Alle Artikel in: HOHE LUFT

Der Rebell in uns

Greta Thunberg will, dass die Alten Panik haben, Rezo mit seinen Videos die CDU zerstören. Den Jungen reicht’s! Und was machen die Alten? Schauen blöd aus der Wäsche. Was ist da los? Erleben wir einen Generationenkonflikt neuen Ausmaßes? Oder geht es um etwas ganz anderes – um einen Streit zweier Perspektiven in uns selbst? Text: Rebekka Reinhard, Thomas Vašek Mitarbeit: Maja Beckers In der Fußgängerzone einer Großstadt. Man reiht sich in die Herde der Window-Shopper ein. Vor einem: eine Figur in Kapuzenshirt, Jeans im Destroyed-Look und Yeezy-Sneakers, die Ohren mit Earpods verstöpselt. Jeder kennt diese Szene, diese Gestalt. Solange sie einem den Rücken zuwendet, sind Alter und Geschlecht unklar. Ist es ein 20-jähriger Student? Oder ein jung gebliebener 50-Jähriger? Eine Working Mom auf dem Weg ins Yogastudio? Auf den ersten Blick lassen sich Alt und Jung heute nicht mehr so leicht unterscheiden. Die Lebensformen wie auch die Moden ähneln sich, erst recht die digitalen Devices. Mit dem Smartphone laufen heute alle herum. Andererseits scheint sich zwischen den Generationen eine Kluft aufzutun. Die Alten haben oft …

Das Geheimnis der goldenen Mitte

Wir loben ihn oft und wünschen ihn herbei: den Kompromiss. Aber was ist das überhaupt? Und woran erkennt man, ob ein Kompromiss gut ist? Ein Essay über Zugeständnisse und den Blick für den anderen. Von: Thomas Vašek Wie lautet Ihr Computer-Passwort? Vermutlich nicht »Passwort«, das wäre zwar einfach, aber ziemlich leicht zu knacken. Wahrscheinlich lautet es aber auch nicht »$)%FJ§%F)§JDC)T?$LFL§Ss§V« oder so ähnlich. Dieses Passwort wäre zwar ziemlich sicher, aber kein Mensch könnte es sich merken. Vermutlich werden Sie ein Passwort gewählt haben, das irgendwo »in der Mitte« liegt – eines, das halbwegs sicher ist und trotzdem so einfach, dass Sie es auswendig können. Vermutlich ist Ihr Passwort also eine Art »Kompromiss«. Unser Leben ist voller solcher Kompromisse. Das »Maximum«, das »Beste« in einer bestimmten Hinsicht, erreichen wir nur selten. Das Extreme kann uns überfordern und zu Konflikten mit anderen führen. In vielen Fällen wählen wir daher eine Art Mittelweg, der uns akzeptabel erscheint. Wir machen Kompromisse zwischen unseren eigenen Zielen, etwa zwischen Gesundheit und Genuss, zwischen Sicherheit und Bequemlichkeit. Wir machen aber auch Kompromisse …

»Wenn das Schild in die falsche Richtung weist, dann muss man es umdrehen«

Hubert Wolf ist einer der angesehensten und engagiertesten Theologen und Kirchenhistoriker des Landes. Er gab uns Auskunft über den Wandel (in) der Kirche – und über die wahre Bedeutung der Tradition. Interview: Rebekka Reinhard, Thomas Vašek Seit die katholische Kirche durch diverse Missbrauchsskandale weltweit in der Kritik steht, ist es wichtiger denn je, grundsätzliche Fragen zu klären: Wie hängen Fundamentalismus und Reformverweigerung zusammen? Welche Rolle spielen hierarchische Machtstrukturen? Und vor allem: Was ist das Verhältnis von Wandel und Tradition? Als interdisziplinär ausgerichtete Philosophie-Zeitschrift wollten wir auf diese Fragen Antworten finden. Hubert Wolf war für uns der kompetenteste Gesprächspartner, den wir uns wünschen konnten. Wolf, der an der Universität Münster lehrt und mit seinem Team seit vielen Jahren in den Vatikanischen Archiven forscht, ist nicht nur ein herausragender Wissenschaftsvermittler; der mit zahlreichen Preisen wie dem Leibniz-Preis und (zuletzt) dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa Geehrte ist vielen auch als »Dan Brown« der Kirchengeschichte bekannt. Sein internationaler Bestseller über die »Nonnen von Sant’Ambrogio« wird gerade verfilmt. Im Gespräch mit HOHE LUFT, das via Zoom stattfindet, besticht Wolf durch …

