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Richtig streiten #6: Der Beweggrund der Meinungsäußerung

Wir hatten bisher gesehen, dass eine Meinungsäußerung im politischen Meinungsstreit niemals eine bloße Tatsachenbehauptung ist, sondern dass sie immer durch ein persönliches Interesse des Sprechenden moduliert ist. Das gilt auch, wenn die Aussage für sich genommen wie ein Aussagesatz klingt, etwa, wenn Alice sagt: „Trump wird die nächste Wahl auch gewinnen!“ oder wenn Bob äußert „In den Medien herrschen überhaupt keine Qualitätsstandards mehr!“. Im Falle von Alice ist noch klar, dass es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt, da ihr Satz die Zukunft betrifft. Allerdings könnte man auch hier vermuten, dass es sich um eine sachliche Hypothese handelt, die nicht durch persönliche Modulation eine Angst, Hoffnung oder Sorge ausdrücken soll. Bobs Satz, für sich genommen, hat allerdings die Form einer einfachen Tatsachenbehauptung. Trotzdem wird es sich in einer Diskussion unter Freunden nur sehr selten um eine sachliche Hypothese handeln. Vielmehr darf man vermuten, dass Alice und Bob davon überzeugt sind, dass die anderen die jeweilige Modulation kennen. Wenn Alice äußert, dass Trump auch die nächste Wahl gewinnen wird, ist sie sicher, dass die anderen wissen, dass ihr diese Aussicht Sorgen macht. Man wird es aus ihren bisherigen Äußerungen sicher und intuitiv schließen. Wenn es sie nicht mit Sorgen erfüllen würde, so können wir annehmen, würde sie es gar nicht sagen. Aus dem Satz spricht mehr Sorge als eine sichere Prognose. Ebenso ist es be Bob, dem es Sorgen macht, dass er in den Medien immer mehr Beiträge liest, die qualitativ minderwertig sind. Würde ihn diese Tatsache gar nicht bekümmern, dann würde er sich zu dieser Frage wahrscheinlich gar nicht äußern.

„Das ist meine Meinung!“

Manchmal wird die Tatsache, dass etwas eben Meinung ist und somit aus Sorge, Hoffnung, Furcht oder Wünschen ausgesprochen wird, eigens in anderen Sätzen betont: „Das ist meine Meinung!“ oder „Das macht mir Angst!“ oder „Ich hoffe es jedenfalls!“ – aber wenn man Diskussionen beobachtet, dann wird man schnell feststellen, dass die meisten Teilnehmer ganz selbstverständlich annehmen, dass alle wissen, dass hier modulierte Meinungen geäußert werden und nicht bloße Tatsachenbehauptungen ausgetauscht werden. Wer es nicht glaubt, frage mal während einer solchen Diskussion: „Ist das deine Meinung?“ oder: „Macht dir das Sorgen?“ Im besten Fall wird er eine prompte Bestätigung dafür bekommen, nach dem dritten Mal werden die anderen vermutlich genervt sein.

Das heißt nicht, dass man sich in der intentionalen Modulation der Meinungsäußerung eines anderen nicht irren kann, und es kann durchaus sinnvoll sein, nachzufragen. Sorgen, Hoffnungen usw. Gehören zur Logik des Streitens dazu, sie sind Teil der Rationalität in dem Sinne, dass sie begründbar und verstehbar sind – und dass man sich in ihnen irren kann. Die Frage nach dem „Warum“ muss sich nicht nur auf den hypothetischen Aussageteil der Meinungsäußerung beziehen, sie kann auch nach den Gründen der Sorge oder der Hoffnung fragen, oder eben auch danach, ob man den Sprecher hinsichtlich der Modulation seiner Meinung richtig verstanden hat.

