Alle Artikel mit dem Schlagwort: Wissenschaft

»Unsicherheit ist ein entscheidender Teil von Wissenschaft und kein Makel«

Sibylle Anderl ist Astrophysikerin, Philosophin und Journalistin. Wir fragten sie, was sie für real hält, vor welchen Herausforderungen die Wissenschaft in einer Pandemie steht und was sie Außerirdische fragen würde, sollte sie ihnen begegnen. Interview: Thomas Vašek Fotos im Heft: Katrin Binner Es gibt wohl nicht viele Philosophinnen, die schon einmal nächtens auf knapp 5000 Meter Höhe in der chilenischen Atacamawüste am Teleskop standen, um den Sternenhimmel zu beobachten. Die Astrophysikerin und Philosophin Sibylle Anderl hat über interstellare Stoßwellen promoviert und arbeitete mehrere Jahre in der Wissenschaft, unter anderem zu Fragen der Sternentstehung und der Philosophie der Astrophysik. Heute ist sie Mitherausgeberin der Politik- und Kulturzeitschrift »Kursbuch« und Wissenschaftsredakteurin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Dort schreibt Anderl über die Forschung zur Coronapandemie, die sie auch als Wissenschaftstheoretikerin vor viele schwierige Fragen stellt. HOHE LUFT: Frau Anderl, sind Sie sicher, dass unsere Interviewsituation jetzt real ist – und dass wir uns nicht in einer Computersimulation befinden? SIBYLLE ANDERL: Das ist in der Tat eine nicht ganz abwegige Frage, die eine lange philosophische Tradition hat. Und in der …

HOHE LUFTpost – Gift oder nicht?

HOHE LUFTpost vom 10. Juni 2016: Gift oder nicht? In Brüssel tobt gerade ein Lobbykampf um die Zulassung von Glyphosat. Es ist das weltweit meistverwendete Unkrautbekämpfungsmittel, in Deutschland wird es auf 40 Prozent der Ackerfläche eingesetzt. Wie giftig ist Glyphosat? Kann es Krebs auslösen? Unzählige wissenschaftliche Studien beschäftigen sich mit den Wirkungen des Mittels. Jede Seite beruft sich auf die Studien, die ihr ins Konzept passen. Warum können Forscher keine klare Antworten auf diese Fragen finden? Die Glyphosat-Debatte zeigt auch, wie verbreitet Missverständnisse über die Wissenschaft sind. Einzelne Studien haben wenig Aussagekraft – das ist zwar den Wissenschaftlern selbst klar, nicht aber vielen Laien. Was zählt ist das große Bild, das alle Studien zusammengenommen ergeben. Doch das sieht man nur mit unvoreingenommenem Blick. Wer einzelne Studien herauspickt, kann so ziemlich alles begründen. »Eine neue Studie zeigt, dass Zucker Krebs fördern kann«, meldete kürzlich ein großer Fernsehsender. »Fürze riechen kann Krebs verhindern, behaupten Wissenschaftler«, schrieb ein großes Nachrichtenportal. Damit illustrieren sie, wie gefährlich die interessengebundene Instrumentalisierung wissenschaftlicher Studien ist. Auch in Sachen Glyphosat sollten wir daher auf …

HOHE LUFTPOST – Ein neuer Einstein?

HOHELUFTpost vom 11.09.2015: Vor hundert Jahren geschah eine der größten wissenschaftlichen Revolutionen der Geschichte: Albert Einstein veröffentlichte seine allgemeine Relativitätstheorie und eröffnete uns damit die Erkenntnis, dass die allgegenwärtige Schwerkraft gar keine Kraft im üblichen Sinn ist, sondern ein Nebenprodukt des gekrümmten Raums. Einstein war der letzte Wissenschaftler, der solch einen gewaltigen Erkenntnisschritt im Alleingang vollbrachte. Wann kommt endlich ein neuer Einstein? Ich vermute: wohl gar nicht mehr. Solche wissenschaftlichen Einzelleistungen sind nicht mehr möglich. An Talenten würde es nicht Mangeln. Der amerikanische Theoretiker Edward Witten beispielsweise hat wohl nicht weniger mathematische Begabung als Albert Einstein – und er tüftelt seit Jahrzehnten an einer noch allgemeingültigeren Theorie. Aber nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit vielen anderen Forschern. Diese Unternehmung ist zu komplex für ein einzelnes Gehirn. Es gibt aber noch einen anderen Grund. In unserer Gesellschaft haben Wissenschaftler nicht mehr den Status, den sie zu Einsteins Zeiten hatten. Einstein war nicht nur ein grandioser Physiker, sondern auch ein eine gewichtige politische Stimme, eine moralische Autorität – und ein Popstar. Ob zu Recht oder nicht, so …