Autor: Tobias Hürter

Der amerikanische Wahlkampf und die Philosophie

Der amerikanischen Wahlkampf ist keine sonderlich philosophische Veranstaltung. Es geht eher um »legitimate rape«, manchmal auch um »race«, und das selten in Bedachtsamkeit. Dennoch spielt eine Philosophin eine wichtige Rolle in diesem Wahlkampf: Ayn Rand (1905-1982). Paul Ryan, der Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner, beruft sich seit Jahren immer wieder auf Rand – was ihm jetzt heftige Kritik von seinen Gegnern einbringt. Wofür steht Ayn Rand, und woher kommt ihr politischer Einfluss?

Frage an alle: Wie universell ist die Moral?

Gibt es universell gültige moralische Prinzipien? Das ist eine der großen Streitfragen der Philosophie. Ludwig Wittgenstein und Karl Popper sind sich über diese Frage einmal derart in die Haare geraten, dass Wittgenstein Popper beinah ein glühendes Kamineisen drübergezogen hätte – mehr dazu in der vierten Ausgabe von Hohe Luft, die am 20. September erscheint. Ein Kamineisen ist allerdings kein Argument. Also: gibt es universelle moralische Prinzipien? Ja, behauptet der amerikanische Philosoph Alex Rosenberg. In seinem neuen Buch The Atheists‘ Guide to Reality gibt er Beispiele: Füge einem Neugeborenen kein unnötiges Leid zu! Schütze deine Kinder! Wenn dir jemand etwas Nettes tut, dann solltest du diesen Gefallen ceteris paribus* erwidern. Ceteris paribus sollten alle Menschen gleich behandelt werden. Wenn du etwas verdient hast, dann hast du ein Recht darauf. Es ist zulässig, völlig fremden Menschen den Zugriff auf den eigenen Besitz zu verwehren. Es ist OK, Menschen zu bestrafen, die absichtlich etwas Falsches getan haben. Es ist falsch, Unschuldige zu bestrafen. Hat Rosenberg recht darin, dass diese Prinzipien universell gelten? Wer findet eine Ausnahme, egal ob wirklich oder …

Nicht normal – und nicht verrückt

Anders Behring Breivik wurde vom norwegischen Gericht für geistig gesund erklärt und wegen der Tötung von 77 Menschen im Sommer 2011 zu mindestens 21 Jahren Haft verurteilt. Breiviks geistige Gesundheit war im Lauf des Prozesses heftig umstritten gewesen. Die Staatsanwältin hatte auf unzurechnungsfähig plädiert. Breivik selbst hatte darauf bestanden, gesund zu sein. Auch in der Redaktion von Hohe Luft gab es Diskussionen darum, ob Breivik krank oder gesund ist, im Zuge des Artikels „Wer ist hier verrückt?“ (siehe Hohe Luft 2, Seite 36). Wir kamen zu dem Schluss, dass Breivik zwar völlig nach völlig verqueren Maßstäben denkt und handelt, aber nicht verrückt ist. Er ist sozusagen ethisch krank – aber nicht psychisch krank. Anders Breivik Die Diagnose psychischer Krankheit ist eine schwierige Angelegenheit. Dabei helfen keine Antikörpertests oder Röntgenbilder. Der Goldstandard der psychischen Gesundheit ist das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM). In den 50er Jahren war es eine schlanke Broschüre. Heute ist es 886 Seiten lang und führt 374 psychische Krankheiten auf. Der unbestritten gesunde walisische Journalist Jon Ronson hat es mal zum …

Offiziell: Oktopusse haben ein Bewusstsein

Eine internationale Gruppe von Wissenschaftler hat auf einer Tagung zum Gedenken von Francis Crick die Cambridge Declaration on Consciousness in Non-Human Animals (pdf) paraphiert. Sie spricht weiten Teilen des Tierreichs ein Bewusstsein zu – und nimmt dem Menschen die alte Illusion, das einzig bewusstseinsbegabte Wesen auf Erden zu sein. Früher herrschte der Glaube unter Forschern, dass der Neocortex, den nur Menschen und einige Säugetiere im Schädel haben, eine Voraussetzung für Bewusstsein sei. Diesen Glauben kippt die Deklaration. Alle Säugetiere und Vögel, sogar wirbellose Tiere wie der Oktopus besitzen das neurologische Substrat, das Bewusstsein erzeugt. (Aus der Wikipedia) Die vielleicht erstaunlichste Vermutung in der Erklärung ist, dass Bewusstsein sich in der Evolutionsgeschichte zweimal entwickelt hat: parallel bei Vögeln und Säugetieren. Wenn das stimmt, bedeutet es, dass Bewusstsein keine so außergewöhnliche Eigenschaft von Leben ist – und dass auch außerirdisches Leben, sofern es existiert, mit höherer Wahrscheinlichkeit Bewusstsein entwickeln könnte. – Tobias Hürter

