Alle Artikel in: Onlinebeitrag

Gehirnimplantate – Krankheit als Einfallstor?

Die Furcht vor einem „Brave New World“-Szenario sei durchaus gerechtfertigt, findet unser Gastautor Manuel Güntert. Und zwar gerade weil es wahrscheinlich ist, dass Menschen sich im Zweifelsfall für technische Möglichkeiten entscheiden würden. Daher sei jetzt ein guter Zeitpunkt, sich wichtigen Fragen zu stellen. Ein Essay über Gehirnimplantate, moralische Fragen und darüber, was heute schon möglich ist. Text: Manuel Güntert Am 16. August 2022 hat das World Economic Forum WEF auf seiner Website einen Artikel von Kathleen Philips, der Vizedirektorin des R&D Technologiekonzerns, publiziert. Dieser beschreibt, wie Erweiterungstechnologien die Art, wie wir (zusammen-)leben, grundlegend verändern können. Umgehend und fast ausschließlich ist er von alternativen Medien aufgegriffen worden. Dort ist er, äußerst vorsichtig ausgedrückt, nicht nur wohlwollend besprochen worden. Das wiederum hat das offenbar sensible WEF veranlasst, die ursprüngliche Version mit einer Warnung vor gezielten Fehlinterpretationen und Fehlinformationen zu versehen. Was nun hat den Anlass zu diesem kleinen Sturm im alternativen Wasserglas gegeben? Zäumen wir das Pferd von hinten auf. Der Artikel schließt mit den Worten, dass es um Technologie geht, die uns unterstützt und die imstande …

Über Traumata und starke Vorbilder

Menschen, die ungewöhnliche Krisen meisterten, können uns bezüglich ihres Umgangs mit schwierigen Lebenslagen als Vorbilder dienen. Man denke etwa an diejenigen, die Kriege überlebten und ihre Erfahrungen aufarbeiteten und mit anderen teilen. Die Medizinerin und Trauma-Therapeutin Dr. med. Amelie Sanktjohanser im Interview. HOHE LUFT: Frau Dr. Sanktjohanser, Sie sind Ärztin und Trauma-und Familien-Therapeutin. Was bedeutet eine traumatische Erfahrung eigentlich für das Leben eines Menschen?  Amelie Sanktjohanser: Traumatische Erlebnisse, wie etwa Krieg, Verlust, Krankheit, emotionale oder körperliche Verletzungen oder Naturkatastrophen können das Weltbild und die Wertvorstellungen der betroffenen Person erschüttern oder gar zerbrechen. Kann der Betroffene nicht entsprechend seines individuellen Bedürfnisses reagieren und agieren, manifestiert sich der Stresslevel und wir kreieren Überzeugungen, die uns von da an entsprechend Denken, Handeln und Fühlen lassen. Der anhaltende Stress mit seinen physiologischen Komponenten kann dann über Zeit zu emotionalen und körperlichen Symptomen führen. Unsere auf dem traumatisierenden Erlebnis basierende Überzeugung beeinflusst unser privates, soziales und berufliches Leben, unsere Beziehungen und unser Erleben. Das geschieht nicht immer zum Vorteil Betroffener und ihres Umfeldes. Im besten Sinne motiviert dies zu einem …

Das neue Sonderheft 2/2022 ist da!

