Alle Artikel mit dem Schlagwort: featured

Die Corona-Kohorte

Junge Menschen vielleicht zwischen 15 und 25 Jahren wurden zu Anfang der Corona-Krise oft kritisch beäugt als eine Gruppe, die sich vergleichsweise sicher fühlt und in der einige lieber Corona-Parties feierten, statt Abstand zu halten. Unser Autor ist Anfang 20 und hat aufgschrieben, was diese Krise für ihn und das Lebensgefühl seiner Generation bedeutet. Wer in den letzten 20 oder 30 Jahren geboren wurde hatte weltgeschichtlich ein relativ langweiliges Leben. Da hilft es auch wenig, dass man in zwei Jahrtausenden gelebt hat. Zum Glück lebt man in der Regel auch nicht für die Weltgeschichte. Den meisten ist es wichtiger, ein gutes Leben führen zu können, Zeit für Freunde zu haben und sich dem widmen zu können, was einem wichtig ist. Manchen liegt viel an guten Abschlüssen und beruflichen Leistungen, andere leben für ihr Hobby. Welchen Weg man geht, das ist nicht immer eine Entscheidung, bei der nur die eigenen Vorstellungen ins Gewicht fallen. Eltern, das Portemonnaie und Normen tun das ihrige. Aber das Leben ist – historisch betrachtet – in höherem Maße eine Frage der …

#Pandemokratie: Was wir sonst tun können

Die Ausgangsbeschränkungen greifen. Sie tun dies aber nicht ohne Einschnitte in den Alltag, die auf Dauer das Zusammenleben strapazieren dürften. Familien auf eingeengtem Raum, stillgelegte Freundschaften und entleerte Freizeitgestaltung – auch wenn das zur Stunde geboten ist, kann es kein Dauerprogramm sein. Deshalb haben wir gefragt, was man neben Händewaschen und Abstand halten noch tun kann, um Corona zu bekämpfen. Egal wie drastisch politische Maßnahmen ausfallen, ihrer Reichweite und Wirksamkeit sind durch die Akzeptanz in der Bevölkerung Grenzen gesetzt. Deshalb brauchen wir eine Kultur, die ein gutes Leben mit Corona fördert. Der wichtigste Imperativ bleibt natürlich: Die Krankheit eindämmen! Eine gute Tat ist deshalb vor allen Dingen eine „saubere“. Anstand zeigen bedeutet Abstand halten. Das Gute in die Welt tragen heißt zu Hause bleiben. Das ist vielen mittlerweile klar, noch ist es aber noch nicht überall angekommen. Anderes hingegen bleibt kontrovers: Handelt man im Dienste des Gemeinwohls, wenn man die Ewig-Trotzigen, die in Gruppen zusammensitzen und Hygieneregeln missachten, zur Rede stellt? Wäre es vielleicht sogar richtig, ihr Fehlverhalten der Polizei zu melden? Was sonst überzogen …

Virologische Realität

„Wie ein Film“ fühle sich die Corona-Krise an, sagen derzeit viele. Tatsächlich hat sich eine Art „virologische Realität“ vor unsere Augen und damit vor andere Teile unserer Lebensrealität geschoben. Corona hat unser Leben umgekrempelt bis in viele Kleinigkeiten. Alles was man anfassen kann etwa, ist plötzlich unser Feind. Das Virus hat uns zur Hygiene getrimmt, wir drücken Türklinken mit dem Ellenbogen herunter und ermahnen uns, wenn uns beim Einkauf die Hand kurz ins Gesicht fährt. Corona hat die Gestaltung des Alltags zu einer Sache von Hygiene und Abstand gemacht und alles andere an den Rand gedrängt. Der Artikel über den US-Wahlkampf liegt entwertet neben den ganzen Neuigkeiten zu Corona. Bietet er noch irgendetwas, über das zu berichten für unser Leben von Belang wäre? Neben dem um die 200 Nanometer großen Erreger wirkt alles andere belanglos und unwichtig. Die Pandemie hat unsere Aufmerksamkeit eingegrenzt auf die virologische Wirklichkeit, auf Infektionsstatistiken und Strategien zur Kontaktreduktion. Und somit alles andere – beruflichen Erfolg, andere politische Problemfelder, den Freundeskreis wie auch persönliche Pläne – zu Realitäten zweiter Ordnung gemacht. …