Aber dass es diese Modulation gibt steht außer Frage, denn sonst würde sich der Sprecher womöglich gar nicht äußern. Nur wenige Menschen mischen sich in einen Streit ein, dessen Gegenstand ihnen gleichgültig ist. Deshalb muss eine Logik des Streits, die die Rationalität der Meinungsäußerungen ergründen will, auch den Beweggrund der Äußerung, also die Frage, warum jemand überhaupt spricht, mit einbeziehen. Das wird zwar selten unmittelbar mit ausgesagt, aber es kann eben auch Gegenstand einer Frage nach dem „Warum?“ also einer Begründungsaufforderung, sein. Aus dem Prinzip der Nachsichtigkeit und aus der Annahme der Wahrhaftigkeit heraus sollte man dabei annehmen, dass der andere gute und verständliche Gründe hat, sich gerade so zu äußern, wie er es tut. Diese Gründe zu verstehen wird helfen, die Diskussion gelingen zu lassen.

Gründe für eine Meinungsäußerung können darin liegen, dass man sich um den Gegenstand der Diskussion sorgt, dass man meint, dass eine Diskussion notwendig ist, um unerwünschte Entwicklungen in der Gesellschaft zu verhindern. Ein anderer Grund kann sein, dass man sich durch die Äußerung und die Reaktionen darauf einer Gemeinsamkeit versichern will, oder dass man diese Gemeinsamkeit stabilisieren oder herstellen will. Vielleicht auch, weil er den Lauf der Diskussion beeinflussen will, etwa weil er meint, dass er durch andere Diskussionsteilnehmer in die falsche Richtung geführt wird. Jeder Teilnehmer bringt seine Sorgen und Hoffnungen, aber auch seine Erfahrungen aus anderen Meinungsstreits in die Diskussion mit hinein, und aus all dem formt sich sein mehr oder weniger kurze Beitrag zur Diskussion.

Ad hominem – Warum auch nicht?

Das Problem ist, dass kaum jemand in einem politischen Streit etwa auf Facebook klar alles aussprechen kann, was zu einer eindeutigen Beurteilung seines Arguments nötig wäre. Wenn Bob z.B. „p“ sagt, und Alice antwortet „Bob schon wieder, dieser Dummschwätzer, das war ja klar!“ dann können Bob und Clara natürlich sagen: „Das ist ad hominem!“ – und sie haben recht. Aber warum auch nicht? Detlef kann sich sagen: „Aha, die Alice hält den Bob für einen Dummschwätzer, vermutlich hat sie mit ihm schon ein paar Erfahrungen gemacht… Bisher machte Alice auf mich eigentlich immer einen sachlichen Eindruck, wenn die bei diesem Satz von Bob so aufbraust, dann schau ich mal etwas genauer hin.“ Wenn Clara von Alice verlangen würde, dass sie statt ihres empörten Ausrufs sachliche Argumente bringt, die gegen „p“ sprechen, führt das womöglich nur dazu, dass Alice sich aus dem Streit zurückzieht. Bob würde das wohl freuen, aber ob es im Sinne einer klärenden Diskussion über die Sorgen, die mit p und nicht-p verbunden sind, führt, ist für mich fraglich.

Politischer Meinungsstreit ist immer „ad hominem“, auch der, der meint (!), ad-hominem-Argumente ausschließen zu dürfen. Denn im politischen Streit geht es immer um Betroffenheit, wir äußern uns, weil wir Sorgen oder Wünsche haben, und weil wir gegen Meinungen anderer (konkreter Personen) streiten, die uns Sorgen machen. Und die Argumentationen der je anderen lösen erneut Sorgen oder Hoffnungen aus, und das muss ja im Streit auch deutlich werden. Ein politischer Meinungsstreit ist kein Doppelkopfspiel, zumeist geht es um etwas, was die Beteiligten emotional aufwühlt und gerade diese emotionale Komponente ist wichtig für den Streit.

Was auch immer der Beweggrund ist, der dazu führt, dass jemand im Streit seine Meinung äußert, diese Äußerung ist dann meistens spontan und die Begründung wird erst später gebildet. Darum geht es beim nächsten Mal.

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