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Die Perfidie des Pirinçci

Auf der Versammlung anlässlich des einjährigen Jubiläums der islamfeindlichen Pegida hielt der ehemals als Katzenkrimi-Autor bekannte Schriftsteller Akif Pirinçci eine flammende Hassrede. Sein Satz „Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“ hat heftige Reaktionen ausgelöst. Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn ist der Ansicht, das schlimmste an der Rede sei die Verkehrung von Täter und Opfer, die sich in der Rhetorik vieler aufstrebender Rechtspopulisten finden lässt. 

Die Täter-Opfer-Umkehrung – und nicht der aus dem Zusammenhang gerissene Satz „Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“ – ist die eigentliche Widerwärtigkeit von Pirinçcis Rede. Die Selbstopferzuschreibung gehört fest zu einem totalitären Weltbild dazu. Das liegt daran, dass – hat man einmal eine bestimmte (unvollständige, schlecht informierte) Weltsicht verabsolutiert – man sich fortlaufend mit vermeintlichen Widersprüchen konfrontiert sieht. Von da ist der Weg nicht mehr weit zu einer „Verschwörung“, die nur versucht, die „wirklichen Absichten“ zu verbergen und die diejenigen, die „die Wahrheit sagen“ unterdrückt. In dieser Hinsicht ist Pirinçcis Rede wesentlich tiefer in den rhetorischen Mechanismen verankert, die die gesellschaftliche Hinnahme der NS-Verbrechen ermöglicht hat, als die bloß polemische Aufforderung, Asylbewerber in KZ’s oder Arbeitslager zu stecken.

Der faktischen fabrikmäßigen und logistisch geplanten Vernichtung von mehreren Millionen Menschen ging die Wahnvorstellung voran, die „Juden“ würden nicht nur das „deutsche Blut“ verunreinigen, sondern sie würden – mithilfe finanzstarker Hintermänner – versuchen, das „deutsche Volk“ zu unterwandern, auszudünnen und schließlich zu vernichten. „Zuschlagen bevor es der andere tut“ – diese Logik ist die Logik des Totalitarismus, der sich perverserweise ausschließlich dadurch definiert, dass er einen immer noch zu vernichtenden Feind besitzt, der ihn an der endgültigen Umsetzung seines wahnhaften Allanspruches hindert. Der phantasmatische, nur unterstellte, nie faktisch nachgewiesene „Feind“ *) ist notwendige Bedingung des Totalitarismus – nur an seiner Ausrottung kann letzterer sich wirksam erweisen, nur in der fortlaufenden Hysterie von der „drohenden Auslöschung durch den Anderen“ kann sich Totalitarismus überhaupt erst herausbilden.

Der „Feind“ und der „Andere“ sind Figuren, die entstehen, wenn man ein begrenztes „Alles“ für das einzig mögliche hält. Ihr Ausschluss ist die Gewalttat, die das Totale erst ermöglicht – da sie aber Existenzbedingung des Totalitarismus sind, ist die „Auslöschung“ selbst eine Illusion. Jeder totalitäre Dogmatismus wird sich schlussendlich auf sich selbst zurückwenden und sich selbst vernichten – weil die Paranoia das System antreibt.

Das Gefährliche von Pirinçcis Rede besteht also – entgegen vieler Kommentare – gerade nicht darin, dass ein wirrer Hetzer, ein „Einzeltäter“ also, sich die Öffnung der KZ’s zurückwünscht. Das Gefährliche besteht darin, dass diese Rede, gerade weil ihre Täter-Opfer-Umkehr weitestgehend unbemerkt blieb, verdeckt durch den ersten Affekt der Entrüstung, die vielen anderen kleinen und großen Reden, die dieselbe Umkehrung von Tätern und Opfern vornehmen, paradigmatisch verstärkt. „Der Deutsche wird wieder Opfer von Fremden“ – diese Botschaft hat sich wegen des unreflektierten moralischen Beißreflexes der engagierten Öffentlichkeit beinahe ungehindert durchschlagen können. Das vermeintliche Übertreten der roten Linie – es ist, dialektisch betrachtet, ein Etappensieg des Polemikers.

Zu Martin Niewendicks Analyse dieser rhetorischen Dialektik: http://www.tagesspiegel.de/…/rassistische-rhe…/12479374.html
– Daniel-Pascal Zorn
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*) Nur im faktischen Nachweis gelingt der Ausstieg aus der Lager-Logik der Ideologiekritik: Auf der einen Seite steht die apriorische Unterstellung, die dann nach Bestätigung sucht – tun das beide Seiten, bilden sich Lager, die einander gegenseitig Unterstellung und Vernichtungsphantasien vorwerfen. Auf der anderen Seite steht eine Hypothese, die an der Wirklichkeit und der faktischen Analyse geprüft wird. Paradigmatisch wird das deutlich in der „Nazikeule“: Sie wird beklagt als Versuch, pauschale Feindbilder zu konstruieren, also als totalitäre Logik – sie ist aber genau in dem Moment totalitär, wo sie *selbst* nur eine Unterstellung ist, um sich zum Opfer einer totalitären Logik zu konstruieren. Die Prüfung einer Behauptung ist daher auf beiden Seiten unerlässlich, um die Entscheidung zu treffen, ob es sich um eine bloße Unterstellung oder um eine treffende Bezeichnung handelt.

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