Alle Artikel mit dem Schlagwort: Flüchtlinge

HOHE LUFTpost – Weder »Transit« noch »Zone«

HOHE LUFTpost vom 13.11.2015: Weder »Transit« noch »Zone« Ein Unwort geistert durch die Debatten um die Flüchtlingskrise: »Transitzonen«. Manche Politiker wollen sie an den Grenzen einrichten, um den Zustrom von Flüchtlingen einzuschränken. In der Sprachwissenschaft gibt es den Grundsatz der Arbitrarität des Zeichens: Der Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist pure Konvention, sonst haben beide nichts miteinander zu tun. Aber natürlich ist es nicht egal, wie man etwas bezeichnet. Die Bezeichnung eines Dings sagt oft etwas über das Ding aus, und diese Aussage kann richtig oder falsch sein. Eine Transitzone wäre ein Bereich, der möglichst glatt zu passieren ist. »Transit« kommt vom lateinischen Verb für hinübergehen oder hindurchgehen. Eine Transitzone soll aber gerade verhindern, dass Flüchtlinge die Grenze überqueren. In den seit Jahren eingerichteten »Transitzonen« an Flughäfen werden Asylsuchende in Gefängnissen interniert. Auch »Zone« ist daher ein in diesem Zusammenhang zumindest irreführend unspezifischer Ausdruck. »Transitzonen« sind keine Transitzonen. – Tobias Hürter

Verantwortung für Flüchtlinge

Verantwortung für Flüchtlinge. Die moralische Macht der Bilder über das Bewusstsein Wie ist eine Ethik der Hilfsbereitschaft denkbar? Der französisch-litauische Philosoph Emmanuel Lévinas sah in der Erfahrung des anderen Gesichts eine Grundlage für ethisches Handeln. Hans-Martin Schönherr-Mann, Professor für politische Philosophie an der LMU in München, darüber, wie uns diese Ethik angesichts der Flüchtlingsdramas an unsere Verantwortung erinnert. 

HOHE LUFTpost – Kant und die Flüchtlinge

HOHE LUFTpost vom 16.10.2015: Kant und die Flüchtlinge Was hätte Immanuel Kant zur Debatte um den Umgang mit den Flüchtlingen gesagt? Schon die Frage ist dubios, schließlich ist Kant seit mehr als 200 Jahren tot und kann sich nicht gegen Vereinnahmungen wehren. Aber sie liegt nun mal auf dem Tisch. Angefangen hatte der Berliner Philosoph und Vielredner Byung-Chul Han, der die Flüchtlingspolitik vieler europäischer Staaten als rein eigennützig und daher im Sinne Kants zwar rational, aber unvernünftig kritisierte. Konservative Debattierer hielten dem entgegen, Kant habe in seiner Schrift »Zum ewigen Frieden« Flüchtlingen zwar ein Besuchsrecht zugesprochen, aber kein Bleiberecht. Als Kant lebte, war Europa durch die Feldzüge Napoleons aufgemischt, die Sehnsucht nach Frieden war groß. Flüchtlinge waren damals mindestens so präsent wie heute, und ihre Behandlung, zum Beispiel der Umgang mit vertriebenen Juden, entsprach keineswegs immer Kants Vorstellungen von Menschlichkeit. In »Zum ewigen Frieden« suchte Kant nach den Bedingungen für stabile, friedliche Verhältnisse. Dazu zählte er auch ein »Recht der Hospitalität«: Zwar dürfen Staaten Besucher ablehnen, aber nicht gewaltsam, und nicht, wenn es zu deren …

Gefühle? Gewissen!

