Sie kam aus dem Nichts. Sie war plötzlich da. Man könnte jetzt sagen: die Krankheit, die Pandemie. Doch vielleicht sollten wir Corona auch einmal anders betrachten: als Marke, die die Karten neu zu mischen vermag.
Marken bewegen die Welt. Sie kommen als Kristallisationspunkte persönlicher »Bedürfnisse« und gesellschaftlicher »Werte« daher. Für Kinder gehören Marken zur natürlichen Welt wie etwa Bäume und Eichhörnchen. Für Erwachsene kann sogar ein Mensch zur »Marke« werden (solange er sich nur erfolgreich vermarktet). Erwachsene leben Kindern vor, was wirklich zählt: Adidas steht für Sport und Hipness, Apple heißt Vernetzung, Information und unendlicher Spaß. Erfolgreiche Marken können das Selbstwertgefühl ihrer Anhänger boosten und Atmosphären von Wärme und Zugehörigkeit erzeugen, wie es früher nur kirchlichen Gemeinschaften gelang. Die aktuell und wohl noch für lange Zeit erfolgreichste Marke ist Corona. Eine absolute Ausnahmeerscheinung.
Corona kam ganz ohne Storytelling aus, um sich auf dem Weltmarkt zu etablieren und in Rekordzeit die bisherigen Top-Player wegzukicken. Vor Corona ging eine gleichnamige Biermarke blitzschnell in die Knie (ganz ohne Markenrechtsstreit). Das Erfolgsgeheimnis von Corona ist die hochprofessionelle, zuverlässige und kostenlose Lieferung eines Produkts, das niemand bestellt hat und (noch) niemand zurückschicken kann: den Tod made by Corona.
Mit dieser knallharten internationalen Offensive behauptet Corona seine Monopolstellung – und macht alle anderen Marken zu ihren Lakaien. Wer nicht Konkurs anmelden will, muss seine Erzeugnisse und Narrative anpassen. Die Beautymarken des Luxuskonzerns LVMH und die Bremer Brauerei Beck stehen plötzlich (auch) für Desinfektionsmittel, der Textilhersteller Trigema für Atemschutzmasken. Und Audi und VW haben im Schnellverfahren neue Logos kreiert, die die Aura von social distancing transportieren, um Corona ihre Ehre zu erweisen. Und aus Angst, plötzlich weg vom Fenster zu sein.
Was bleibt von der schönen, bunten Markenwelt? Ich frage mich, ob Adidas, Apple und Co. künftig überhaupt noch glaubwürdig unsere »Werte« und »Bedürfnisse« verkörpern können; ob man ihnen noch »vertrauen« können wird. Schon jetzt diktiert Corona den Marken weltweit einheitliche Standards für Image und Reputation. »Erfolgreich«, »glaubwürdig« und »nachhaltig« kann nur sein, wer Produkte und Narrative entwickelt, die sich – wie subtil und indirekt auch immer – auf den Tod beziehen. Selbst wenn es irgendwann einen weltweiten Lieferstopp für den Tod made by Corona gibt, wird das »Vertrauen«, das man Marken aller Art entgegenbringt, wohl nicht mehr das gleiche sein.
Die Strahlkraft der Marken wird nicht mehr ausreichen, um uns glauben zu machen, man könne die ethischen, ästhetischen und ökonomischen Dimensionen der Begriffe »Wert« und »Bedürfnis« beliebig durcheinanderwürfeln. Marken werden uns weniger dabei helfen können, »jemand zu sein« und »dazuzugehören«. Ich hoffe, dass wir deshalb realisieren werden, dass wir auch auf die »Marke Mensch« gut verzichten können; nie aber aufeinander.
Von Rebekka Reinhard
Dieser Text stammt aus unserer aktuellen Ausgabe (4/2020)
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