Der Mensch im Mittelpunkt. Was der digitale Wandel des Gesundheitswesens für uns bedeutet Text: Rebekka Reinhard Die digitale Transformation revolutioniert das Gesundheitswesen. Von Sensoren und Apps über internetbasierte Services bis hin zu mächtigen Healthcare-Plattformen wie Amazon oder Google: Neue digitale Gesundheitsservices verändern Prävention und Therapie, die Arzt-Patient-Beziehung und unseren Umgang mit Gesundheitsfragen überhaupt – und sie stellen eine starke Konkurrenz für etablierte Anbieter dar. Zugleich verschmelzen digitale Healthcare-Angebote mit den Bereichen Fitness, Wellness, Beauty und New Work. Das deutsche Gesundheitswesen hinkt bei der Digitalisierung immer noch hinterher. Als Hindernisse gelten organisatorische Trägheit und Datenschutzbedenken.  Die Entwicklung wirft aber auch ganz grundsätzliche philosophische, gesellschaftliche und politische Fragen auf: Wieviel Privatsphäre sind wir bereit, für unsere Gesundheit zu opfern? Wieviel Selbstbestimmung und Individualisierung im Gesundheitsbereich wollen wir? Droht die digitale Gesundheitsdiktatur – oder stärkt »Digital Health« Freiheit und Demokratie? In unserem neuen Sonderheft, das in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse entstand, liefern wir Anregungen für eine fundierte Reflexion all dieser Veränderungen – und inspirieren dazu, über das eigene Gesundheitsbewusstsein neu nachzudenken. Renommierte Expert:innen wie die Vorsitzende des Deutschen …

Frauen. Leben. Freiheit.

Es flattert etwas durch die Luft… Text: Lena Frings  … es sind Haarsträhnen. Unter Lebensgefahr laufen Frauen (und Männer) gerade über die Straßen iranischer Städte, klettern auf Container, halten Bilder von Jîna Mahsa Amini in die Luft, ziehen ihre Hijabs vom Kopf und rufen: „Zan, Zendegi, Azadi!“ Vielleicht geht es Ihnen wie mir und diese Bilder und Worte lösen eine Gänsehaut bei Ihnen aus. Vielleicht fragen auch Sie sich, wo diese Frauen den Mut hernehmen. Die Journalistin Gilda Sahebi zitiert die Slogans der Protestierenden und dadurch wird mir etwas klarer. „Wenn wir nicht alle gemeinsam sind, dann zerstückeln sie uns einer nach dem anderen“, sollen Menschen während der Proteste rufen. Und das trifft wohl eine bittere Wahrheit. Die Philosophin Hannah Arendt (1906 – 1975) setzt sich in ihrem Essay „Macht und Gewalt“ mit den gleichnamigen Phänomenen auseinander. Dort heißt es: „Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält.“ Tatsächlich protestieren gerade im Iran alle gemeinsam. Da sind Ölarbeiter, Schülerinnen, Kurd:innen, Frauen und …

Warum wir Räume zum Träumen brauchen

Ein Interview mit Ozan Zakariya Keskinkilic über antimuslimischen Rassismus und mögliche Perspektivwechsel Der Autor, Lyriker und Politikwissenschaftler Ozan Zakariya Keskinkılıç (*1989) forscht an Berliner Hochschulen unter anderem zu antimuslimischem Rassismus, Antisemitismus und Orientalismus. Er beschreibt etwa, wie einzelne Muslim:innen als Vertreter:innen eines Kollektivs wahrgenommen werden und sich für Taten anderer rechtfertigen müssen. Was daran problematisch ist und warum wir progressive Utopien brauchen, erklärte er unserer Autorin Lena Frings  in einem kurzen Interview. Was sind die Auswirkungen einer Kollektivierung von muslimisch gelesenen Menschen? Die Kollektivierung führt zu einem Klima des Misstrauens, das in sehr konkrete Diskriminierung umschlägt, etwa im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche oder in Form von Racial Profiling durch Polizeikräfte und Sicherheitsbehörden. Indem Muslim:innen zum Sündenbock, zu einem fremden, dämonischen Kollektiv konstruiert werden, können sie in ihrer Individualität und Komplexität nicht wahrgenommen werden, schon gar nicht als Teil dieser Gesellschaft. Abgesehen von den Ausschlüssen und der Gewalt, die sie erfahren, hinterlässt das Feindbild Spuren im Bewusstsein der Betroffenen. Es frisst sich ins Innere und begleitet im Alltag. Das Gefühl der Entfremdung wird …