Fassade hier, Fassade dort

Fassade hier, Fassade dort Europa steckt tief in der Krise. Kann die Philosophie den Alten Kontinent retten? Sie versucht es zumindest. Zwei der angesehensten deutschen Philosophen, Jürgen Habermas und Julian Nida-Rümelin, haben gemeinsam mit dem Ökonomen Peter Bofinger einen Text in der FAZ veröffentlicht, in dem sie einen Rettungsplan für Europa skizzieren. Beschwerliche Lektüre, aus der sich eine knappe Devise ziehen lässt: alles oder nichts! Entweder Europa kehrt zurück zu Nationalstaaterei samt D-Mark, Franc und Lire, oder wir machen jetzt mal richtig Ernst mit der europäischen Einigung. Die drei Denker sind natürlich für zweiteres. Sie wollen die politische Einheit tiefer in den Verfassungen verankert sehen. Dazu fordern sie ein Plebiszit, um aus der »marktkonformen Fassadendemokratie« eine echte Demokratie zu formen. So könne sich der Kontinent vom ökonomischen Kummerkind zum politischen Avantgardisten machen. Kann der geballte akademische Intellekt die europäische Einheit retten? Der amerikanische Historiker Perry Anderson bezweifelt es. In einem Essay in der Zeitschrift New Left Review greift er den »europäischen Narzissmus« von Habermas & Co. an. Anderson wirft ihnen vor, sich beim Nachdenken über Europa in einen selbstgefälligen Diskurs verstiegen zu haben, der …

Die Logik der Digestifs

Sechs Logiker gehen gemeinsam essen. Nach dem Dessert fragt der Ober: „Mögt ihr alle noch einen Digestif?“ Der erste Logiker: „Das weiß ich nicht.“ Der zweite Logiker: „Das weiß ich nicht.“ Der dritte Logiker: „Das weiß ich nicht.“ Der vierte Logiker: „Das weiß ich nicht.“ Der fünfte Logiker: „Das weiß ich nicht.“ Der sechste Logiker: „Nein.“ Zum Glück kann auch der Ober logisch denken. Wie viele Digestifs bringt er? Und wem stellt er einen hin? Lösungen bitte in die Kommentare! (Inspiriert von Futility Closet)

Thomas Bernhard über Martin Heidegger

Heidegger ist der Pantoffel- und Schlafhaubenphilosoph der Deutschen, nichts weiter. Heidegger kann ich nicht anders sehen, als auf der Hausbank seines Schwarzwaldhauses, neben sich seine Frau, die ihn zeitlebens total beherrscht und die ihm alle Strümpfe gestrickt und alle Hauben gehäkelt hat. Ich habe eine Reihe von Fotografien gesehen, die ich Ihnen einmal zeigen werde, auf diesen Fotografien steigt Heidegger aus seinem Bett, steigt Heidegger in sein Bett wieder hinein, schläft Heidegger, wacht er auf, zieht er seine Unterhose an, schlüpft er in seine Strümpfe, macht er einen Schluck Most, tritt er aus seinem Blockhaus hinaus und schaut auf den Horizont, nimmt er seine Haube vom Kopf, setzt er seine Haube auf, hält er seine Haube in den Händen, liest er, löffelt er Suppe, schneidet er sich ein Stück (selbstgebackenes) Brot ab, schlägt er ein (selbstgeschriebenes) Buch auf, macht er ein (selbstgeschriebenes) Buch zu, bückt er sich, streckt er sich, und so weiter. Es ist zum Kotzen. (in: Thomas Bernhard, Alte Meister) [NACHTRAG:] Der Soundtrack dazu stammt von Eichhorn/Pigor und ist hier auf Youtube zu …

Sekunden für die Ewigkeit

Heute in Genf entscheidet sich nicht weniger als die Zukunft der Zeit. Die Telekommunikationsbehörde der Vereinten Nationen berät über die Schaltsekunde: Alle paar Jahre halten die Hüter der Zeit für eine Sekunde die Uhren an, um sie im Gleichlauf mit der Sonne zu halten. Das könne die Computer durcheinanderbringen, befürchten die Gegner der Schaltsekunde und wollen sie deshalb tilgen. Eine Lappalie, die nur Pünktlichkeitsfanatiker interessiert, möchte man meinen. Aber tatsächlich geht es um das Wesen des Zeitbegriffs, und um noch mehr. Einst fanden unsere Vorfahren Orientierung und Verlässlichkeit im Lauf der Gestirne. Wir heute schauen kaum mehr auf zu den Sternen. Keine Zeit mehr. Die Maschinen geben den Takt vor. Update: Die Delegierten haben sich vertagt. Auf das Jahr 2015.

Warum Hans Magnus Enzensberger der nächste Bundespräsident werden sollte

Noch heißt unser Bundespräsident Christian Wulff. Aber die Situation ist so, dass man sich schon mal Gedanken machen darf, wer auf Wulff folgen könnte. Die Politiker der Regierungskoalition tun es bestimmt auch schon, auch wenn sie es leugnen, sie müssen es tun, und sie müssen es leugnen. Ein besserer Präsident, darüber dürfte weithin Einigkeit bestehen. Das ist ein bescheidenes Ziel. Ein richig guter Präsident. Schon schwieriger. Wir haben einen Vorschlag: Hans Magnus Enzensberger, Schriftsteller, wohnhaft in München. Dort bewohnt Enzensberger kein biederes Klinkerhaus, sondern eine höchstwahrscheinlich einwandfrei finanzierte Altbauwohnung. Er ist frei von der Hybris der Macht, von der Berufspolitiker wie Wulff vom Seitenscheitel bis zur Sohle durchtränkt sind. Der Unterschied zwischen Enzensberger und Wulff zeigt sich deutlich in ihrem Umgang mit ihren eigenen Fehlern.