Im größten Kunstfälscherprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte ist letzte Woche das Urteil gefallen. Der Fälscher Wolfgang Beltracchi muss sechs Jahre ins Gefängnis, seine Frau und seine Komplizen müssen ebenfalls jahrelang in Haft. Juristisch ist der Fall erledigt. Philosophisch bleiben Fragen: Was genau stört uns so sehr an Fälschungen? Warum haben wir so viel weniger Freude an ihnen als an Originalen? Die Beltracchis haben betrogen, das ist klar, aber irgendwie scheint ihr Betrug über andere Betrügereien hinauszugehen, sie haben nicht nur betrogen, sondern auch gefälscht. Was ist es, das ihnen jetzt so viel Aufmerksamkeit verschafft?
Das sind Fragen, mit denen sich Soziologen und Psychologen seit langem beschäftigen. Eine gängige Antwort ist: Wir hängen an Originalen, weil wir Snobs sind. Originale haben einen sozial höheren Status als Imitate. Dieser höhere Status überträgt sich auf die Besitzer, und Status ist, was wir alle wollen. Unsere Versessenheit auf Originale sei nichts als ein kulturelles Konstrukt.
Originale sind wertvoller, weil es offensichtlich weniger von ihnen gibt als Fälschungen – und aus keinem anderen Grund. Rein ästhetisch seien Originale und Fälschungen gleichwertig.
Auch der amerikanische Psychologe Paul Bloom hat sich in seinem Buch „How Pleasure Works“ mit diesen Fragen beschäftigt. Doch er gibt eine wesentlich andere Antwort. Die Lust am Original liege nicht in der Kultur, sondern in der Natur des Menschen, sagt er. Menschen sind geborene Essentialisten. Sie sehen in einem Gegenstand nicht nur dessen physikalische Zusammensetzung, sondern auch dessen Geschichte. Deshalb können sich auch Gegenstände unterscheiden, die sich Atom für Atom gleichen, weil sie eine verschiedene Herkunft haben. Das gilt nicht nur für so ätherische Angelegenheiten die Kunst, sondern auch für aller Allerweltsdinge. Zum Beispiel Essen. Ein Stück Fleisch schmeckt uns besser, wenn wir glauben, dass es von einem glücklichen Rind stammt, das noch vor kurzem über eine saftige Wiese gestapft ist. Wein bekommt eine reicheres Bouquet, wenn er aus einer teuren Flasche eingeschenkt wird – er schmeckt tatsächlich besser, das haben Neurophysiologen sogar im Hirnscanner nachgewiesen. Ein Kaugummi, den Britney Spears einmal gekaut und ausgespuckt hat, erzielte auf einer Auktion eine hohe dreistellige Summe. Was könnte unsere Besessenheit mit Originalen besser illustrieren?
In der Kunst spielt es eine besonders große Rolle, ob ein Werk ein Original ist. Gemälde, die sich als Fälschungen erweisen, sinken im Wert sofort von zig Millionen auf Null. Der Philosoph Denis Dutten schreibt in seinem großartigen Buch „The Art Instinct“: “ Der Wert eines Kunstwerks wurzelt in Annahmen über die menschliche Leistung, die seiner Erschaffung zugrundelag.“ Und zu dieser Leistung gehört vor allem der Mensch, der sie vollbrachte. Das Aufsehen, das der Prozess um die Beltracchis erregte, ist kein Produkt unserer Kultur. Fälschungen regen uns auf, weil wir Menschen sind.
Veröffentlicht am 19. November 2011
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