Alle Artikel mit dem Schlagwort: Corona-Krise

»Wir müssen anders leben«

Der Mediziner und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach ist einer der gefragtesten Politiker während der Coronakrise. Für unser Heft HOHE LUFT kompakt »Mensch und Medizin« sprachen wir mit ihm über die Lehren aus der Pandemie, die Schwächen demokratischer Gesellschaften in Krisensituationen – und seine Ängste als Politiker und Mensch. Interview: André T. Nemat, Thomas Vašek Illustration: Gabriele Dünwald HOHE LUFT: Herr Lauterbach, wie beurteilen Sie die derzeitige Entwicklung der Pandemie? (Stand: 15. Januar 2021) KARL LAUTERBACH: Wir sind an einem ganz kritischen Punkt angekommen. Die nächsten zwei bis drei Monate werden die schwersten der gesamten Pandemie sein. Weil wir noch zu wenig Impfstoff haben, uns mitten in einer schweren zweiten Welle befinden – und weil durch die Winterwetterlage die Lockdown-Maßnahmen weniger wirken. Wenn wir breitflächig dann auch noch die britische Mutation B117 in Deutschland bekämen, wäre sogar eine dritte Welle möglich. Was muss aus Ihrer Sicht jetzt getan werden? Mir scheint es wichtig zu sein, den Lockdown so lange fortzusetzen, bis wir eine Zielinzidenz von 25 pro 100.000 Einwohner pro Woche erreicht haben. Das jetzige Lockdown-Ziel von …

Mensch und Medizin – das neue HOHE LUFT Sonderheft ist da

Der Wert der Gesundheit ist unschätzbar hoch – erst recht in Zeiten der Pandemie. Die Gesundheit von Individuen bildet die Basis nicht nur eines funktionierenden ökonomischen und sozialen Systems, sondern auch eines für alle gelingenden Lebens. Wir glauben, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um Medizin und Philosophie über wichtige Themen am Schnittpunkt zwischen medizinischer Versorgung und technologischer Machbarkeit in einen konstruktiven Dialog treten zu lassen: Was heißt Prävention im Sinne einer zeitgemäßen »Ökonomie der Sorge«? Kann die Medizin der Zukunft Technologie und Kultur, Machbarkeit und Ethik integrieren? Wohin führt der Trend der digitalen Selbstvermessung? Wie erleben die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft – Schmerzpatienten, Krebspatienten, Demenzkranke – ihr Leid? Diesen und anderen Fragen widmen wir uns in der aktuellen HOHE LUFT kompakt »Mensch und Medizin«. Eine stärkere Vernetzung medizinischer, medizinethischer und philosophischer Aspekte liegt uns am Herzen. Daher freuen wir uns, dass wir für dieses Sonderheft renommierte Autoren und erfahrene Experten aus den Praxisbereichen Medizin und Ökonomie sowie den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gewinnen konnten.   Bleiben Sie gesund! Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.   Hier …

Metanoia 2.0 – Ideen für die neue Normalität

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sind unüberschaubar und machen strukturelle Veränderungen notwendig: remote work, neue digitale Führungsstile, eine neue Unternehmenskultur und Governanceethik. Die Krise macht nicht nur die Bruchstellen globalen Ökonomie sichtbar. Sie zeigt uns auch, dass wir ein ganz neues Verständnis von Wirtschaft und Unternehmensführung brauchen, das auf den Notwendigkeiten von Klimaschutz, Komplexitätsbewältigung und gesellschaftlicher Verantwortung beruht. Covid-19 zwingt mehr denn je zur inneren Umkehr, zu einer Neuorientierung im Denken. Nach unserem letzten HOHE LUFT kompakt-Sonderheft (»Metanoia – Führen in Zeiten des Wandels«) wollen wir daher mit METANOIA 2.0 – IDEEN FÜR DIE NEUE NORMALITÄT erneut den Austausch zwischen Ökonomie und Philosophie fördern. „Wahrheit – Vertrauen – Klugheit“ sind die Schwerpunkte, die wir gemeinsam mit dem Audit Committee Institute e. V. – einer mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft assoziierten Plattform für Aufsichtsräte und Führungskräfte vor allem börsennotierter Gesellschaften – konzipiert haben. Es geht um die großen ökonomischen und sozialen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft: Worin liegt jetzt Wert von Wahrheit und Transparenz? Inwieweit braucht ein funktionierendes Wirtschaftssystem Vertrauen? Wer entwickelt und bestimmt die Regeln …

