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Richtig streiten #7: Die Spontanität der Äußerung

Wenn jemand für das kritisiert wird, was er sagt, liegt der Kritik zumeist die Vorstellung zugrunde, dass der Sprecher sich zuvor überlegt hat, was er sagen wird. Das gilt sicherlich, wenn jemand eine Rede hält, zumal, wenn er sie vom Blatt abliest. Es gilt aber sicherlich nicht unbedingt beim Streit. Häufig fordert man zwar von Anderen, dass sie erst nachdenken sollen, bevor sie sprechen. Aber ist das wirklich möglich? Wie wäre es umgekehrt: Wenn wir besser streiten wollen, müssen wir bedenken, dass Äußerungen im Streit spontan erfolgen, undurchdacht, intuitiv und emotional. Sowohl Zuhörer als auch Sprecher müssen mit dieser Spontanität umgehen. Auch das gehört zu dem bereits genannten Prinzip der Nachsichtigkeit.

Was heißt „spontan?

Wir wollen als spontan eine Äußerung dann bezeichnen, wenn sie vor der Mitteilung nicht ausdrücklich gedacht und erst recht nicht gedanklich in Worten ausformuliert worden ist. Wie viele spontane Äußerungen man in Gesprächen zum Besten gibt, kann jeder Mensch nur durch Selbstbeobachtung herausfinden. Der Schreiber dieser Zeilen muss zugeben, dass die meisten seiner Äußerungen in Gesprächen spontan sind. Es gibt zwar durchaus den Fall, dass ich mir überlege, was ich sagen will, aber vieles von dem, was ich sage, habe ich zuvor nicht genau bedacht. Es „kommt in mir hoch“ und „es will hinaus“.

Das gilt für den Meinungsstreit umso mehr, desto emotionaler und engagierter er geführt wird. Im Meinungsstreit sind wir immer selbst betroffen, deshalb sind wir auch emotional involviert.
Erstaunlicherweise gilt dies auch für schriftliche Äußerungen, etwa bei Diskussionen in sozialen Netzwerken. Hier soll keine psychologische Spekulation betrieben werden, einzig aus der Selbstbetrachtung lässt sich sagen, dass etwa in einer Facebook-Diskussion eine gewisse emotionale Anspannung bis zum Absenden des Kommentars anhält, die verhindert, dass Äußerungen, die doch geschrieben und dann erst versendet werden, noch einmal durchdacht werden, bevor sie den anderen zur Kenntnis gegeben werden.

Begründung kommt später

Begründungen für spontane Meinungsäußerungen können wir also erst im Nachhinein geben, und es ist erstaunlich, dass uns das überhaupt in den meisten Fällen gelingt. Wiederum sollen psychologische Spekulationen vermieden werden, aber es ist eigentlich nur vorstellbar, dass wir eben auch spontane Äußerungen immer auf einem Fundament von mehr oder weniger stabilen Überzeugungen, Meinungen, Wünschen, Hoffnungen, Befürchtungen und Sorgen machen – auch wenn sie uns zuvor noch gar nicht selbst ausdrücklich bekannt waren. Diese Überzeugungen bilden sich im Laufe der Zeit, ohne dass wir sie selbst schon ausdrücklich bemerken. Wenn wir sie in einer erhitzten Diskussion zum erstem Mal aussprechen, dann nehmen wir sie selbst auch zum ersten Mal ausdrücklich wahr.

Das bedeutet, dass ein wahrhaftig Streitender sich zunächst einmal selbst in die Pflicht nehmen müsste, herauszufinden, ob und vor allem wie seine spontanen Meinungsäußerungen sich tatsächlich in seinen Meinungen begründen lassen, ob sie tatsächlich das sagen, was er meint. Und in einem guten Streit wäre es selbstverständlich, zu akzeptieren, wenn jemand sagt: Ich habe das nicht so gemeint. Und die Frage „Wie meinst du das?“ sollte als ehrliches Hilfsangebot gemeint sein, die tatsächliche Hoffnung oder Sorge hinter der Äußerung ausfindig zu machen.
Eine spontane Äußerung wurzelt sicherlich immer in den tatsächlichen Meinungen des Sprechers. Aber sie kann durch viele Zufälligkeiten mitgeformt sein, etwa durch den aktuellen Anlass der Diskussion, durch aktuelle Erlebnisse des Sprechers außerhalb der Diskussion, durch weitere Nachrichten oder durch andere Äußerungen innerhalb der Diskussion. Wir hatten bereits früh festgestellt, dass Meinungsäußerungen immer missverständlich sind – sie sind es nicht nur für die, die sie hören, sondern vielleicht auch für den, der sie ausspricht.

Wir machen vielleicht zu oft den Fehler, Äußerungen wörtlich zu nehmen, sie als klar und eindeutig aufzufassen, sowohl die Äußerungen von anderen als auch die eigenen. Und manchmal glaubt man, dass man gerade im erregten Streit „die Wahrheit“ sagen würde. Das Erschrecken über das, was man im Streit sagt, muss aber nicht bedeuten, dass da endlich die Wahrheit ans Licht käme. Das Erschrecken kann auch ein Zurückschrecken vor einer Konsequenz des eigenen Redens sein, die man aus tiefster Überzeugung ablehnt. Ein guter Streit sollte immer den Weg offenhalten, eine Äußerung zurückzunehmen, aber dennoch das Erschrecken über sie ernst zu nehmen.

Wer Äußerungen nur wörtlich nimmt und zudem nicht als persönlich modulierte Meinungen, sondern als feste Behauptungen über die Wirklichkeit auffasst, kommt womöglich zu der Vorstellung, dass da jemand absolute Geltung für seine Meinungen beansprucht und meint. Um solche Geltungsansprüche und die damit verbundene Idee, logische Fehlschlüsse im Meinungsstreit aufspüren zu müssen, geht es im nächsten Teil.

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