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Richtig streiten #1: Das begründete Sprechen

Von Jörg Phil Friedrich

Es wird viel gestritten, in Talkshows, bei Facebook, in der Familie und unter Freunden. Es geht um alles Mögliche, um die Umwelt oder das nächste Urlaubsziel, um den amerikanischen Präsidenten, das Bedingungslose Grundeinkommen, die Dieselfahrverbote. Um den leeren Kühlschrank oder den vollen Mülleimer. Vor allem wenn es um Politik geht, kommt die Frage, wie wir streiten, ins Spiel. Irrational zu sein, nicht logisch zu argumentieren, ist dann ein oft gehörter Vorwurf. Dem politischen Gegner wird gern unterstellt, die Regeln der Logik zu verletzen, nicht rational zu argumentieren. Es hat den Anschein, als gäbe es irgendwo ein Regelwerk, an welches sich jede Person halten müsste und könnte, die an einem Streit teilnehmen will – und wer sich nicht an diese einfachen Regeln hält, der ist auch nicht berechtigt, mitzureden. Schließlich soll der Streit zwar engagiert, aber am Ende doch konstruktiv sein. Und um konstruktiv zu sein, so meint man, müssen sich alle an die Regeln der Logik halten.

Logik ist in dieser Sicht eine alte und gut begründete Wissenschaft, die zudem durch jeden, der für sich beansprucht, vernünftig zu sein, erlernt und angewandt werden kann. Logik als Wissenschaft ist Mathematik, und ihre Regeln sind so glasklar vernünftig und zwingend wie die der Addition und Multiplikation. Wer sich nicht selbst die Mühe machen will, die Anwendung dieser Regeln zu lernen, soll wenigstens auf die Experten hören, die das können, soll ihnen vertrauen und im Übrigen schweigen.

Die Artikel-Reihe, die mit diesem Text beginnt, wird diese einfache Sicht der Dinge fragwürdig machen. Kurz gesagt, behaupte ich hier, dass die einfache Logik für die meisten Bereiche, um die wir engagiert streiten, gar nicht anwendbar ist. Unsere praktische und gesellschaftliche Welt gehorcht nicht klaren mathematischen Regeln, weder denen einer simplen formalen Aussagenlogik, noch denen einer ausgefeilten Argumentationslogik. Zwar können all die durchdachten Regelsysteme hilfreiche Orientierung geben um die Realität zu durchschauen. Sie können uns sozusagen als einfache Beispiele dienen, so wie wir mit Puppen und Teddybären als Kinder Schule oder Vater-Mutter-Kind gespielt haben und damit einen ersten Eindruck davon bekamen, wie unser Zusammenleben strukturiert ist. Aber die einfachen Beispiele und Regeln lassen sich nicht einfach auf die Welt anwenden und schon gar nicht können wir sie als Werkzeugkasten in einer realen Diskussion verwenden um irgendwen von einer Wahrheit zu überzeugen. Sie sind weder zur Beschreibung eines möglichen rationalen Diskurses geeignet, noch als Normen, nach denen die Teilnehmer des Diskurses sich zu richten hätten, wenn sie beanspruchen, am Gespräch teilzunehmen.

Deshalb ist es auch absurd, die Einhaltung und Beachtung dieser Regeln zur Voraussetzung für die Teilnahme an einer Diskussion zu machen. Vernünftig ist immer nur die Beachtung einer Logik, die dem Problemkreis, um den sich das Gespräch dreht, angemessen ist. Die Einhaltung einer Logik zu fordern, die nicht angemessen ist, ist hingegen unvernünftig.

Meinungen und Erwartungen

Ich werde versuchen, ein paar Elemente der Logik des alltäglichen Gesprächs zu finden, vor allem, wenn sich dieses Gespräch um politische Standpunkte, Befürchtungen, Wünsche und Handlungsoptionen dreht. Solche Äußerungen werde ich im Weiteren als Erwartungen oder Meinungen bezeichnen. Diese Begriffe sollen zum Ausdruck bringen, dass es sich nicht einfach um Überzeugungen über den Zustand der Welt handelt, sondern dass die Person, die sie äußert, dazu auch Stellung bezieht. Auf der anderen Seite beziehen sich die meisten Meinungen als Erwartungen nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Konsequenzen des Gegenwärtigen für die Zukunft. Sie sind deshalb nur selten durch direkte Beobachtung zu beweisen oder zu widerlegen.

Tatsächlich werden diese Ergebnisse der folgenden Betrachtungen auch normativen Charakter haben: Da die meisten von uns vernünftig sein wollen, kann man auch von ihnen verlangen, vernünftig zu sein. Aber die Vernunft zeigt sich eben nicht im Einhalten von Regeln, die sich eine Wissenschaft ausgedacht hat, auch wenn diese Wissenschaft alt und auf einigen Gebieten auch erfolgreich ist.