Gesundheit und digitale Transformation: Risiken und Chancen

Wie „menschlich“ ist die digitale Medizin? Sind KI-Systeme die besseren Ärzte? Wie sicher sind unsere Gesundheitsdaten? Wie wichtig ist Ethik im Bereich Digital Health? Über diese und andere spannende Fragen rund um Gesundheit im digitalen Zeitalter diskutiert Dr. Rebekka Reinhard, stv. Chefredakteurin von HOHE LUFT mit: Dr. Jens Baas, Vorstandvorsitzend der TK, ein studierter Humanmediziner, der nach dem Studium zunächst an zwei chirurgischen Universitätskliniken arbeitete. Emotion Award-Preisträgerin Mina Saidze, KI- und Big Data-Fachfrau, Gründerin von Inclusive Tech, der europaweit ersten Lobby- und Beratungsorganisation für Diversity und Inklusion in der Tech-Branche, die vom Wirtschaftsmagazin Forbes in die Liste der erfolgreichsten „30 Under 30“ aufgenommen wurde. Kenza Ait Si Abbou, Spezialistin für Robotics und KI und hochbegabte Rechenkünstlerin, die schon als Kind Matheaufgaben schneller löste, als ihre Mutter sie ihr stellen konnte, und heute für Unternehmen wie IBM. Philipp Westermeyer, ehemaliger Vorstandsassistent bei Bertelsmann und Gründer der Online Marketing Plattform OMR. Ein Panel von Inspiring Network, Die Techniker (TK) und HOHE LUFT über die digitale Transformation im Gesundheitsbereich. Schaut mal rein – es lohnt sich! (Bild: Lisa Notzke)

Die neue HOHE LUFT ist da!

„Wie viel ist genug?“ … fragen wir in unserer neuen Ausgabe. Eine wichtige Frage angesichts des Krieges, der Gasknappheit, Inflation und Rezession. Die aktuelle Krise bedroht unseren Wohlstand – und womöglich auch unseren sozialen Zusammenhalt. Denn sie trifft nicht alle Menschen gleich, sondern vor allem die Ärmeren, während die Reichen und Superreichen womöglich sogar profitieren. Das macht die Entwicklung so brandgefährlich für unsere Gesellschaft. Auch der Klimawandel zwingt uns dazu, unsere Lebensweise radikal zu verändern und auf Wohlstand zu verzichten. Über die Krisen nachzudenken heißt auch, über soziale Ungleichheit nachzudenken – und damit über die Frage, was Menschen für ein gutes Leben brauchen. Wir haben diesen Heftschwerpunkt daher dem Thema „Arm und Reich“ gewidmet. Außerdem im Heft: Die Berliner Autorin Ariana Zustra beschäftigt sich mit der Kabarettistin Lisa Eckhart und der Schwierigkeit, Ambivalenzen auszuhalten. Tobias Hürter porträtiert den Logiker Gottlob Frege. Und Merlin Wassermann fragte den im chinesischen Macau lehrenden Philosophen Hans-Georg Möller im Interview, warum die Ära der Authentizität sich dem Ende neigt.

