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Wie schön, dass ich geboren bin!

»Liebe dich selbst, und alles wird gut« – diese Botschaft verbreitet die Ratgeberliteratur heute gern. Was aber ist »Selbstliebe«? Was unterscheidet sie von Selbstsucht? Was, wenn die allgemeinen Ratschläge zur Selbstliebe gar keine sind? Und vor allem: Liebe ich mich? Eine Selbstbefragung. Text: Greta Lührs Wir stehen in der Umkleidekabine, und meine Freundin bewundert sich selbst im Spiegel. Bewundert – ja wirklich! »Ich sehe so gut aus heute«, sagt sie, während sie sich selbst anlächelt. Meine erste Reaktion: wow! Das hört man nicht oft. Und gleichzeitig muss ich anerkennend nicken. Ich freue mich für sie. Und das sage ich ihr auch. »Ich habe da einfach Glück, ich fand mich selbst insgesamt schon immer richtig toll«, sagt sie, als wir uns auf den Heimweg machen. Und ich fange an, mich zu fragen: Darf man das, sich selbst lieben? Sollte man es vielleicht sogar viel mehr, wie es uns Lebensratgeber und die Yogalehrerin nahelegen? Und warum fühlt es sich zugleich unbehaglich an zu sagen, man liebe sich selbst? Was bedeutet »Selbstliebe« überhaupt? Der Duden bietet mir eine …

Alles fließt

Die Welt verändert sich, jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde. Und doch tun wir uns selbst oft schwer mit Veränderungen. Wie kann Wandel gelingen? Text: Greta Lührs Zum Jahreswechsel ziehen viele Bilanz: Wie war das letzte Jahr? Habe ich das getan, geschafft, ausgelebt, was ich mir vorgenommen hatte? Am Silvesterabend fällt man sich in die Arme, beflügelt vom Sektrausch, und denkt an das neue Jahr, das nun vor einem liegt – weiß und unbeschrieben. Im nächsten Jahr wird alles anders, ich ändere mein Leben! Ich werde endlich mehr Zeit für mich haben, mir ein erfüllendes Hobby suchen und mich nicht mehr so sehr unter Druck setzen. Das neue Jahr scheint verheißungsvoll. Als könnte man eine Reset-Taste drücken: Man bekommt eine neue Chance. Alle Altlasten sind (kurz) wie weggeblasen, alles scheint möglich. Doch dieses Gefühl hält höchstens ein paar Wochen an. Schnell kehrt der Alltag zurück und mit ihm die Erkenntnis, dass die Zeit gar keinen Sprung gemacht hat, sondern einfach weitergelaufen ist. Der Neuanfang war doch keiner, sondern nur ein weiteres Glied in der Kette. …

Gehirnimplantate – Krankheit als Einfallstor?

Die Furcht vor einem „Brave New World“-Szenario sei durchaus gerechtfertigt, findet unser Gastautor Manuel Güntert. Und zwar gerade weil es wahrscheinlich ist, dass Menschen sich im Zweifelsfall für technische Möglichkeiten entscheiden würden. Daher sei jetzt ein guter Zeitpunkt, sich wichtigen Fragen zu stellen. Ein Essay über Gehirnimplantate, moralische Fragen und darüber, was heute schon möglich ist. Text: Manuel Güntert Am 16. August 2022 hat das World Economic Forum WEF auf seiner Website einen Artikel von Kathleen Philips, der Vizedirektorin des R&D Technologiekonzerns, publiziert. Dieser beschreibt, wie Erweiterungstechnologien die Art, wie wir (zusammen-)leben, grundlegend verändern können. Umgehend und fast ausschließlich ist er von alternativen Medien aufgegriffen worden. Dort ist er, äußerst vorsichtig ausgedrückt, nicht nur wohlwollend besprochen worden. Das wiederum hat das offenbar sensible WEF veranlasst, die ursprüngliche Version mit einer Warnung vor gezielten Fehlinterpretationen und Fehlinformationen zu versehen. Was nun hat den Anlass zu diesem kleinen Sturm im alternativen Wasserglas gegeben? Zäumen wir das Pferd von hinten auf. Der Artikel schließt mit den Worten, dass es um Technologie geht, die uns unterstützt und die imstande …

Das neue Sonderheft 2/2022 ist da!

