Alle Artikel in: Gesellschaft

Na logisch! Der Pappkamerad

Na logisch #3: Der Pappkamerad. Kolumne von Daniel-Pascal Zorn Wenn Sie mit jemandem ernsthaft über ein Thema diskutieren und auf seine oder ihre Argumente antworten wollen, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit besteht darin, sich auf den Wortlaut seines Arguments zu beziehen. Die zweite Möglichkeit ist, sein Argument noch einmal mit eigenen Worten zu wiederholen und auf diese Wiederholung zu antworten. Die erste Möglichkeit führt oft zu Nebendiskussionen über Formulierungen, die als „Wortklaubereien“ wahrgenommen werden. Die Wiedergabe eines Arguments mit eigenen Worten, so die Vorstellung, zeigt an, dass man es auch richtig verstanden hat.

HOHE LUFTpost – Die »abscheuliche« Folgerung

HOHE LUFTpost vom 30.10.15: Die »abscheuliche« Folgerung Soll man Kinder kriegen? Für viele Menschen bedeutet diese Frage einen Scheideweg in ihrem Leben. Auch Philosophen denken darüber nach. Der Ethiker Torbjörn Tännsjö, Professor an der Universität Stockholm, hat gerade einen Essay dazu veröffentlicht. Er kommt zu dem, was in der Philosophie »die abscheuliche Folgerung« (repugnant conclusion) genannt wird: Kinderkriegen ist eine moralische Pflicht. Möglichst viele Kinder! Wer sich der ungebremsten Fortpflanzung verweigert, handele schlecht. Tännsjös Argument ist ziemlich einfach: Das Leben der meisten Menschen ist überwiegend glücklich. Wer Menschen in die Welt setzt, vermehrt also das Glück. Wer sie aber ungezeugt lässt, verwehrt ihnen das Glück. Klingt recht einleuchtend – allerdings kommen sogenannte Antinatalisten nach demselben Muster zum entgegengesetzten Schluss: Kinderkriegen ist schlecht. Denn leben bedeute leiden, wer also Kinder in die Welt setzt, vermehrt das Leid. Wer hat nun recht, Natalisten oder Antinatalisten? Keiner von beiden. Die moralisch optimale Kinderzahl variiert von Mensch zu Mensch und liegt meist weder bei Null noch bei Unendlich, sondern irgendwo dazwischen. Der Fall der »abscheulichen« Folgerung und ihres Gegenstücks offenbart den …

Die Perfidie des Pirinçci

Auf der Versammlung anlässlich des einjährigen Jubiläums der islamfeindlichen Pegida hielt der ehemals als Katzenkrimi-Autor bekannte Schriftsteller Akif Pirinçci eine flammende Hassrede. Sein Satz „Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“ hat heftige Reaktionen ausgelöst. Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn ist der Ansicht, das schlimmste an der Rede sei die Verkehrung von Täter und Opfer, die sich in der Rhetorik vieler aufstrebender Rechtspopulisten finden lässt. 

Fehler machen schön

Kolumne »Schöne Gedanken« »Perfekte Schönheit«, das ist ein etablierter Begriff. Aber er ist auch verdächtig. Ist das, was wir schön finden, was uns anzieht, was wir lieben, wirklich perfekt? Ich bestreite das. Anziehend und liebenswert sind oft gerade die kleinen Fehler. Perfektionismus tötet lebendige Schönheit. »Perfektionismus ist die Stimme des Unterdrückers«, schreibt die amerikanische Schriftstellerin Anne Lamott, »der Feind der Menschen. Er hält uns für immer verkrampft und verrückt.« Sie meinte damit vor allem ihre Arbeit als Autorin – doch ich glaube, es gilt für jede Form von Kreativität und Ästhetik. Fehler machen schön! – Tobias Hürter

