Es liegt etwas in der Luft…
… Es ist der Meinungsstreit zum Ukrainekrieg. Die einen sind für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, die anderen finden, dass man Wladimir Putin nicht reizen darf. Die einen fordern ein Gas-Embargo, um den Druck auf Russland zu erhöhen, die anderen sind dagegen, weil sie fürchten dass dann die deutsche Wirtschaft kollabiert. Und zum Geisteszustand des russischen Präsidenten hat ohnehin jeder seine eigene Meinung. Auf Facebook, Twitter &Co. wimmelt es von selbsternannten Generälen, Strategieexperten und Osteuropa-Verstehern, die fiebrig das Kriegsgeschehen kommentieren, der Politik Ratschläge geben oder Zensuren verteilen.
Man kann der Meinung sein: Das nervt.
Ob zum Ukrainekrieg, zur Coronapandemie und vielen anderen Fragen: Selbstverständlich darf jede Person ihre Meinung frei äußern, jedenfalls im gesetzlichen Rahmen. Wir nennen es Meinungsfreiheit, davon lebt die Demokratie. Die Frage ist allerdings, ob man zu allem eine Meinung haben muss. Sie stellt sich gerade in den sozialen Medien, wo heute tatsächlich jede/r fast alles öffentlich sagen kann. So ist es nicht geboten (und auch nicht klug), seine Meinung zu Dingen zu äußern, von denen man rein gar nichts versteht. Wer eine Meinung nicht begründen kann, der oder die sollte besser schweigen. Es gibt manchmal auch gute Gründe, eine Meinung selbst dann nicht kundzutun, wenn man sie begründen kann. So kann jemand aus guten Gründen der Meinung sein, dass jemand anderer ein Vollidiot ist – und dennoch ebenso gute Gründe haben, diese Meinung für sich zu behalten.
Meinungsäußerungen können andere Menschen diskriminieren, herabwürdigen oder kränken. Sie können zur emotionalen Eskalation von Debatten führen und Beziehungen vergiften, bis hin zum Abbruch des Gesprächs. Sie können aber auch einfach irrelevant sein, und nicht nur, weil sie sich auf irrelevante Fragen beziehen. Es hat zum Beispiel wenig Sinn, eine bestimmte Meinung zu einer Frage zu äußern, wenn ohnehin alle der gleichen Meinung sind. Gerade in den sozialen Medien geht es oft nicht nur darum, einen produktiven Beitrag zu liefern. Es geht auch um Eitelkeit, um Selbstinszenierung oder Wichtigtuerei. Es geht um Klicks und Likes, um schnelle Belohnung. Nicht jede Meinung ist es wert, geäußert zu werden. Manchmal kann es besser sein, einfach den Mund zu halten – auch wenn man denkt, dass man ganz viel zu sagen hätte. Und manchmal sollten wir vielleicht auch, wie im Fall des Ukraine-Kriegs, uns selbst und anderen die eigene Ratlosigkeit eingestehen.