Was die Pandemie uns sagt

Der 91-jährige Freiburger Philosoph Rainer Marten, einer der letzten Schüler Martin Heideggers, über die Spaßgesellschaft, die Zufälligkeit des Lebens – und den Sinn der Corona-Krise.   Vor der sich seit Anfang 2020 ausbreitenden Coronavirus-Seuche sind „alle Völker“ gleich. Mit der Zeit wird sie jedes Land auf der Erde heimsuchen. Unter den sehr Alten und Kranken als den Gefährdetsten breitet sich eine abschiedliche Stimmung aus. Lebensgemeinschaften droht der endgültige Weggang des Einen und Anderen. Die Endlichkeit aller menschlichen Dinge bringt sich mit Nachdruck in Erinnerung. Wie anders steht es doch um den Mond! Verlässlich begleitet er mit seinem Zunehmen, seiner Fülle und seinem Abnehmen seit Menschengedenken die Erde und wird es weiterhin tun. Mitte März 2020 steht er am frühmorgendlichen Himmel in Freiburg über dem Sternwald: als Halbmond, ganz weiß, durch den runden Bogen des A als abnehmend gezeichnet. Heute löst er, ganz überraschend, ein Treueerlebnis aus – der Treue zur Erde und zu denen, die ihn mit Augen suchen und finden. Die Seuche berührt ihn nicht, nicht ihre dissoziierende Macht. „Keine sozialen Kontakte!“ Wer jetzt …

Die Corona-Krise – Über die Vereinbarung des Unvereinbaren

Es war schon vorher da, aber so richtig fing es mit einer Konzertabsage an. Am Freitag, dem 13. wurde ein Konzert abgesagt, das ich am Samstag eine Woche später besucht hätte. Samstags drauf hätte ich an einem Literaturfestival gearbeitet. Auch das wurde abgesagt. Am Sonntag habe ich Bücher aus der Bibliothek der Universität Konstanz geholt. Einen Tag später wäre mir das kaum mehr möglich gewesen. Es wurde auf Notbetrieb umgestellt. Ein weiteres Hindernis hätte sich dazwischen gestellt. Als Schweizer Staatsbürger, wohnhaft in Kreuzlingen, hätte ich die Grenze nach Konstanz nicht mehr einfach so passieren können. In allerkürzester Zeit ist eigentlich alles anders geworden. So erging es wohl allen. Wir mussten unser Leben einem Virus anpassen. Dessen unsichtbare Anwesenheit ist überall spürbar. Unsere Lebens- und Gedankenführung haben wir ihm vollständig unterordnen müssen. Folglich ist es sowohl um die Kausalität wie auch um das Kräfteverhältnis eher umgekehrt bestellt: Das Virus hat unser Leben an sich angepasst. Aktuell befindet sich eine doch recht weit vorangeschrittene Gesellschaft in Geiselhaft eines krankmachenden, im schlimmsten Fall tödlichen Virus. Wie konnte das …

Elende Organisation!

Organisationen können furchtbar bürokratisch, ineffizient und dumm sein. Ein Gedankenexperiment kann helfen, das Problem besser zu verstehen. Sagte jemand: »Diese Fabrik ist eine komplexe Organisation«, so würde ich antworten: »Nein, das ist ein Gebäude mit vielen Gegenständen darin.« Denn Organisation ist die Verknüpfung von Tätigkeiten zu einem bestimmten Zweck. Nach dieser Definition ist Organisation immer Organisieren – eine ideologische, das heißt an Interessen ausgerichtete Tätigkeit, mit der man sich die Welt so machen will, wie sie einem gefällt. Das Fabrikgebäude ist der Ort einer Organisation, wenn dort produziert wird: Tätigkeiten werden dazu zweckmäßig verknüpft. Wird die Belegschaft entlassen und die Fabrik geschlossen, so ist es mit dieser Organisation vorbei. Nach dieser Sicht ist die Horde der Altsteinzeit ebenso eine Organisation wie heutige Parteien, Firmen und Armeen. Aber auch kleine, viel speziellere Gebilde wie Pekipgruppen oder Kegelvereine sind Organisationen. Es ist fraglich, ob es überhaupt Kulturleistungen gibt, die nicht Organisationen in meinem Sinne sind. Dazu passt, dass das Konzept »Organisation« als gedanklicher Zugang zur sozialen Welt völlig unumstritten ist. Wir finden dies »gut« und jenes »schlecht …

HOHE LUFT kompakt – Führen in Zeiten des Wandels

»Metanoia« steht auf unserem neuen Sonderheft – was heißt das? Metanoia bezeichnet eine innere Umkehr: eine Neu­orien­tierung. In Zeiten des Wandels »erfolgreich« zu führen heißt, sein Tun regelmäßig von reflexiven Blitzen durchzucken zu lassen. Aber wie geht das? Wie trifft man Entscheidungen in Situationen, die scheinbar keine Entscheidung zulassen? In einer durch und durch volatilen Welt hat diese Frage für Führungskräfte und Unternehmen, die gleichermaßen innova­tionsfähig wie menschlich agieren wollen, oberste Priorität. Im neuen HOHE LUFT kompakt erfahren Sie, was die Kunst der Entscheidung unter den Bedingungen des digitalen Kapitalismus ausmacht; was Entscheidungen »notwendig« macht; und warum es gut sein kann, auch mal die Situation selbst »entscheiden« zu lassen. Themen im neuen Sonderheft sind unter anderem außerdem: Machiavelli für Führungskräfte Im Organisationstheater Kann der Kapitalismus das Klima retten? Die Ambivalenzen der Macht Dionysische Disruption Das selbstfahrende Unternehmen Die Intensität des Digitalen Dieses Heft entstand in Kooperation mit dem Berliner Institut für Wirtschaftsgestaltung, einem gemeinnützigen Thinktank für philosophische Wirtschaftsforschung. Wir konnten hochkarätige Autoren und Experten aus Wirtschaft und Philosophie gewinnen, die auch als Unternehmensberater tätig sind …

