HOHE LUFTpost vom 13.03.15: Frühling und Fortschritt
Endlich ist er da, der Frühling. Immer gleich, immer ersehnt, und jedes Mal ein Erlebnis. Damit passt der Frühling nicht recht in unser gängiges Geschichtsverständnis, nach dem es stets vorangehen muss. Die Wirtschaft muss wachsen, die Zahlen müssen besser werden, und die Smartphones noch flacher. Wir sind Fortschrittsjünger.
Zu anderen Zeiten dachten die Menschen nicht so. Im alten Ägypten blieb 3000 Jahre lang alles mehr oder weniger gleich. Eine Pharaonendynastie folgte auf die nächste, und alle Jahre wieder kam das Nilhochwasser. Fortschritt? Wohin? Wozu?
Auch in der Neuzeit, als der Fortschritt seinen Lauf nahm, dachten die Historiker zunächst eher zyklisch als linear. Der italienische Philosoph Giambattista Vico (1668–1744) sah die Menschheitsgeschichte als ewigen Kreislauf. Ähnliche Vorstellungen finden sich im Denken Friedrich Nietzsches (1844–1900) und in fernöstlichen Religionen.
Das Fortschrittsdenken ist also weniger selbstverständlich, als wir es manchmal nehmen. Und der Frühling zeigt, wie schön und lebendig das Immergleiche sein kann.
– Tobias Hürter