HOHE LUFTPOST – ENHANCEMENT AUF BAYERISCH

HOHELUFTpost vom 25.09.2015: Am letzten Wochenende fanden zwei bemerkenswerte Ereignisse statt: In Lech am Arlberg kamen kluge Leute zum Philosophicum zusammen und diskutierten über die Möglichkeiten und Gefahren des »Enhancement«, also der Verbesserung des Menschen mit technischen Mitteln. Und in München begann das Oktoberfest. Hier gelehrte Vorträge und Diskussionen – dort Blasmusik und Bier in Strömen. Auf den ersten Blick haben Philosophicum und Oktoberfest rein gar nichts miteinander zu tun. Auf den zweiten Blick doch einiges. Zwar ging es in Lech mehr um neue Entwicklungen wie Anti-Aging und Gehirnimplantate. Doch Alkohol ist einer der ältesten »Enhancer« der Kulturgeschichte, und neben Koffein der wohl am weitesten verbreitete. Er macht zwar weder schlauer noch schöner (abgesehen vom »Schönsaufen«), hilft jedoch bei der Bewältigung wichtiger sozialer Aufgaben. Unzählige Partnerschaften, Freundschaften und Verträge wären ohne ihn nicht zustandegekommen. Der Moralphilosoph Richard Egenter sprach von der »sozialen Funktion des Alkohols«. Auf dem Oktoberfest zeigt sich diese Funktion besonders eindrucksvoll. Zeitweise eine Million feiernde Menschen drängen sich auf der Theresienwiese, mehr als zwei pro Quadratmeter, und doch passiert erstaunlich wenig. Der …

HOHE LUFTPOST – Weil halt!

HOHELUFTpost vom 18.09.2015: Der Fall der amerikanischen Stadtschreiberin Kim Davis wird derzeit heftig diskutiert, und auch Philosophen kann er Kopfzerbrechen bereiten. Es ist ein Testfall für die Frage, was es bedeutet, richtig zu handeln. Nachdem der Oberste Gerichtshof die Homo-Ehe mit der Hetero-Ehe gleichgestellt hatte, weigerte Davis sich, in ihrem Bezirk noch Ehebescheinigungen auszustellen, und verbot dies auch ihren Mitarbeitern. Das neue Rechtsverständnis widerspreche »Gottes Definition von Ehe«, erklärte Davis, die sich zum apostolischen Christentum bekennt. Sie wurde in Haft genommen, aber nach ein paar Tagen wieder entlassen – und kehrte in ihr Amt zurück. Sie kann nicht gefeuert werden, da sie von den Bürgern gewählt wurde. Wann also handelt ein Mensch richtig? Wenn er tugendhaft handelt, sagte Aristoteles. Wenn er dem »inneren Gerichtshof« seines geprüften Gewissens folgt, sagte Immanuel Kant. Beides kann man Davis zuschreiben. Sie zeigte sich tapfer und nahm für ihre Überzeugung einiges auf sich. In gewisser Hinsicht ist sie auch gerecht, da sie homosexuelle und heterosexuelle Paare gleich behandelt. Dennoch glaube ich, dass Davis falsch handelt. Aber nicht, weil sie gegen …

HOHE LUFTPOST – Ein neuer Einstein?

HOHELUFTpost vom 11.09.2015: Vor hundert Jahren geschah eine der größten wissenschaftlichen Revolutionen der Geschichte: Albert Einstein veröffentlichte seine allgemeine Relativitätstheorie und eröffnete uns damit die Erkenntnis, dass die allgegenwärtige Schwerkraft gar keine Kraft im üblichen Sinn ist, sondern ein Nebenprodukt des gekrümmten Raums. Einstein war der letzte Wissenschaftler, der solch einen gewaltigen Erkenntnisschritt im Alleingang vollbrachte. Wann kommt endlich ein neuer Einstein? Ich vermute: wohl gar nicht mehr. Solche wissenschaftlichen Einzelleistungen sind nicht mehr möglich. An Talenten würde es nicht Mangeln. Der amerikanische Theoretiker Edward Witten beispielsweise hat wohl nicht weniger mathematische Begabung als Albert Einstein – und er tüftelt seit Jahrzehnten an einer noch allgemeingültigeren Theorie. Aber nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit vielen anderen Forschern. Diese Unternehmung ist zu komplex für ein einzelnes Gehirn. Es gibt aber noch einen anderen Grund. In unserer Gesellschaft haben Wissenschaftler nicht mehr den Status, den sie zu Einsteins Zeiten hatten. Einstein war nicht nur ein grandioser Physiker, sondern auch ein eine gewichtige politische Stimme, eine moralische Autorität – und ein Popstar. Ob zu Recht oder nicht, so …

HOHE LUFTPOST – Kindersegen – oder Fluch?

