HOHELUFTpost vom 28.08.2015:
Der Fund ist gruselig, und er gibt zu denken: Archäologen haben in der Nähe von Frankfurt am Main ein Massengrab freigelegt, in das unsere Ahnen vor 7000 Jahren ziemlich achtlos 26 Leichname geworfen hatten, darunter viele Kinder. Das ist auffällig, weil die Menschen damals ihre Toten meist mit Respekt und Sorgfalt bestatteten. Noch auffälliger ist der Zustand der Leichname. Sie zeigen deutliche Spuren brutaler Gewalt. Manchen wurde offenbar mit stumpfen Waffen der Schädel eingeschlagen. In manchen Knochen stecken noch Pfeilspitzen.
Der Fund befeuert eine ohnehin schon hitzige Debatte: Ist der Mensch von Natur aus friedlich – oder gewaltsam? Der amerikanische Psychologe Stephen Pinker behauptet in seinem Buch »Gewalt« von 2011, dass die Menschheit im Lauf der Zivilisationsgeschichte immer friedlicher wurde und heute weniger gewaltsam denn je ist. Andere Gelehrte widersprachen Pinker heftig. Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg werden über seine These allenfalls bitter lachen können. Doch der Frankfurter Fund scheint sie zu stützen.
Was stimmt denn nun: Ist der Mensch wirklich ein geborener Brutalo, besänftigt durch die Zivilisation? Oder ein von Natur aus friedliches Wesen, verroht durch den Existenzkampf in unserer rücksichtslosen Gesellschaft, wie Jean-Jacques Rousseau behauptete? Ich glaube, das ist eine falsche Dichotomie. Der Mensch ist von sich aus weder friedlich noch gewaltsam. Den Menschen »von sich aus« gibt es gar nicht, es gibt ihn nur in diesen oder jenen Umständen, und so gut wie jeder Mensch würde unter manchen Umständen gewaltsam werden, heute oder in der Steinzeit. Unsere Natur können wir nicht ändern. Sehr wohl aber die Umstände.
– Tobias Hürter