Der Mensch im Mittelpunkt. Was der digitale Wandel des Gesundheitswesens für uns bedeutet Text: Rebekka Reinhard Die digitale Transformation revolutioniert das Gesundheitswesen. Von Sensoren und Apps über internetbasierte Services bis hin zu mächtigen Healthcare-Plattformen wie Amazon oder Google: Neue digitale Gesundheitsservices verändern Prävention und Therapie, die Arzt-Patient-Beziehung und unseren Umgang mit Gesundheitsfragen überhaupt – und sie stellen eine starke Konkurrenz für etablierte Anbieter dar. Zugleich verschmelzen digitale Healthcare-Angebote mit den Bereichen Fitness, Wellness, Beauty und New Work. Das deutsche Gesundheitswesen hinkt bei der Digitalisierung immer noch hinterher. Als Hindernisse gelten organisatorische Trägheit und Datenschutzbedenken.  Die Entwicklung wirft aber auch ganz grundsätzliche philosophische, gesellschaftliche und politische Fragen auf: Wieviel Privatsphäre sind wir bereit, für unsere Gesundheit zu opfern? Wieviel Selbstbestimmung und Individualisierung im Gesundheitsbereich wollen wir? Droht die digitale Gesundheitsdiktatur – oder stärkt »Digital Health« Freiheit und Demokratie? In unserem neuen Sonderheft, das in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse entstand, liefern wir Anregungen für eine fundierte Reflexion all dieser Veränderungen – und inspirieren dazu, über das eigene Gesundheitsbewusstsein neu nachzudenken. Renommierte Expert:innen wie die Vorsitzende des Deutschen …

Frauen. Leben. Freiheit.

Es flattert etwas durch die Luft… Text: Lena Frings  … es sind Haarsträhnen. Unter Lebensgefahr laufen Frauen (und Männer) gerade über die Straßen iranischer Städte, klettern auf Container, halten Bilder von Jîna Mahsa Amini in die Luft, ziehen ihre Hijabs vom Kopf und rufen: „Zan, Zendegi, Azadi!“ Vielleicht geht es Ihnen wie mir und diese Bilder und Worte lösen eine Gänsehaut bei Ihnen aus. Vielleicht fragen auch Sie sich, wo diese Frauen den Mut hernehmen. Die Journalistin Gilda Sahebi zitiert die Slogans der Protestierenden und dadurch wird mir etwas klarer. „Wenn wir nicht alle gemeinsam sind, dann zerstückeln sie uns einer nach dem anderen“, sollen Menschen während der Proteste rufen. Und das trifft wohl eine bittere Wahrheit. Die Philosophin Hannah Arendt (1906 – 1975) setzt sich in ihrem Essay „Macht und Gewalt“ mit den gleichnamigen Phänomenen auseinander. Dort heißt es: „Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält.“ Tatsächlich protestieren gerade im Iran alle gemeinsam. Da sind Ölarbeiter, Schülerinnen, Kurd:innen, Frauen und …

All inclusive: Wie China die Welt denkt

China gilt längst als neue Supermacht. Doch was wissen wir eigentlich über dieses Land und sein Denken, seine Ideologie? Kann Konfuzius helfen, das Reich der Mitte zu verstehen? Welche Rolle spielt Chinas Philosophietradition im nationalen Selbstverständnis? Text: Rebekka Reinhard Die Chinesen? Leben in einer Diktatur, haben uns Covid-19 beschert, kaufen uns auf und überwachen uns! Das Image Chinas im Westen ist nicht das beste. Großprojekte wie die »Neue Seidenstraße«, das geplante Sozialkredit-System und die Metaplattform Alibaba zeugen von einem aus europäischer Sicht beängstigenden Selbstbewusstsein. Man fürchtet sich vor einer neuen Weltmacht mit globalem Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Kultur, die der alten Superpower USA das Wasser abzugraben droht. Doch was wissen wir eigentlich über Chinas Denken, seine Weltanschauung, seine Sprache? Viel zu wenig. Was wissen wir speziell über den Konfuzianismus, in dem sich Moral und Politik vermengen und der für das chinesische Selbstverständnis von großer Bedeutung ist? So gut wie nichts. UNSERE IGNORANZ GRÜNDET auch auf eurozentristischen Vorurteilen, die uns ernst zu nehmende zivilisatorische Errungenschaften reflexhaft im Abendland verorten lassen. In einer Welt, in der …

Es war einmal

Manche Statistiker behaupten, man müsse einen Affen nur lange genug vor einer Schreibmaschine sitzen lassen, und irgendwann werde er den Text von »Hamlet« tippen. Im Jahr 2002 probierten es englische Forscher aus und stellten einen alten Computer in ein Gehege mit sechs Schopfmakaken. Die Affen umringten den Computer, streichelten ihn, bewarfen ihn mit Steinen, bissen hinein und entleerten sich auf ihn. Nach einer Weile verstanden sie die Sache mit den Tasten und den Buchstaben und begannen zu tippen. Das Ergebnis veröffentlichten die Forscher in einem Band mit dem Titel »Notes Towards the Complete Works of Shakespeare«. Ein Auszug: aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaldvvvvvvnvvvvvvvvvacvvvvvvvvjkjssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss-ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss-ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss-ssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss-sssssssssssaaavalavggggggggggggg – Text: Tobias Hürter Von da ist es noch ein bemerkenswert weiter Weg zu Shakespeare. Irgendwann um das Jahr 1600 setzte sich der englische Dichter und Theaterbesitzer, dessen Gene als Homo sapiens zu 94 Prozent mit denen der Makaken übereinstimmen, an seinen Schreibtisch, tunkte die Feder in die Tinte und schrieb ein Stück über das Leben, das Leid, die Wut und die Verzweiflung eines dänischen Königssohns, der niemals wirklich gelebt hat: eben Hamlet. Eines der größten …

Alle für alle?