Was das alles genau besagt, wird sich erst im Laufe der Kolumnen-Beiträge zeigen. Es gehört zur Logik der Sache, dass wir nicht systematisch aufbauend vorgehen können, sondern uns sozusagen von einem unklaren Vorverständnis und einer intuitiven Einsicht aus in Kreisen immer wieder erneut den Kerngedanken der Logik, die wir für gesellschaftliche und praktische Fragen brauchen, annähern können.

Die Bereitschaft, zu begründen

Was heißt überhaupt Logik? Was ist Rationalität? Kurz gesagt, es geht um das begründete und begründende Sprechen. Ich sage etwas: Es mag eine Behauptung, eine Sorge, ein Wunsch, eine Vermutung oder eine Bitte sein. Auf meine Meinung oder Erwartung  kann mein Gegenüber eine Begründung fordern. Die erste These über die Logik als begründetem Sprechen lautet: Zur Rationalität gehört es, die Forderung nach Begründungen zu verstehen, zu akzeptieren und zu versuchen, ihr zu genügen. Als vernünftiger Mensch verstehe ich, dass jemand „Warum?“ fragt, wenn ich eine Meinung oder Erwartung äußere.

Wer auf die Frage nach dem Warum seiner Bitte, Überzeugung oder Sorge nur antwortet „Das ist eben so!“ oder „Weil ich das so will!“ oder „Weil ich das eben weiß!“ ist genauso wenig vernünftig wie jemand, der antwortet „Das weiß doch jeder!“, „Wie kannst du daran zweifeln!“ oder „Weißt du es etwa besser?“ Vernünftig ist, auf die Frage nach dem „Warum“ einen Grund anzugeben, den der, der fragt, als Grund verstehen und akzeptieren kann. Die Weisen, solche Gründe zu formulieren, sind durch die Logik festgelegt, der die Personen folgen, die da miteinander sprechen.

Man sieht schon, dass Logik eine Sache der gemeinsamen Akzeptanz von Wegen des Begründens ist. Wer meint, die richtige Logik zu besitzen und diese irgendwie einem anderen aufdrängen zu können, verhält sich streng genommen schon unlogisch. Er muss die Vorteile seiner Art, Begründungen zu geben, ja erst erweisen. Und wie könnte er das besser tun, als in der Sache zu argumentieren und den anderen zu überzeugen – nicht in erster Linie davon, dass seine Schlussweisen die „richtigen“ sind, sondern in der Sache, um die es in der Diskussion geht, die gerade geführt wird.

Viel mehr braucht es nicht, um vernünftig zu sein. Aus der Beobachtung tatsächlicher erfolgreicher Diskussionen können wir einige Charakteristika einer vernünftigen Logik ableiten. Das werde ich in den nächsten Teilen dieser Serie versuchen. Dabei werden sich die Grenzen aber auch die Möglichkeiten des Reflektierens über Logik und Rationalität zeigen.

Wahrhaftigkeit

Das ganze Unternehmen hat nur eine Voraussetzung: Wir nehmen an, dass die Teilnehmer der Diskussion, die wir verfolgen, wahrhaftig sind. Wir vermuten, dass sie, wenn sie etwa eine Überzeugung formulieren, tatsächlich von dem überzeugt sind, was sie sagen, dass sie, wenn sie eine Sorge zum Ausdruck bringen, tatsächlich besorgt sind, dass sie, wenn sie einen Wunsch oder eine Hoffnung formulieren, tatsächlich das wünschen oder hoffen, was sie so benennen. Genau genommen heißt das nicht, dass sie es auch „wirklich sagen“ – denn was wirklich gesagt wird, kann ja schon wieder Gegenstand von Unklarheiten und Missverständnissen sein. Wahrhaftig bedeutet nur, dass derjenige, der spricht, beabsichtigt, das auszudrücken, was er meint und erwartet.

Wir gehen also davon aus, dass niemand lügt oder täuscht. Die Logik der Lüge zu formulieren wäre eine andere Herausforderung, die ich hier nicht annehmen will. Natürlich wissen wir nicht, ob jemand vielleicht lügt – ich werde darauf zurückkommen, ob es vernünftig ist, so etwas zu vermuten. Aber ich beginne mit der Annahme, dass alle, die sich an einem Gespräch beteiligen, wahrhaftig sind.

Zum zweiten Teil der Serie: Das Prinzip der Nachsichtigkeit.

Jörg Phil Friedrich lebt in Münster und ist Philosoph und IT-Unternehmer. Er schreibt und spricht vor allem über technik-und wissenschaftsphilosophische Themen und Fragen der praktischen Philosophie (Ethik, politische Philosophie, philosophische Ästhetik).

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