In einer Zeit, in der alles potentiell öffentlich wird, scheint der Tod das Persönlichste überhaupt zu sein. Das eine, was einem keiner nehmen kann. Er wird nicht geteilt, er wird nicht geliked, er wird nicht geshared. Das dokumentierte Sterben des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf durchbrach diese Grenze. Und stiftete so Sinn im Nebel der Sinnlosigkeit.
Nach der Diagnose eines Hirntumors führte Herrndorf regelmäßig ein bewegendes Blog über sein Leben im Bewusstsein des baldigen Todes. Über Jahre konnten die Leser sein Ringen mitverfolgen. Dabei war es keine exhibitionistische Leidensdarstellung, sondern ein ergreifendes Protokoll, schwankend zwischen Alltag und Verfall, Humor und Depression – und immer bedrückend ehrlich. Nun, am Montag, den 26. August 2013 gegen 23.15 Uhr, setzte Wolfgang Herrndorf seinem Leben ein Ende.
Anstatt eines schnellen Ablebens wurde sein Sterben zum langen, bewussten Prozess, an dem er die Welt auf einzigartige Weise teilhaben ließ. Der Philosoph Martin Heidegger schrieb in seinem Werk „Sein und Zeit“, dass ein Leben im Bewusstsein des eigenen Todes den Menschen in die „Eigentlichkeit“ führe. Wahrlich leben lässt es sich demnach erst im Bewusstsein der Endlichkeit der eigenen Existenz, dem Sein zum Tode. Wer Herrndorfs Blog las, hatte eher das Gefühl, dass sich in der Erkenntnis des eigenen Endes eine große Sinnlosigkeit offenbart. Herrndorf schien wie kein anderer um das perfide Paradox unserer Existenz zu wissen, nur zu sein, um bald wieder zu verschwinden – gerade auch, weil er erst wirklich erfolgreich wurde, als er von seiner Krankheit bereits erfahren hatte. Auf der anderen Seite bewegte und rührte Herrndorf durch seine Schriften tausende Menschen. Sein wunderbarer Roman „Tschick“ wird wohl noch lange seinen Platz im deutschen Gedächtnis und Regal behaupten können.
Herrndorfs Blog hingegen schaffte noch mehr als das. Mit der Entscheidung für ein öffentliches Sterben ließ er die Menschen an seinen Erfahrungen teilhaben, reflektieren und in das eigene Dasein integrieren – und fügte so (s)einen Sinn in die Sinnlosigkeit des Seins.
– Robin Droemer