Wir brauchen mehr Solidarität. Es gibt wohl kaum jemanden, der diesen Satz nicht unterschreiben würde. Aber was heißt es eigentlich, solidarisch zu sein? Und wo liegen die Grenzen der Verbundenheit? Text: Robin Droemer und Greta Lührs Vielen fällt bei dem Wort »Solidarität« zuallererst der Solidaritätszuschlag ein, andere denken an die Arbeiterparole »Hoch die internationale Solidarität!«. Im zwischenmenschlichen Bereich nennen wir jemanden solidarisch, der sich für die Belange anderer einsetzt – zum Beispiel für Flüchtlinge. Insofern sehen wir Solidarität als Tugend an. Dabei reicht manchmal bereits ein simpler Sprechakt. Als John F. Kennedy sagte, er sei ein Berliner, solidarisierte er sich mit den Bürgern West-Berlins. Als kürzlich ein Jugendlicher ein Video über die Folgen seines Mobbings ins Internet stellte, sprachen Zeitungen von »Wellen der Solidarität«, die dieses Video auslöste.Tausende bekundeten ihre Anteilnahme und lobten den Jungen für seine Offenheit. Die Ursprünge des Solidaritätsbegriffs reichen zwar zurück bis ins römische Recht, doch ihre politische Bedeutung gewann die Solidarität erst durch die Französische Revolution: Aus der Parole der Brüderlichkeit entwickelte sich bald die der Solidarité. Bis der Begriff …

Zombies des Zasters

Mit der Erfindung des Geldes wollte der Mensch einst den Tausch von Waren erleichtern. Mit einem rechnete er nicht: dass es ein Eigenleben entwickeln würde. Dass die Moneten zum Meister werden würden, die den Lauf der Welt diktieren – und die Menschen nicht nur dessen Diener, sondern in letzter Konsequenz sogar: überflüssig würden. Text: Tobias Hürter und Thomas Vašek Im Frühjahr 1827 ging es Ludwig van Beethoven gar nicht gut. Nachdem er viele Jahre lang großzügig dem billigen Weißwein zugesprochen hatte, zeigte der 56-Jährige nun schwere Symptome einer Leberzirrhose: Gelbsucht, Wasser in den Beinen und im Unterleib. Drei Operationen hatten ihn geschwächt. Um seine Lebensgeister wieder zu wecken, verschrieben die Ärzte ihm »Punsch-Eis in bedeutender Quantität täglich«. Zunächst schien es zu funktionieren: Beethoven konnte sogar wieder seinen Lesesessel beziehen. Er nahm Walter Scott zur Hand. Der Komponist schätzte den schottischen Nationaldichter, hatte sogar ein paar von dessen Texten vertont. Doch dieses Mal wollte Scott ihm nicht gefallen. Beethoven musste sich furchtbar aufregen. »Der Kerl schreibt doch bloß fürs Geld!«, rief er und schleuderte den Band …

Die Freiheit des Müssens

Das Leben als To-do-Liste: Wir sind freier als je zuvor , und doch »müssen« wir immer mehr. Aber was heißt das für unsere Vorstellung von Selbstbestimmung? Ein Argument für einen zeitgemäßen Autonomiebegriff. Text: Thomas Vašek  Müssen Sie morgen früh wirklich aufstehen? Warum bleiben Sie nicht einfach im Bett? Und warum tun wir alle nicht überhaupt nur das, was uns gefällt? Zur Arbeit gehen, Rechnungen bezahlen, die Steuererklärung machen, Behördengänge erledigen, Verwandte besuchen oder einfach nur E-Mails beantworten: Das Leben ist eine einzige To-do-Liste – überall nur Pflichten, Zwänge, Normen und Gebote. Ständig stellt jemand Ansprüche an uns. Ständig »müssen« wir irgendwas tun. Aber was müssen wir wirklich? Warum müssen wir? Müssen wir überhaupt irgendwas? Wahrscheinlich fallen Ihnen sofort viele Dinge ein, die Sie unbedingt tun »müssen« – und zwar womöglich heute noch. Vielleicht müssen Sie einen Anruf tätigen, einkaufen gehen oder auch nur die Blumen gießen. Nichts davon müssen Sie natürlich im eigentlichen Sinn. Etwas tun zu müssen, heißt ja streng genommen, dass es das Einzige ist, was man überhaupt tun kann – dass es …