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Das Öde und das Dasein

Die Zeit ist gerade noch unfairer verteilt als sonst. Manche wissen gar nicht wo ihnen der Kopf steht zwischen Homeschooling und Homeoffice. Andere lernen ein oft nur noch peripher bekanntes Gefühl besser kennen: die Langeweile. Dieses kleine Denkstück hilft vielleicht dagegen. Verrät Langeweile etwas darüber, wie wenig Sinn das Dasein hat oder, im Gegenteil, wie viel?

Eigentlich haben wir die Langeweile doch abgeschafft, zumindest dort, wo es WLAN gibt. Kleinste Momente von Langeweile – man wartet vielleicht auf den Bus – können heute gefüllt werden mit Bücherlesen, Serienschauen, Podcasts hören oder Freunden schreiben. Und trotzdem holt uns die Langeweile mitunter ein. Vor allem jetzt, da wir viel Zeit zu Hause verbringen und manche plötzlich sehr viel Zeit haben. Man könnte endlich Klassiker lesen, ohne Ende Podcasts hören, Serien schauen, stundenlang zocken oder Nähen lernen, aber trotzdem ist sie da, die Langeweile.

Arthur Schopenhauer, einer der ersten westlichen Philosophen, der diesen Zustand ernst nahm und genauer betrachtete, würde das gar nicht so wundern. Denn er glaubte, das Leben pendele zwischen Not und Langeweile. Demnach sind wir immer dabei, unseren Bedürfnissen hinterherzulaufen. Sobald diese aber befriedigt sind, hole uns die Langeweile wieder ein. Das heißt, auch wenn es derzeit große Not gibt unter Kranken, Einsamen oder Menschen, die ihren Job verloren haben, wenn uns diese Not gerade nicht unmittelbar betrifft, wenn wir in einem warmen, sicheren Zuhause sitzen mit genügend Essen und viel Zeit, öffnet das demnach der Langeweile die Tür.

Und er machte sich auch Gedanken darüber, warum sich das so schrecklich anfühlt. Er glaubte, man spüre in der Langeweile die Leere des Daseins. Langeweile beweise eben, dass das Dasein an sich keinen Wert habe. »Wenn nämlich das Leben, in dem Verlangen nach welchem unser Wesen und Dasein besteht, einen positiven Wert und realen Gehalt in sich selbst hätte; so könnte es gar keine ­Langeweile geben, sondern das bloße Dasein an sich selbst müsste uns erfüllen und befriedigen«, schreibt er in »Parerga und Paralipomena«. Und weiter: »Dass hinter der Not sogleich die Langeweile liegt, welche sogar die klügeren Tiere befällt, ist eine Folge davon, dass das Leben keinen wahren echten Gehalt hat, sondern bloß durch Bedürfnis und Illusion in Bewegung erhalten wird; sobald aber diese stockt, tritt die gänzliche Kahlheit und Leere des Daseins ein.«

Das könnte man aber auch genau andersherum sehen. Das Unangenehme in der Langeweile liegt ja genau darin, dass man die Ruhe nicht genießt, sondern eine Art Unruhe darin empfindet. Man leidet darunter, dass nichts passiert und man nichts tun kann, um das zu ändern oder zumindest den Eindruck hat, dass man nichts tun kann. Man hat also den Drang, etwas zu tun. Der Soziologe Martin Doehlemann brachte es einmal auf die Formel: »unruhiger Stillstand«.

Und damit könnte man gegen Schopenhauer argumentieren. Denn woher kommt diese Unruhe? Man könnte auch sagen: daher, dass man dem Dasein nicht gerecht wird. Daher, dass man spürt, dass das Dasein einen Sinn hat, und sei es nur, im Sinne der Existenzialisten, es selbst mit Sinn zu füllen. Und dass man diesem gerade nicht gerecht wird.

Weil Langeweile einen besonderen Freiraum eröffnet und so sehr in den Drang mündet, etwas zu tun, wurde sie oft als Ursprung der Kreativität, als Antrieb für Neues, unter anderem auch für die Philosophie gefeiert. Und auch darin steckt ja diese Annahme, dass man etwas Sinnvolles mit seinem Leben anfangen will. Dazu stürmt man regelrecht los in diesen leeren Momenten.

Dass man das tut, dass man diese leeren Momente so unbedingt sinnvoll füllen statt verschwenden will, ist das nicht ein Hinweis darauf, dass das Dasein doch entgegen Schopenhauers Ansichten einen »positiven Wert und realen Gehalt« hat, den man nicht vergeuden will?

von Maja Beckers

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