HOHE LUFTpost vom 30.01.15: Engel mit Killerinstinkt
Es ging wüst zu im alten Dänemark. Ein internationales Forscherteam hat Skelette aus alten Friedhöfen untersucht und dabei Spuren eines überaus rauen zwischenmenschlichen Umgangs entdeckt. An jedem elften Schädel fanden sie eine verheilte Fraktur, vor allem an Männerschädeln. Offenbar wurden Streitigkeiten damals deutlich häufiger als heute mit kräftigen Schlägen auf den Kopf geklärt.
Warum werden Menschen gewalttätig? Liegt es in ihrer Natur, oder an den Umständen? Diese Frage ist so alt wie die exhumierten Skelette. Thomas Hobbes (1588–1679) war überzeugt, dass der Naturzustand des Menschen in einem brutalen »Krieg aller gegen alle« bestehe. Dagegen glaubte Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), dass Menschen von Natur aus die Harmonie suchen und am liebsten Hand in Hand über Blumenwiesen tanzen.
Die heutige Verhaltensforschung neigt eher zu Hobbes. Schimpansen, die nächsten lebenden Verwandten des Homo sapiens, sind kriegerisch. Wenn Mitglieder verschiedener Clans aufeinandertreffen, gibt es üblicherweise Tote. Die Autoren eines kürzlich erschienenen und vielbeachteten Papers im Wissenschaftsjournal Nature zum tödlichen Aggressionsverhalten von Schimpansen führen das menschliche Kriegsunwesen auf unsere Verwandtschaft mit ihnen zurück. Tatsächlich leben wir, global betrachtet, in unfriedlichen Zeiten. Angesichts der vielen gewaltsamen Konflikte weltweit erwog das Nobel-Kommittee in Oslo sogar, den Friedenspreis 2014 erstmals seit 42 Jahren nicht zu vergeben.
So könnte man zu dem Schluss kommen, dass wir alle Killer sind, deren bösartiges Wesen nur durch ein dünnes Zivilisationsmäntelchen verdeckt wird. Aber ich glaube, das wäre zu schnell geschlossen. Auch Rousseau hat einen Teil der Wahrheit getroffen. Menschen lieben den Frieden nicht weniger als den Krieg. Ihr Konfliktverhalten wird nicht entweder von den Genen oder von den Lebensumständen bestimmt, sondern von einem Zusammenspiel beider Faktoren – und ebenso bei Schimpansen. Manche Kritiker des Nature-Papers vermuten, dass das ruppige Verhalten der Schimpansen auf menschliche Störeinflüsse zurückgeht, etwa auf Füttern und Waldrodung.
Die Gene haben wir nicht in der Hand. Sehr wohl aber die Umstände, unter denen diese Gene ihre Wirkung entfalten. Ob der Engel in uns herauskommt, oder der Killer, hängt davon ab, wie wir unsere Welt gestalten.
– Tobias Hürter