Unser digitales Image

Wenn jemand bei Facebook „postet“, dann löst er etwas von sich ab, und unterstellt es der Begutachtung und Bewertung all jener, denen der Einblick gewährt ist. Diese Ablösung vollzieht sich ohne dasjenige, was nunmehr einsehbar durch den Stream läuft, ganz von sich abtrennen zu können. Man erfährt eine Verdoppelung: Einen dafür ausgesuchten Teil von sich hat man der Öffentlichkeit „zur Verfügung gestellt“, „der Rest“ der Person verbleibt „dahinter“. Deshalb weist, was einem als Aktion erscheint, eher den Charakter einer Re-Aktion auf. Denn wer agiert, um einer (digitalen) Öffentlichkeit etwas von sich zu präsentieren, antizipiert notwendig erhoffte Reaktionen. Nichtsdestoweniger gibt, wer dergestalt re-agiert, etwas von sich frei. Zugleich bleibt er (potentiell) jederzeit mit dem, was einem digitalen Stream übermittelt worden ist, in Verbindung. Insofern steht das Gepostete einerseits unkontrollierbar im Netz; da man andererseits darauf reagieren kann, bleibt es zugleich jederzeit kontrollierbar. Obschon wir außerstande sind, unsere Hand an ihm zu benetzen, ist das Bild des Flusses für den Stream überaus zutreffend. Dieser Fluss fließt durch die Mitte all jener, die ihn dadurch, dass sie Informationen …

Die Wissenschaft vom richtigen Leben

Weisheit war bis vor Kurzem die Domäne der Philosophen. Jetzt entdecken Ökonomen und Psychologen sie neu. Ist das gut?   Der Physiker Paul Frampton ist ein Mann von Welt. Er hat die britische und die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er war »Distinguished Professor of Physics and Astronomy« an der University of North Carolina in Chapel Hill. Seine Entwürfe einer »Theorie für alles« inspirierten eine Reihe von Experimenten am LHC, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt am Europäischen Kernforschungszentrum Cern bei Genf. Wie kommt solch ein hochintelligenter Mann dazu, sich an einem argentinischen Flughafen mit zwei Kilogramm Kokain im Koffer erwischen zu lassen? Im Jahr 2011, im Alter von 67 Jahren, begann Frampton mit Online-Dating. Bald entspann sich ein Kontakt zu einem Model namens Denise Milani, die im Internet kein Geheimnis aus der Größe ihrer Brüste machte. Dann lud Milani den Physiker ein, sie bei einem Shooting in Bolivien zu besuchen. Frampton flog hin, fand dort aber keine Milani vor, sondern nur eine Nachricht, sie sei ­bereits nach Argentinien weitergereist. Ob er nachkommen und ihren Koffer, den sie leider …

Die Macht der Körper

Der Feminismus ist präsent wie nie – auf dem Buchmarkt, in der Mode und in den sozialen Medien, und er wird zugleich heftig kritisiert. Zeit für eine Bestandsaufnahme, nicht der Geschlechtergerechtigkeit, sondern des Kampfes dafür. Wie steht es um den modernen Feminismus? Vor ein paar Monaten feierte »Sex and the City« Geburtstag: Zwanzig Jahre ist es her, dass die Serie zum ersten Mal im Fernsehen lief und in Folge zum Mega-Hit und kulturellen Fixpunkt mehrerer Generationen junger Frauen wurde, die die Serie auch für ihren Feminismus feierten. Schließlich dreht sie sich um vier New Yorker Freundinnen, allesamt: erfolgreich im Job, finanziell unabhängig, sexuell selbstbewusst und mit zahlreichen Affären beschäftigt, über die sie auch offen diskutieren. In einer Interview-Reihe des »Guardian« über die Serie schwärmte ein Fan: »Endlich konnte man über Vibratoren sprechen.« Das war 2003. Doch als jetzt, anlässlich des Jubi­läums, zurückgeschaut wurde, waren viele Frauen – nicht selten die gleichen, die in der Serie damals eine Befreiung sahen – irritiert. Vielen erscheint sie nun gar nicht mehr so feministisch. Sie stören sich daran, dass …