Der Anfang von allem

Das Thema Schwangerschaft kommt in der Philosophie so gut wie gar nicht vor. Dabei gibt es allen Anlass dazu, diesen besonderen Zustand philosophisch zu betrachten. Schließlich geht es um die Schöpfung neuen Lebens, um das Entstehen von etwas zuvor nicht in der Welt Gewesenem. Text: Greta Lührs Als ich es das erste Mal spüre, sitze ich am Tisch und lese. Da ist ein leichtes Zucken in meinem Bauch, das sich ganz anders anfühlt als bisher bekannte Regungen aus meinem ­Inneren. Ich erschrecke ein wenig und halte gespannt den Atem an, versuche, dem Gefühl nachzugehen und es zu lokalisieren. Da ist es wieder. Ich lege eine Hand an den Bauch. Wüsste ich nicht, dass es sich dabei um die Bewegungen eines werdenden Menschen handelt, würde ich mir Sorgen machen. Aber so muss ich unwillkürlich selig lächeln. »Hallo«, sage ich in Gedanken. Da ist ja wirklich jemand. Schwangersein ist ein Zustand, den man sich schwer vorstellen kann, wenn man ihn nicht selbst erlebt hat und der selbst für die Schwangere oft unbegreiflich und wundersam bleibt. Die einen …

»Wir dürfen Freiheit nicht nur als Freiheit zum vernünftigen Handeln verstehen«

Der bekannte Staatsrechtler Christoph Möllers wird für sein Buch »Freiheitsgrade« 2021 mit dem renommierten Tractatus-Essaypreis des Philosophicum Lech ausgezeichnet. Wir sprachen mit dem Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin im Herbst 2020 über die Coronakrise, politischen Liberalismus und das Verhältnis von Wahrheit und Freiheit und Demokratie. Interview: Thomas Vašek Illustration: Gabriele Dünwald HOHE LUFT: Herr Möllers, inwieweit bedroht die ­Coronakrise unsere Freiheit? CHRISTOPH MÖLLERS: Ich würde nicht mehr von ­Bedrohung reden, wir sind ja real eingeschränkt. Wir haben Verluste an Freiheit, die wir auch nicht wieder einholen können. Die Frage ist, welche langfristigen Folgen das hat. Man kann sich vorstellen, dass es Gewöhnungseffekte gibt. Es wäre ein Problem, wenn die Gesellschaften sich auf Dauer zu sehr daran gewöhnten, dass sie derart eingeschränkt werden – selbst wenn dies aus vernünftigen Gründen geschieht. Wie würden Sie als Staatsrechtler den derzeitigen Zustand beschreiben? Ist das noch die rechtsstaat­liche »Normallage« – oder tatsächlich ein Ausnahmezustand, wie manche glauben? Das ist eine interessante Frage, die darauf hinweist, dass wir einen Begriff bräuchten, den wir nicht haben. Die Rede vom Ausnahmezustand …

Kann ich mich ändern? HOHE LUFT 6/21

Liebe Leserin, Lieber Leser, Panta rhei – »Alles fließt«, so die uralte Erkenntnis von Heraklit. Die Welt, in der wir leben, ist eine Welt des Wandels. Doch wieviel Veränderung können wir ertragen? Mit Blick auf die globale weltpolitische, pandemische und ökologische Lage möchte man fast sagen: Es reicht langsam! Dies aber wäre eine sehr unphilosophische Haltung. Als freie Lebewesen sind wir dem Schicksal nicht einfach unterworfen – wir können inmitten des ewigen Wandels auch immer selbst entscheiden, was wir verändern wollen und was nicht. Im Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe von HOHE LUFT fragen wir deshalb: Kann ich mich ändern? Wir möchten Sie dazu anregen, über das Thema Wandel neu nachzudenken – und das in einer Zeit, in der uns der Wandel geradezu überrollt, ja sogar in unserer Existenz gefährdet. Die Hoffnung liegt in unserer Freiheit: Lesen Sie über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten, das eigene Leben zu verändern; die Bedeutung von Gewohnheiten; und die Chancen von gewaltlosem Widerstand für eine gerechtere Welt. Im großen Interview erklärt der »Dan Brown« der Kirchengeschichte – Hubert Wolf –, warum …

Wieviel Demokratie brauchen wir?

Die Demokratie ist die am wenigsten schlechte Staatsform. Aber sie ist kein Wert an sich. Was bedeutet das für die Zukunft Europas? Text: Tobias Hürter und Thomas Vašek Am 26. September ist wieder Demokratietag in Deutschland, wie alle vier Jahre. Die Bundesbürger – oder die meisten von ihnen – machen ihre zwei Kreuzchen für die Abgeordneten des Bundestags. Es geht um Parteiprogramme, Finanzen und Familien und natürlich um Personen, allen voran um Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock. Danach ist, wenn alles gutgeht, wieder vier Jahre Ruhe. Um eines aber geht es zu wenig in diesen Monaten – um die Frage: Was tun wir da eigentlich? Was für eine Handlung ist dieses Kreuzchenmachen, in welchen Strukturen findet es statt, und ginge es vielleicht auch besser? Kurzum: Es geht zu wenig um das Wesen dessen, was wir »Demokratie« nennen, und um das Unwesen. Jeder kennt die Demokratie, aber nicht jeder versteht sie. Sie ist Stoff für dröge Sonntagsreden, Heiligtum vieler Staatsverfassungen, Vorwand für Kriege und Gewalteinsätze. Aber wovon genau spricht man, wenn man »Demokratie« sagt? …

