Die NSA hat also Angela Merkels Handy abgehört. So what, könnte man sagen. Besser das Handy der Bundeskanzlerin, als die Kommunikation von Millionen anderen Bürgern. Der Zweck von Geheimdiensten besteht schließlich darin, möglichst relevante Informationen zu sammeln. So gesehen hat die NSA bessere Gründe, die deutsche Bundeskanzlerin abzuhören als beispielsweise mich. Mein Telefon abzuhören, wäre geradezu Ressourcenverschwendung. Bei der Bundeskanzlerin hingegen muss man natürlich annehmen, dass es etwas Interessantes zu erfahren gibt. Insofern wäre es aus Sicht der NSA fast fahrlässig, die Kanzlerin nicht abzuhören, erst recht, wenn sich ihr ungesichertes Handy dem geheimdienstlichen Zugriff sozusagen offen darbietet. Moralisch und politisch gesehen ist das vielleicht skandalös, aus Sicht eines Geheimdienstes ist es nur logisch.
Umgekehrt muss man ernstlich fragen, warum die Kanzlerin unverschlüsselt kommuniziert hat. Entweder hat sie dadurch über Jahre hindurch bedeutsame Informationen preisgegeben, dann hat sie deutschen Interessen geschadet. Oder sie hatte eigentlich gar nichts wichtiges zu besprechen, dann wirft das auch ein paar Fragen auf. Willy Brandt musste bekanntlich zurücktreten, weil er dem DDR-Spion Günter Guillaume zu sehr vertraut hatte, obwohl die an die DDR übermittelten Informationen offenbar gar nicht besonders sensibel waren. Angela Merkel hat immerhin ihrem Handy vertraut – zu sehr, wie es scheint.
Überhaupt lehrt „Merkelgate“ etwas über Vertrauen und Freundschaft. Wer einem anderen vertraut, der macht sich angreifbar. Man verzichtet darauf, ihn zu überwachen. Vertrauen kann man einem engen Freund. Einen Freund hört man nicht ab, um seine wahren Absichten zu erfahren. Nahestehende Menschen kennen wir oft gut genug, um davon überzeugt zu sein, dass wir ihnen vertrauen können. Aber einem fremden Staat kann man nicht vertrauen (und vermutlich nicht einmal dem eigenen). Insofern ist es lächerlich, wenn Merkel erklärt: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“
Kant definierte die Freundschaft als einmal als „das völlige Vertrauen zweier Personen in wechselseitiger Eröffnung ihrer geheimen Urteile und Empfindungen“. Zu Recht schrieb Kant von „Personen“ und nicht von „Staaten“. Zwischen Staaten gibt es keine Freundschaft. Ein derart rückhaltloses Vertrauen zwischen Staaten wäre nicht nur naiv, sondern geradezu töricht. Merkel und Obama sind schließlich nicht persönlich befreundet. Und selbst wenn sie es wären, dürften sie einander niemals völlig vertrauen, weil sie sich und ihr Land dadurch verletzbar machten. Eine tragfähige Beziehung zwischen Staaten kann nur entstehen, wenn man möglichst viel übereinander weiß, wenn es belastbare Praktiken und Kontrollmechanismen gibt, die die Zuverlässigkeit des jeweils anderen sicherstellen. In der Logik der Geheimdienste gehört dazu natürlich auch das Abhören des Anderen, ganz nach der Lenin zugeschriebenen Redewendung: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ So gesehen muss man sich die Frage stellen, warum der BND eigentlich nicht weiß, was Obama am Telefon bespricht. Und erst recht ist es peinlich, dass die deutschen Geheimdienste nichts davon wussten, dass die Bundeskanzlerin abgehört wurde – und dass sie es nicht verhindern konnten. Höchst peinlich ist es natürlich für die Amerikaner, dass sie beim Abhören erwischt wurden. Insofern kann man sagen, dass die ganze Affäre eine einzige Peinlichkeit ist. Darüber sollten sich Merkel und Obama mal unterhalten. Am besten telefonisch, damit alle mithören können.
– Thomas Vašek
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