführt und vernascht wurde. Europa – das ist ein Kontinent. Europa – das ist aber auch eine Idee, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs geboren wurde. Die Idee, dass es bei uns nie wieder Krieg geben darf. Es ist die Vorstellung, dass es möglich ist, unter­schiedliche, teils widersprüchliche nationale Identitäten und In­teressen demokratisch zu einen. Wenn wir von Europa ­sprechen, meinen wir auch die Europäische Union: 27 unterschiedliche Sichtweisen, zwischen denen in Brüssel in nächtelangen Sitzungen vermittelt werden …

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Wie erwachsen werden? Heft 3/2019

HOHE LUFT 3/2019 – ab 14. März 2019 im Handel! Die erste Beziehung, der erste Job, der Tod der Eltern – Erwachsen werden, das heißt für jeden von uns etwas anderes. Und doch gibt es gewisse Dinge, die für uns alle zum Erwachsenwerden dazu gehören, wie, seine Unmündigkeit abzulegen und Verantwortung zu übernehmen. Was Erwachsensein bedeutet, reflektieren wir in unserem neuen Titelessay.

HOHE LUFTpost – Die Jugend von heute

HOHE LUFTpost vom 18.11.2016: Die Jugend von heute Gerade sind die Ergebnisse der europaweiten Jugendstudie “Generation What” veröffentlicht worden, in der knapp eine Million junge Europäer aus 35 Ländern nach ihren Einstellungen befragt wurden. Eine Zahl ist mir besonders aufgefallen: Nur ein Prozent der jungen Deutschen zwischen 18 und 34 Jahren glaubt, dass das Leben ihrer Kinder im Vergleich zum eigenen Leben besser sein wird.

HOHE LUFTpost – Die Schuldenfrage

HOHE LUFTpost vom 03.07.2015: Die Schuldenfrage Die Europäische Union steckt in einer beispiellosen Krise, und schuld sind die Schulden. Die Geberländer haben Griechenland Geld geliehen, und Griechenland zahlt nicht zurück. Einfache Angelegenheit, oder? Aber näher betrachtet sind Schulden alles andere als eine einfache Angelegenheit. Der amerikanische Ethnologe David Graeber, der an der London School of Economics lehrt, hat ein dickes Buch darüber geschrieben: “Schulden – die ersten 5000 Jahre”. Darin legt er dar, wie tief unsere Gesellschaft vom Konzept der Schulden geprägt ist. Nicht nur der Handel, sondern auch Institutionen wie Familie und Freundschaft, Staat, Gesetz und Religion sind in der uns bekannten Form nicht ohne Schulden denkbar. Graebers These ist, dass ein gutes, menschliches Zusammenleben nur funktioniert, wenn die Beteiligten nicht ständig in Begriffen von Schulden denken. Zum Beispiel bei der Reparatur einer Wasserleitung. Wenn dabei einer sagt »Reich mir die Zange«, dann wird der andere nicht antworten »Und was kriege ich dafür?«, sondern ihm ohne weiteres die Zange geben. Gemeinschaft lebt von spontanem Geben und Nehmen. Schulden schaffen ein ganz anderes Klima. Sie …

Fassade hier, Fassade dort

Fassade hier, Fassade dort Europa steckt tief in der Krise. Kann die Philosophie den Alten Kontinent retten? Sie versucht es zumindest. Zwei der angesehensten deutschen Philosophen, Jürgen Habermas und Julian Nida-Rümelin, haben gemeinsam mit dem Ökonomen Peter Bofinger einen Text in der FAZ veröffentlicht, in dem sie einen Rettungsplan für Europa skizzieren. Beschwerliche Lektüre, aus der sich eine knappe Devise ziehen lässt: alles oder nichts! Entweder Europa kehrt zurück zu Nationalstaaterei samt D-Mark, Franc und Lire, oder wir machen jetzt mal richtig Ernst mit der europäischen Einigung. Die drei Denker sind natürlich für zweiteres. Sie wollen die politische Einheit tiefer in den Verfassungen verankert sehen. Dazu fordern sie ein Plebiszit, um aus der »marktkonformen Fassadendemokratie« eine echte Demokratie zu formen. So könne sich der Kontinent vom ökonomischen Kummerkind zum politischen Avantgardisten machen. Kann der geballte akademische Intellekt die europäische Einheit retten? Der amerikanische Historiker Perry Anderson bezweifelt es. In einem Essay in der Zeitschrift New Left Review greift er den »europäischen Narzissmus« von Habermas & Co. an. Anderson wirft ihnen vor, sich beim Nachdenken über Europa in einen selbstgefälligen Diskurs verstiegen zu haben, der …