Von Tobias Hürter Wenn den Berichten und Kommentaren glauben kann, dann ist Deutschland derzeit im emotionalen Ausnahmezustand. Deutschland sei ein »Hippiestaat, der sich nur von seinen Gefühlen leiten lässt«, sagt der englische Politologe Anthony Glees. »Wir erleben in Echtzeit, wie sich die Gefühle eines ganzen Landes synchronisieren«, schreibt der »Zeit«-Wissenschaftsredakteur Ulrich Schnabel. Gemeint sind natürlich die bewegenden Szenen, die sich am Münchner Hauptbahnhof und anderswo abspielen. Deutsche umarmen ankommende Flüchtlinge. Hilfsorganisationen werden überschwemmt von Spenden. Allerdings bezweifle ich, dass man diesen Berichten und Kommentaren wirklich glauben kann. Deutschland wird nicht von seinen Gefühlen geleitet. Sondern vom Gewissen. Das ist ein wesentlicher Unterschied – und gut so.

Was ist Flucht? Von der Realität und Aggression der Bilder

In diesen Tagen scheint es nur ein einziges Thema zu geben: Flucht. Es vergeht kein Tag, an dem uns die Medien nicht über die Schicksale unzähliger Unbekannter informieren, Menschen aus Syrien, Eriträa oder dem Kosovo, die zu Tausenden Zugang zum sicheren Europa suchen. Wir hören und lesen nicht nur, was derzeit passiert – wir sehen es auch. Welchen Stellenwert hat das, was wir da sehen? Müssen wir uns damit konfrontieren oder dürfen wir einfach wegschauen? Wie sollen wir mit der Bilderflut umgehen? Fotos von Flucht und Flüchtlingen sind zur Zeit allgegenwärtig. Man sieht Menschen auf Schlauchbooten, in Bahnhöfen und Zügen, in Auffanglagern, an Grenzzäunen. Die Fotos bewegen und rühren uns, sie machen uns betroffen. Aber sie tun noch mehr. Sie bannen uns. Sie üben auf eigentümliche Weise Gewalt auf uns aus. Nehmen wir das umstrittene Foto der toten Flüchtlinge, die kürzlich in einem abgestellten Laster in der Nähe von Wien gefunden wurden. Die Wiener „Kronen-Zeitung“ hatte das Foto veröffentlicht, und danach auch „Bild“. Das Foto zeigt einen Blick ins Innere des LKWs; auf der Ladefläche …

Was nützt die Nutzenfrage?

Prognosen über den Arbeitskräftemangel in Deutschland, verursacht durch den demografischen Wandel, begegnen einem gerade in den Beiträgen zur Flüchtlingsdebatte. Werden nicht in den nächsten Jahren tausende Arbeitskräfte aus dem Ausland hinzugezogen, haben wir hier höchstwahrscheinlich ein großes Problem, sagen die Zahlen. Sie werden von den Verfassern verwendet, um auf den volkswirtschaftlichen Nutzen hinzuweisen, den Deutschland aus denen ziehen kann, die hier Zuflucht suchen vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Tod. Aber kann die Frage, welchen Nutzen Flüchtlinge bringen, dafür relevant sein, ob sie Hilfe verdienen?

HOHE LUFTpost – Wir Einwanderer

HOHE LUFTpost vom 15.05.15: Wir Einwanderer Menschen überqueren auf abenteuerlichen Gefährten das Mittelmeer von Afrika nach Europa. Dort werden sie von der angestammten Bevölkerung nicht mit offenen Armen empfangen. Man feindet sich an, aber man freundet sich auch an. Das Zusammentreffen löst einen gewaltigen Entwicklungssprung aus. Wann das war? Vermutlich so kam vor rund 50000 Jahren der Homo sapiens nach Europa, wo er auf den Neandertaler traf – und so kamen vor rund 500000 Jahren auch die Vorfahren des Neandertalers nach Europa. Was genau damals geschah, ist im Dunkel der Prähistorie verschwunden, aber über das Ergebnis können wir glücklich sein: Wir selbst sind das Ergebnis. Heute kommen wieder Menschen auf abenteuerlichen Gefährten über das Mittelmeer. Wieder mit glücklichem Ergebnis? Es hängt von uns ab. – Tobias Hürter