Alle Artikel in: HOHE LUFTpost

HOHE LUFTpost – Das Rätsel Auferstehung

HOHE LUFTpost vom 03.04.15: Das Rätsel Auferstehung Das höchste christliche Fest steht bevor, und das rätselhafteste. Wer wirklich Christ ist, glaubt an Jesu Auferstehung, hört man immer wieder. Aber was genau man da glauben soll, bleibt oft unklar. Ein deutscher Bischof gestand mir kürzlich, dass auch er sich manchmal mit dem Glauben an die Auferstehung schwertue. »Gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich der Toten, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel«, so sagt es das apostolische Glaubensbekenntnis über Gottes »eingeborenen Sohn«. Viele Christen deuten es so, dass Jesus als Geisteswesen wiederauferstanden ist. Sein sterblicher Körper mag am Kreuz zugrunde gerichtet worden sein, aber seine Seele überwand den Tod. In der Bibel steht es allerdings anders. Die frühen Zeugen legten großen Wert darauf, dass Jesus leiblich auferstanden ist. »Das Grab war leer«, heißt es. Der Körper, der den Jüngern nach dem dritten Tag wiederbegegnete, war derselbe, der am Kreuz hing. Sie berührten seine Wunden, um sich davon zu überzeugen. Eine wirklich schwer zu glaubende Geschichte. Geht das überhaupt? Im Prinzip …

HOHE LUFTpost – Der Absturz, der Tod und die Trauer

HOHE LUFTpost vom 27.03.15: Der Absturz, der Tod und die Trauer Deutschland ist erschüttert vom Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen. »Wir trauern um euch«, titelte gestern eine Münchner Zeitung. Wie kann man um Menschen trauern, die man gar nicht kannte? Tritt man damit nicht den Angehörigen zu nahe, die nun wirklich trauern? Ich glaube aber, dass es gerechtfertigt ist. Der schreckliche Absturz zeigt uns, dass der Tod uns näher ist, als wir es oft wahrhaben wollen. Man kann unsere Zivilisation mit all ihren technischen und medizinischen Errungenschaften als ein gewaltiges Programm verstehen, um den Tod zu bannen. Doch das kann niemals vollständig gelingen. Der Tod lässt sich nicht aus der Welt schaffen. Die Risiken lassen sich nie ganz eliminieren. Jeder von uns hätte in dieser Maschine sitzen oder einen geliebten Menschen darin verlieren können. Das ist ein Grund, mitzutrauern. – Tobias Hürter

HOHE LUFTpost – Die Philosophie des Pieks

HOHE LUFTpost vom 20.03.15: Die Philosophie des Pieks Die Masern gehen um in Deutschland, dieses Jahr sind es schon über tausend Fälle. Eigentlich wollten die Gesundheitsbehörden diese besonders ansteckende Krankheit bereits ausgerottet haben, doch stattdessen folgt eine Infektionswelle auf die andere. Dahinter steckt ein Glaubensstreit: Impfbefürworter gegen Impfgegner. Experten sagen entschieden, dass die guten Wirkungen der Masernimpfung die schlechten überwiegen. Die Nebenwirkungen sind meist leicht und folgenlos. Todesfälle durch Masernimpfung gibt es so gut wie gar nicht. Hingegen sterben weltweit pro Tag 400 Kinder an Masern. Doch es gibt eine Asymmetrie zwischen den Nebenwirkungen einer Impfung und den Folgen der Krankheit – eine Asymmetrie, die diese Zahlen offenbar in manchen Köpfen verblassen lässt. Man versetze sich in Eltern, die ihr Kind zum Impfen gebracht haben. Nun leidet es unter seltenen Nebenwirkungen. Dann fühlen sich diese Eltern womöglich eher schuldig als andere Eltern, deren ungeimpftes Kind unter den Masern leidet. Die einen Eltern sind aktiv geworden, die anderen haben »nur« etwas unterlassen: Wir waren das nicht, es waren die Masern. Meine Vermutung ist: Diese Asymmetrie trägt dazu bei, …

HOHE LUFTpost – Frühling und Fortschritt

HOHE LUFTpost vom 13.03.15: Frühling und Fortschritt Endlich ist er da, der Frühling. Immer gleich, immer ersehnt, und jedes Mal ein Erlebnis. Damit passt der Frühling nicht recht in unser gängiges Geschichtsverständnis, nach dem es stets vorangehen muss. Die Wirtschaft muss wachsen, die Zahlen müssen besser werden, und die Smartphones noch flacher. Wir sind Fortschrittsjünger. Zu anderen Zeiten dachten die Menschen nicht so. Im alten Ägypten blieb 3000 Jahre lang alles mehr oder weniger gleich. Eine Pharaonendynastie folgte auf die nächste, und alle Jahre wieder kam das Nilhochwasser. Fortschritt? Wohin? Wozu? Auch in der Neuzeit, als der Fortschritt seinen Lauf nahm, dachten die Historiker zunächst eher zyklisch als linear. Der italienische Philosoph Giambattista Vico (1668–1744) sah die Menschheitsgeschichte als ewigen Kreislauf. Ähnliche Vorstellungen finden sich im Denken Friedrich Nietzsches (1844–1900) und in fernöstlichen Religionen. Das Fortschrittsdenken ist also weniger selbstverständlich, als wir es manchmal nehmen. Und der Frühling zeigt, wie schön und lebendig das Immergleiche sein kann. – Tobias Hürter

