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Die politischen Akteure 2019 – eine kleine Typologie

DER JUNGMANAGER besticht durch seine algorithmische Perfektion und Reinheit. Sein Denken ist so glatt wie seine Haut. Er ersetzt Ideologie mit Empathie, Wut mit Geduld. Gleich einem selbstlernenden System findet er Lösungen für jedes Problem. Prototyp des Jungmanagers ist Sebastian Kurz, der den Systemfehler »Strache« durch die allseits anschlussfähige Rhetorik der Sanftheit beseitigte. Spontan wirkt das inhaltsfreie Programm des Jungmanagers höchst sympathisch. Seine wahren Absichten und sein Haltbarkeitsdatum sind (noch) hinter der glänzenden Oberfläche verborgen.

DER BÄR strahlt eine behagliche pelzige Wärme aus, welche die authentische Atmosphäre guter alter Zeiten evoziert. Seine Autorität speist sich aus einer unaufdringlichen Attraktivität, wie sie paradigmatisch von Robert Habeck repräsentiert wird. Diese Augen, dieses Lächeln! Ein Mensch, der sich vor den menschenverachtenden Effekten von Twitter fürchtet, kann nicht lügen. Er verspricht vielmehr eine neue Übersichtlichkeit. Er krempelt die Ärmel hoch und karrt selbst die Erde an, mit der die Kluft zwischen traditioneller Poli‑
tik und globalem digitalen Chaos zugeschüttet werden soll.

DIE SUPERINTELLIGENZ operiert anders als die elegante Polit- und PR-Maschine des Jungmanagers, anders auch als der warme Bär außerhalb des parteipolitischen Systems. Sie ist singulär und trägt den Namen »Greta«. Sie besticht durch kurze, klare Botschaften und ein monothematisches Anliegen – den Appell an die Verantwortlichen, die Klimakatastrophe zu verhindern, welcher keinen Widerspruch zulässt. Die Superintelligenz ist beispiellos. Ein neuer Gott?

DIE EGO-ETHIKER sehen sich in ihrem Denken, Fühlen und Handeln nicht nur von »Greta« inspi­riert, sondern lassen sich gern auch von anderen Influen­cern lenken – vor allem von ihren Eltern, die ihnen von Geburt an ein gewaltiges Sen­dungs­bewusstsein eintrichterten. Der Slogan »Ich First!« – in der Social-Media-Version auch: »We First!« – gilt den oft jungen und weiblichen Ego-Ethikern als globale humanistische Vision, die schnellstmöglich die Probleme des Klima­-
wandels, des Rassismus, der Verteilungsungerechtigkeit und des immer noch nicht erfolgten Weltfriedens lösen soll. Den Ego-Ethikern geht es nicht ums »Wie«, sondern ums »Was«.

DIE BÜROKRATEN leben in der heutigen Welt, ohne sie zu begreifen. Für sie ist Politik ein Bürogebäude mit Aktenordnern, Faxgeräten und einem Personal Computer, mit dem in Sonderfällen das Wort »Influencer« gegoogelt, YouTube-Videos ausgewertet und PDFs formatiert werden dürfen. Die Bürokraten existieren wie die Ego-Ethiker nur im Plural (die Kramp-Karrenbauers, die Schäfer-Gümbels). Anders als die Ego-Ethiker bestechen sie durch Funktionärsmentalität, Langeweile und ein provinziell bis spießig verdruckstes Machtbewusstsein, das das Volk über die Richtigkeit ihrer Ansichten belehren will.

DER ALTE BÖSE MANN tauchte in Europa erstmals in den 1990er-Jahren in Form eines dauergrinsenden italienischen Medienmoguls auf und ist heute auf allen Erdteilen beliebt. Die Macht des alten bösen Mannes, dessen größte Leuchtkraft aktuell Donald Trump verbreitet, beruht auf der geschickten Kombination von uralter autokratischer Herrschsucht und hochmodernen Technologien. Dieser Mann erlässt Dekrete als Daily Soap über Twitter und drückt der Welt immer neue Updates von »wahr« und »gut« auf.

DAS NETZ wirkt still im Hintergrund. Es ist der wichtigste und zugleich unsichtbarste politische Akteur von allen. Als allumfassendes Neutrum, das von Konzernen und Staaten ferngelenkt wird, schafft es die Bedingung der Möglichkeit von Politik 2019: ein weitgehend kostenloses Universum, wo nichts verborgen bleibt – und doch auch nichts völlig klar ist. Die Netzwerkeffekte des Netzes haben die Geltung zentraler politischer Begriffe wie »links«, »rechts«, »liberal«, »öffentlich« und »demokratisch« gelockert – und zugleich ihre Reichweite erhöht. Das Netz gibt zu viele Antworten und stellt zu wenige Fragen. Wem gehört unsere Freiheit? Wer hat die Macht? Das sind Fragen, die man nicht googeln kann.

 

Text: Rebekka Reinhard
Illustration: Gabriele Dünwald


Dieser Text stammt aus unserer aktuellen Ausgabe (5/2019)

 

 

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