Die neue Weltmarke

Sie kam aus dem Nichts. Sie war plötzlich da. Man könnte jetzt sagen: die Krankheit, die Pandemie. Doch vielleicht sollten wir Corona auch einmal anders betrachten: als Marke, die die Karten neu zu mischen vermag. Marken bewegen die Welt. Sie kommen als Kristal­lisationspunkte persön­licher »Bedürfnisse« und gesellschaftlicher »Werte« daher. Für Kin­der gehören Marken zur natür­lichen Welt wie etwa Bäume und ­Eichhörnchen. Für Erwachsene kann sogar ein Mensch zur »Marke« werden (solange er sich nur erfolgreich vermarktet). Erwachsene leben Kindern vor, was wirklich zählt: Adidas steht für Sport und Hipness, Apple heißt Vernetzung, Information und unendlicher Spaß. Erfolgreiche Marken können das Selbstwertgefühl ihrer Anhänger boosten und Atmosphären von Wärme und Zugehörigkeit ­erzeugen, wie es früher nur kirchlichen Gemeinschaften gelang. Die aktuell und wohl noch für lange Zeit erfolgreichste Marke ist Corona. Eine absolute Ausnahmeerscheinung. Corona kam ganz ohne Storytelling aus, um sich auf dem Weltmarkt zu etablieren und in Rekordzeit die bisherigen Top-Player wegzukicken. Vor Corona ging eine gleich­namige Biermarke blitzschnell in die Knie (ganz ohne Markenrechtsstreit). Das Erfolgsgeheimnis von Corona ist die hochprofessionelle, zuverlässige und …

Krankenschwestern der Nation

Ich bin wütend. Ich kann es mir leisten. Ich habe Zeit dazu. Anders als die meisten meiner Freundinnen kann ich mich voll und ganz auf meine Videokonferenzen konzentrieren… und zwischendurch über den Grund meiner Wut nachdenken. Ich muss nicht überlegen, was ich noch alles tun muss, eigentlich schon längst hätte erledigen sollen. Waschen, Putzen, Kochen, Schleppen, Hausaufgabenbetreuen, Streitschlichten. Ich bin nicht verheiratet und habe keine Kinder. Ich habe Zeit. Also artikuliere ich meine Wut stellvertretend für die vielen Frauen, die es nicht können. Weil sie noch die Wäsche machen müssen. Und die Mathe-Hausaufgaben. Und noch schnell zum Supermarkt und in die Drogerie. Weil ihr Mann noch zoomen und früh schlafen gehen muss. Weil er mehr verdient als sie. Corona wird die Frauenbewegung um drei Jahrzehnte zurückwerfen, prophezeit die Soziologin Jutta Allmendinger. Ich glaube, es ist noch schlimmer. Wir befinden uns wieder in den frühen 60er Jahren. Ein Indiz hierfür ist die Aktualität einer alten Hollywoodkomödie mit Doris Day: Was diese Frau so alles treibt (1963). Protagonistin Beverly Boyer ist blond, mit einem Frauenarzt verheiratet, ein …

Das Öde und das Dasein

Die Zeit ist gerade noch unfairer verteilt als sonst. Manche wissen gar nicht wo ihnen der Kopf steht zwischen Homeschooling und Homeoffice. Andere lernen ein oft nur noch peripher bekanntes Gefühl besser kennen: die Langeweile. Dieses kleine Denkstück hilft vielleicht dagegen. Verrät Langeweile etwas darüber, wie wenig Sinn das Dasein hat oder, im Gegenteil, wie viel? Eigentlich haben wir die Langeweile doch abgeschafft, zumindest dort, wo es WLAN gibt. Kleinste Momente von Langeweile – man wartet vielleicht auf den Bus – können heute gefüllt werden mit Bücherlesen, Serienschauen, Podcasts hören oder Freunden schreiben. Und trotzdem holt uns die Langeweile mitunter ein. Vor allem jetzt, da wir viel Zeit zu Hause verbringen und manche plötzlich sehr viel Zeit haben. Man könnte endlich Klassiker lesen, ohne Ende Podcasts hören, Serien schauen, stundenlang zocken oder Nähen lernen, aber trotzdem ist sie da, die Langeweile. Arthur Schopenhauer, einer der ersten westlichen Philosophen, der diesen Zustand ernst nahm und genauer betrachtete, würde das gar nicht so wundern. Denn er glaubte, das Leben pendele zwischen Not und Langeweile. Demnach sind wir …