HOHE LUFTpost – Philosophen als Brillenputzer

HOHE LUFTpost vom 06.03.15: Philosophen als Brillenputzer Da Sie diese Zeilen lesen, vermute ich, dass Sie sich für Philosophie interessieren. Warum eigentlich? Was bringt uns all das Grübeln? Seit mehr als zweitausend Jahren ringen die Philosophen mit den ewig gleichen Grundsatzfragen, könnte man einwenden, scheinbar ohne handfesten Antworten nähergekommen zu sein – während die Naturwissenschaftler bis ins Innerste der Atome und an den Anfang des Kosmos vorgedrungen sind. Die Philosophie tritt also auf der Stelle, während die Wissenschaft weiter und weiter enteilt? Ich glaube nicht. In der Philosophie gab und gibt es gewaltige Fortschritte – nur treten sie anders in Erscheinung als die Fortschritte der Wissenschaft. Die Wissenschaft sagt uns, wie die Welt ist. Wenn sie etwas Neues findet, dann sehen wir etwas Neues – der Fortschritt ist offensichtlich. Die Philosophen erklären uns, wie wir die Welt sehen. Sie decken unsere Fehlschlüsse und ungeprüften Annahmen auf, und die Bedingungen der Möglichkeit von Moral und Erkenntnis. Sie putzen sozusagen die Brille, durch die wir sehen. Eine gut geputzte Brille nimmt man nicht wahr, man nimmt durch …

HOHE LUFTpost – Griechenland und das Vertrauen

HOHE LUFTpost vom 27.02.15: Griechenland und das Vertrauen Ein naiver Zeitungsleser könnte über das Gezerre um Griechenland und die EU-Hilfsprogramme den Kopf schütteln: Was ist eigentlich das Problem, da doch scheinbar alle das Gleiche wollen, nämlich den griechischen Staatshaushalt ordnen und Griechenland in der Währungsunion halten? Einen »Grexit« wünschen sich weder die griechische Regierung noch die EU-Partner. Warum also ziehen sie nicht an einem Strang – zumindest nicht in dieselbe Richtung? Weil das Vertrauen fehlt. Keine Seite traut der anderen. Die Griechenland-Krise zeigt im Negativen, wie wertvoll Vertrauen ist, auch dort, wo es nur um nackte Ökonomie zu gehen scheint. Vertrauen reduziert Komplexität, sagte der Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998). Gerade in einem Riesengebilde wie der Europäischen Union ist die Zukunft »übermäßig komplex« (Luhmann): Kein Mensch kann alle Möglichkeiten antizipieren. Die griechische Regierung und die EU-Partner versuchen es trotzdem, schreiben lange Listen mit Bedingungen und Reformversprechen – und werden dann alle paar Monate wieder von der Wirklichkeit überholt. Die Misere kann jedem eine Lehre sein, es selbst besser zu machen: seine persönlichen und geschäftlichen Beziehungen so …

HOHE LUFTpost – Alter, Vorurteile und Sprache

HOHE LUFTpost vom 20.02.15: Alter, Vorurteile und Sprache Geschlechterklischees sind von gestern. Rassenklischees sind von vorgestern. Aber eine andere Sorte von Vorurteilen bleibt lebendig wie eh und je: die Stereotypen des Alters. Jeder Mensch wird alt, aber kaum einer möchte “alt” genannt werden. Die Sprache, mit der wir über Menschen über 50 reden, weckt fast nur negative Konnotationen. Alt ist gleich senil, tattrig, von gestern. Jung ist saftig, sexy, cool. Stereotypen sind meistens dumm, aber die Diskriminierung des Alters ist besonders bescheuert, weil sie wirklich jeden mal betrifft, so unweigerlich, wie die Telomere an den Enden unserer Chromosomen zerbröseln. Laut Umfragen fühlen sich die allermeisten Menschen über 50 nicht “alt” im negativen Sinn. Dank der guten Lebensbedingungen unserer Zeit sind sie fit und leistungsfähig. In unserer Arbeitswelt gibt es genügend Aufgaben für sie – oder gäbe, wenn sie denn gemäß ihren Fähigkeiten behandelt würden. Nicht die Alten sollten ausrangiert werden, sondern die Altersdiskriminierung. Die interessante Frage ist, wie das gehen soll mit dem Ausrangieren von Stereotypen. Ich glaube, hier kann die Philosophie helfen. Die Welt ist das, worüber wir …