Zwischen den Geschlechtern

Text: Rebekka Reinhard … es sind die Fetzen der Debatten rund um das „Geschlechter”-Thema. Die Frage, ob es jenseits von Mann und Frau noch ‚etwas anderes’ gibt, geben darf, geben sollte, erhitzt die Gemüter weit stärker als die Erderwärmung. Mit ‚etwas anderes’ meine ich: das T-Wort. Die Transsexualität. Da ist die Biologin Marie-Luise Vollbrecht, die in ihrem erst abgesagten, dann nachgeholten Vortrag an der Humboldt Universtät erklärt, warum es aus biologischer Sicht zwei und nur zwei Geschlechter („sexes”) gibt. Da ist die Gender Studies-Soziologin Paula Villa-Braslavsky, die in der TAZ von der individuellen „Selbstgestaltung des auch körperlichen Geschlechts” spricht.  „Ich bin eine Frau.” Caitlyn Jenner Worum geht es wirklich? Die (begriffliche) Verwirrung ist groß. In den Medien ist abwechselnd mal von „Transsexualität”, mal von „Transgender” die Rede. Der erste Begriff lässt einen Zusammenhang mit bestimmten sexuellen Präferenzen assoziieren, der zweite suggeriert den Kontext des sozialen Geschlechts („gender”), also der geschlechtlichen Rolle, die wir im Alltag einnehmen. Häufig liest und hört man zudem von „in das jeweils andere Geschlecht” „umgewandelten” oder „umoperierten” Personen, wenn es um …

Weil wir Anfänger sind

Es liegt etwas in der Luft… Aus unserem Newsletter  … es ist der Wunsch nach einer politischen und erfolgreichen Revolution innerhalb Russlands. Es wäre die beste aller Welten: Putins Krieg fände ein Ende, ohne dass weitere Zivilisten und Soldaten stürben. Menschen müssten nicht mehr fliehen, Weizen könnte verschifft werden und so weitere Hungertode vermieden. Doch die Hoffnung auf Neubeginn innerhalb Russlands scheint derzeit utopisch. Zu Beginn des Krieges klammerte ich mich an einzelne Held:innen – Musiker:innen, Moderator:innen, Demonstrant:innen, kurz, alle die innerhalb Russlands gegen den Krieg aufstanden – und ich denke, mit diesem Klammern nicht alleine gewesen zu sein. Ihre Abbilder verbreiteten sich wie Lauffeuer in jeden abgelegenen Winkel der Erde (außer nach Russland). Wir wollen an die Kraft des Guten glauben, an den Mut und die Gerechtigkeit. Wir schauen den Hoffnungsschimmern hinterher. Jetzt deutet jedoch rein gar nichts auf solche Kräfte hin, die etwas Neues gebären. Warum ist dem so? Sicher hätte ich diesen Text nicht zu schreiben begonnen, wäre ich nicht zufällig über einen Text von Hannah Arendt gestolpert. In ihrem Essay »Die …

„Tupperware-Feminismus vs. No-Bullshit-Feminismus“

„Die Zentrale der Zuständigkeiten“ von Rebekka Reinhard ist nun im LUDWIG Verlag erschienen. Text: Lena Frings  Du rennst in alle Richtungen zugleich? Du machst Karriere, bereitest die Familienfeier vor, erzählst Gutenachtgeschichten und putzt zwischendurch noch schnell das Bad? Du bist alles zugleich: Liebende, Arbeitnehmerin oder Chefin, Mutter und sich kümmernde Tochter? Du bist (wie alle Frauen) eine Zentrale der Zuständigkeiten. Das gleichnamige Buch unserer stv. Chefredakteurin ist ein kurzes Innehalten und Aufwachen – praxisbezogen, direkt und händereichend. In 20 Kapiteln bietet die Autorin Überlebensstrategien für einen vollgestopften Alltag an, der so verschiedene Ansprüche an uns stellt, dass wir als denkende und fühlende Wesen hinter Terminkalendern und endlosen ToDos verschwinden. Witzig, scharf, manchmal wütend und erfrischend unideologisch bewegt sich der Text etwas versetzt zu vielen feministischen Diskursen. Das beginnt damit, dass Gendersternchen einer kreativen und sinnvollen Art zu gendern weichen. Grundsätzlich wird es dort, wo bestimmte Arten des Self-Empowerments als neoliberale Lügen und Marketing-Gag entschlüsselt werden. Denn eine „Emanzipation, die dauergestresste Superwomen produziert, widerspricht sich selbst.“ Sie zwängt uns vielmehr in ein neo-biedermeierliches Bewertungsraster – als Ergebnis …