Denkerin und Dienerin

Edith Stein war eine außergewöhnliche Person. In Zeiten, in denen Frauen die Karriere als Universitätsprofessorin noch verwehrt war, ging sie ihren ganz eigenen Weg und unterwarf ihr Denken nur einem: dem Heiligen. Wer war sie? Text: Rebekka Reinhard Sommer 1916. Bei einer Großoffensive der Alliierten in Nordfrankreich sterben fast eine halbe Million deutsche Soldaten. Italien erklärt nach Österreich-Ungarn auch Deutschland den Krieg. Vielerorts herrscht Hunger. Zu dieser Zeit erlebt eine Jüdin in Freiburg ihren großen Moment: Edith Stein. Am 3. August wird sie als eine der ersten Frauen überhaupt zur Doktorin der Philosophie promoviert. Ihr Doktorvater, der große Edmund Husserl (1859–1938) höchstpersönlich, hat in sein Haus geladen, Husserls Tochter setzt der Jungwissenschaftlerin einen Kranz aus Efeu und Margeriten auf. Den Heimweg muss sie wegen drohender Bombenangriffe in totaler Finsternis antreten. Es ist das paradoxe Nebeneinander von Hell und Dunkel, das ihr Leben prägt; das sie motivieren wird, mit extremer Konsequenz nach dem Sinn menschlicher Existenz zu fahnden. In ihrem Denken, ihrem Glauben, in all ihren Lebensentscheidungen. Wer war Edith Stein? Dem breiten Publikum ist sie …

Worauf es wirklich ankommt

Derek Parfit (1942 – 2017) war einer der bedeutendsten Moralphilosophen der Gegenwart. 2013 gewährte uns der öffentlichkeitsscheue Großdenker ein außergewöhnliches E-Mail-Interview, das nicht nur im Zuge um die Fakten und Debatten um den Klimawandel von bleibender Aktualität ist. Im Interview mit HOHE LUFT spricht er über personale Identität, den Tod und seinen epochalen Entwurf einer universellen Moraltheorie. Fragen und Text: Thomas Vašek Fotos: Steve Pyke Derek Parfit war vielleicht einer der größten Moralphilosophen seit Immanuel Kant. Parfits Theorie in seinem monumentalen Werk »On what matters« (»Worauf es ankommt«) lässt sich, in aller Kürze, so zusammenfassen: Als Vernunftwesen haben wir starke Gründe, uns um das Wohl anderer zu sorgen. Menschlichkeit ist rational. Was wir tun sollten, ist nicht subjektiv. Es gibt universelle moralische Wahrheiten, die genauso existieren wie etwa mathematische Wahrheiten: Dass Leiden schlecht ist, ist genauso wahr wie die Tatsache, dass 1+1 = 2 ist. Schon Parfits erstes Buch »Reasons and Persons« war eine Sensation. Der Philosoph attackierte darin tiefsitzende Auffassungen von Moral und Vernunft. Mit ungewöhnlichen Gedankenexperimenten zeigte er etwa, dass es nicht immer …

Was treibt mich an? HOHE LUFT #5/21 ist da

In diesen Wochen wollen die meisten nur noch eins: endlich Urlaub! Endlich eine Auszeit, um wieder Inspiration und Motivation für alles Kommende zu finden. Sehr verständlich. Da »Effizienz« in unserer Gesellschaft alles ist, da kaum jemand es sich leisten kann, visionslos und schaff in der Hängematte zu liegen, beschäftigt sich der Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe von HOHE LUFT mit dem Thema Motivation. Was treibt mich an?, fragen wir – und untersuchen, was uns bewegt und lähmt, wie immer aus interdisziplinären Blickwinkeln. Wir widmen uns den Vor- und Nachteilen der Prokrastination, analysieren, warum Faulheit trotz ihres schlechten Images ein ethisches Gebot sein könnte und führen in die motivationstechnisch hochinteressante Signaltheorie ein. In unserem großen Interview gibt Extrembergsteiger Reinhold Messner Auskunft über seinen ganz persönlichen Antrieb. Weitere Themen Heft sind u. a. die Erfahrung der Mehrsprachigkeit, der Poststrukturalismus in Zeiten der Identitätspolitik, die Bedeutung des Wohlwollens für ein friedliches Miteinander sowie eine neue Deutung Friedrich Nietzsches. Außerdem: Der genialische Star-Philosoph Slavoj Žižek spricht über die Unvollständigkeit der Welt – und über Sex. Wir wünschen Ihnen viel Freude mit …