HOHE LUFTpost – Der Witz an der Vergebung

HOHE LUFTpost vom 13.02.15: Der Witz an der Vergebung Welche Fähigkeit schätzen Sie am meisten an Ihren Mitmenschen? Eine Bekannte stellte mir diese Frage letzthin. Ich hörte mich selbst antworten: »Die Fähigkeit, zu vergeben«. Natürlich verlangte sie eine Begründung. Nun musste ich nachdenken. Was bedeutet es überhaupt, jemandem etwas zu vergeben? Zunächst einmal etwas anderes, als etwas zu entschuldigen. Vergebung beginnt erst dort, wo es keine Entschuldigung mehr gibt. Wer jemandem etwas vergibt, der hält es ihm nicht mehr vor, obwohl die Schuld bleibt. Auf den ersten Blick ist die Entschuldigung das schlüssigere Konzept: Schwamm drüber, vergessen wir es! Doch dann nimmt man den Schuldigen nicht mehr für ganz voll, denn man entbindet ihn der Verantwortung für sein Tun. Vergebung ist die Kunst, die Schuld und die Verantwortung des anderen anzuerkennen – und dennoch die Beziehung zum anderen nicht von ihnen zerstören zu lassen. »Was du getan hast, war nicht OK. Aber ich empfinde keine Abneigung gegen dich.« Das »Aber« ist wesentlich. Vergebung hat etwas Paradoxes. Sie erzeugt eine Spannung, die der Vergebende aushalten muss. …

HOHE LUFTpost – Menschen und andere Tiere

HOHE LUFTpost vom 06.02.15: Menschen und andere Tiere Wir Menschen haben die Neigung, Tiere zu vermenschlichen – außer bei ihren Rechten. Wir sperren sie ein, wir essen sie, wir experimentieren mit ihnen. Wer so mit anderen Menschen umginge, würde als Unmensch verurteilt. Stehen nichtmenschlichen Tieren Menschenrechte zu? Mit dieser Frage befasste sich im Dezember ein amerikanisches Gericht. Tierrechtler hatten im Namen von vier Schimpansen geklagt, die ihrer Ansicht nach zu Unrecht in Zoos festgehalten werden. Schimpansen seien ähnlich schlau und empfindsam wie Menschen, daher müssten sie gleiche Rechte haben. Das Gericht lehnte die Klage ab. Zu jedem Recht gehörten auch Pflichten, argumentierte es, etwa Unterwerfung unter das Rechtssystem und soziale Verantwortung. Da die Schimpansen diese Pflichten nicht wahrnehmen könnten, seien sie keine Personen. Ich habe den Verdacht, da ist etwas schiefgegangen, auch auf Seiten der Tierrechtler. Die Rechte von Tieren können sich nicht darauf gründen, dass sie den Menschen ähnlich sind. Es ist nun mal nicht zu leugnen, dass es wesentliche Unterschiede zwischen Menschen und anderen Tieren gibt. Die größten Unterschiede liegen in der Vernunftbegabung …

HOHE LUFTpost – Engel mit Killerinstinkt

HOHE LUFTpost vom 30.01.15: Engel mit Killerinstinkt Es ging wüst zu im alten Dänemark. Ein internationales Forscherteam hat Skelette aus alten Friedhöfen untersucht und dabei Spuren eines überaus rauen zwischenmenschlichen Umgangs entdeckt. An jedem elften Schädel fanden sie eine verheilte Fraktur, vor allem an Männerschädeln. Offenbar wurden Streitigkeiten damals deutlich häufiger als heute mit kräftigen Schlägen auf den Kopf geklärt. Warum werden Menschen gewalttätig? Liegt es in ihrer Natur, oder an den Umständen? Diese Frage ist so alt wie die exhumierten Skelette. Thomas Hobbes (1588–1679) war überzeugt, dass der Naturzustand des Menschen in einem brutalen »Krieg aller gegen alle« bestehe. Dagegen glaubte Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), dass Menschen von Natur aus die Harmonie suchen und am liebsten Hand in Hand über Blumenwiesen tanzen. Die heutige Verhaltensforschung neigt eher zu Hobbes. Schimpansen, die nächsten lebenden Verwandten des Homo sapiens, sind kriegerisch. Wenn Mitglieder verschiedener Clans aufeinandertreffen, gibt es üblicherweise Tote. Die Autoren eines kürzlich erschienenen und vielbeachteten Papers im Wissenschaftsjournal Nature zum tödlichen Aggressionsverhalten von Schimpansen führen das menschliche Kriegsunwesen auf unsere Verwandtschaft mit ihnen zurück. Tatsächlich …