HOHELUFTpost vom 04.09.2015: Deutschland erlebt einen kleinen Babyboom: Letztes Jahr kamen 715000 Kinder zur Welt, hat das Statistische Bundesamt jetzt bekanntgegeben. Das ist eine Steigerung von 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und so viel wie wie seit 2002 nicht mehr. Viele Menschen halten das für eine erfreuliche Nachricht, aber nicht alle. Es gibt Philosophen, die Kinderkriegen für grundsätzlich ethisch bedenklich halten. Zu ihnen gehört die Kanadierin Christine Overall, die vor ein paar Jahren ein Buch mit dem Titel »Why Have Children?: The Ethical Debate« geschrieben hat. Overall zerlegt ein Argument nach dem anderen dafür, Kinder zu kriegen. Zum Beispiel jenes, es sei »natürlich«, Kinder zu kriegen. Menschen tun alle möglichen Dinge, die man unnatürlich nennen kann: Autofahren und Kariesprophylaxe zum Beispiel. Natürlichkeit ist in dieser Frage kein hilfreicher Maßstab. Oder jenes Argument, man würde dem Kind etwas Gutes tun, indem man es kriegt, da man ihm all die schönen Erfahrungen beschert, die das Leben bereithält: Rad fahren, Eis essen, Sex haben (später mal). Aber zum Zeitpunkt der Entscheidung gibt es das Kind noch nicht, …

HOHE LUFTpost – Prostitution

HOHE LUFTpost vom 21.08.2015: Prostitution Deutschland hat ein ziemlich freizügiges Prostitutionsgesetz. Seit Jahren wird über eine Novellierung diskutiert. Die große Koalition hat sich das 2013 ausdrücklich vorgenommen. Doch geschehen ist bisher nichts. Besonders von Frauenrechtlerinnen und -rechtlern kommt immer wieder die Forderung nach einem generellen Prostitutionsverbot. Verständlich angesichts der traurigen Wirklichkeit der Prostitution mit all ihrem Zwang und ihrer Ausbeutung. Doch solch ein Verbot ist auch fragwürdig. Das Sexualleben eines Menschen gehört zu seinem privatesten Bereich. Prinzipiell soll jeder ins Bett gehen dürfen mit wem er will und warum er will, solange dabei mündige Menschen einvernehmlich handeln. Wenn es für Geld ist, dann ist es ihre Sache. Nun gibt es den Einwand, dass es einen Menschen zum Objekt degradiert, wenn man ihm so etwas Intimes wie Sex abkauft. Doch diesen Einwand kann ich nicht gelten lassen. Schriftsteller verkaufen ihre intimen Gedanken. Therapeuten verdingen sich als Freund. Und so gut wie niemand will ihre Arbeit verboten sehen. Nein, ich kenne kein wirklich gutes prinzipielles Argument für ein Prostitutionsverbot. Aber ein praktisches: Die real existierende Prostitution ist in …

HOHE LUFTpost – Hitchbot

HOHE LUFTpost vom 14.08.2015: Hitchbot Die Aufregung war groß, als letztes Jahr die Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo getötet wurde. Eine Welle der Empörung und der Mitgefühls mit dem Tier ging um die ganze Welt. Nun ist wieder etwas Ähnliches geschehen: Der autonome Roboter Hitchbot wurde auf seiner Tour durch die USA per Anhalter von Unbekannten misshandelt und geköpft. Ein Rettungsversuch kam zu spät, die kleine Maschine war nicht mehr reparabel. Wieder war das Internet voller Mitgefühl. Mitgefühl? Mit einem – ausgesprochen einfach konstruierten – Roboter? Im strengen Sinn geht das natürlich nicht. Wir wissen nicht, wie es ist, ein Roboter zu sein. Wir wissen aber auch nicht, wie es ist, eine Giraffe zu sein. Ganz strenggenommen wissen wir bei keinem anderen Menschen, wie es ist, sie oder er zu sein. Und dennoch reden wir sinnvollerweise von Mitgefühl. Offenbar hängt das weniger vom Mitgefühlten als vom Mitfühlenden ab. – Tobias Hürter