Die Corona-Kohorte

Junge Menschen vielleicht zwischen 15 und 25 Jahren wurden zu Anfang der Corona-Krise oft kritisch beäugt als eine Gruppe, die sich vergleichsweise sicher fühlt und in der einige lieber Corona-Parties feierten, statt Abstand zu halten. Unser Autor ist Anfang 20 und hat aufgschrieben, was diese Krise für ihn und das Lebensgefühl seiner Generation bedeutet. Wer in den letzten 20 oder 30 Jahren geboren wurde hatte weltgeschichtlich ein relativ langweiliges Leben. Da hilft es auch wenig, dass man in zwei Jahrtausenden gelebt hat. Zum Glück lebt man in der Regel auch nicht für die Weltgeschichte. Den meisten ist es wichtiger, ein gutes Leben führen zu können, Zeit für Freunde zu haben und sich dem widmen zu können, was einem wichtig ist. Manchen liegt viel an guten Abschlüssen und beruflichen Leistungen, andere leben für ihr Hobby. Welchen Weg man geht, das ist nicht immer eine Entscheidung, bei der nur die eigenen Vorstellungen ins Gewicht fallen. Eltern, das Portemonnaie und Normen tun das ihrige. Aber das Leben ist – historisch betrachtet – in höherem Maße eine Frage der …

#Pandemokratie: Was wir sonst tun können

Die Ausgangsbeschränkungen greifen. Sie tun dies aber nicht ohne Einschnitte in den Alltag, die auf Dauer das Zusammenleben strapazieren dürften. Familien auf eingeengtem Raum, stillgelegte Freundschaften und entleerte Freizeitgestaltung – auch wenn das zur Stunde geboten ist, kann es kein Dauerprogramm sein. Deshalb haben wir gefragt, was man neben Händewaschen und Abstand halten noch tun kann, um Corona zu bekämpfen. Egal wie drastisch politische Maßnahmen ausfallen, ihrer Reichweite und Wirksamkeit sind durch die Akzeptanz in der Bevölkerung Grenzen gesetzt. Deshalb brauchen wir eine Kultur, die ein gutes Leben mit Corona fördert. Der wichtigste Imperativ bleibt natürlich: Die Krankheit eindämmen! Eine gute Tat ist deshalb vor allen Dingen eine „saubere“. Anstand zeigen bedeutet Abstand halten. Das Gute in die Welt tragen heißt zu Hause bleiben. Das ist vielen mittlerweile klar, noch ist es aber noch nicht überall angekommen. Anderes hingegen bleibt kontrovers: Handelt man im Dienste des Gemeinwohls, wenn man die Ewig-Trotzigen, die in Gruppen zusammensitzen und Hygieneregeln missachten, zur Rede stellt? Wäre es vielleicht sogar richtig, ihr Fehlverhalten der Polizei zu melden? Was sonst überzogen …

Ihre Gedanken zu Corona

Liebe Leserinnen und Leser, Corona geht jeden von uns an, betrifft uns, berührt uns und bringt uns ins Nachdenken. Wir alle haben Gedanken dazu, was diese Krise für uns bedeutet, welche Schlüsse wir daraus ziehen und wie wir danach weitermachen wollen – sowohl persönlich als vielleicht auch gesellschaftlich. Wir würden gerne Ihre Gedanken dazu lesen. Deshalb würden wir uns freuen, wenn Sie uns an info@hoheluft-magazin.de schreiben zur Frage: Was lernen wir aus der Corona-Krise – persönlich oder gesellschaftlich? Ob ein paar Sätze oder ein Essay, wir freuen uns auf Ihre Beiträge und werden die besten veröffentlichen. Bleiben Sie gesund! Ihr Hohe Luft-Team      

Was die Pandemie uns sagt

Der 91-jährige Freiburger Philosoph Rainer Marten, einer der letzten Schüler Martin Heideggers, über die Spaßgesellschaft, die Zufälligkeit des Lebens – und den Sinn der Corona-Krise.   Vor der sich seit Anfang 2020 ausbreitenden Coronavirus-Seuche sind „alle Völker“ gleich. Mit der Zeit wird sie jedes Land auf der Erde heimsuchen. Unter den sehr Alten und Kranken als den Gefährdetsten breitet sich eine abschiedliche Stimmung aus. Lebensgemeinschaften droht der endgültige Weggang des Einen und Anderen. Die Endlichkeit aller menschlichen Dinge bringt sich mit Nachdruck in Erinnerung. Wie anders steht es doch um den Mond! Verlässlich begleitet er mit seinem Zunehmen, seiner Fülle und seinem Abnehmen seit Menschengedenken die Erde und wird es weiterhin tun. Mitte März 2020 steht er am frühmorgendlichen Himmel in Freiburg über dem Sternwald: als Halbmond, ganz weiß, durch den runden Bogen des A als abnehmend gezeichnet. Heute löst er, ganz überraschend, ein Treueerlebnis aus – der Treue zur Erde und zu denen, die ihn mit Augen suchen und finden. Die Seuche berührt ihn nicht, nicht ihre dissoziierende Macht. „Keine sozialen Kontakte!“ Wer jetzt …