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Wer schafft hier was?

Angela Merkel redet zwar, aber handelt zu wenig. So sehen es zumindest einige ihrer Kritiker_innen im Bezug auf ihre Flüchtlingspolitik. Warum aber wird ihr Satz »Wir schaffen das« ein Jahr nach dessen Ausspruch so kontrovers diskutiert? – Eine sprachphilosophische Analyse.

»Wir schaffen das!« – der Satz hallt wider. Seit einem Jahr nun, seit der Bundespressekonferenz am 31. August 2015, als sich die Kanzlerin Angela Merkel an ein Deutschland wandte, das die Monate zuvor mit einer noch nicht dagewesenen menschlichen Krise konfrontiert worden war: 800 000 Asylsuchende würden es im Jahr 2015 in Deutschland werden, so lautete die Prognose, die Innenminister de Maizière wenige Tage vor der Pressekonferenz veröffentlichte. Bis Jahresende sollten es knapp über eine Million Menschen werden, die in Deutschland Asyl beantragen würden.

Vor diesem Hintergrund formulierte Merkel ihren Satz, den der Süddeutsche-Journalist Heribert Prantl als „Appell an die Menschlichkeit“ verstanden wissen will. »Wir schaffen das«. Ein Satz ausgesprochen als optimistische Geste, ein Satz, der zum Leitspruch ihrer Flüchtlingspolitik wurde. Für viele aber wirkte der Satz eher provokant denn ermutigend und bot einigen Angriffsfläche für Kritik an der »Willkommens-Politik«, die Merkel damit propagiere.

Was aber meinte dieser Satz konkret? War er als Behauptung, als Beruhigung, als Aufforderung zu verstehen?

Nach John L. Austins (1911-1960) Theorie der Sprechakte ist er zuvorderst eine Sprechhandlung. Danach haben sprachliche Äußerungen nicht nur eine beschreibende Funktion der Wahrheit. Mit Sprache handeln wir auch. Wir heiraten, wir befehlen, wir geben uns Versprechen … all das sagen wir nicht nur, wir tun es in dem Moment auch.

Was unterscheidet nun aber performative von nicht-performativen Äußerungen? -Nicht-performative Aussagen sind beschreibend, also danach zu beurteilen, ob sie wahr oder falsch sind. Performative Akte sind genau das nicht: richtig oder falsch, sie können nur glücken oder misslingen. Austin unterscheidet weiter den lokutionären, illokutionären und perlokutionären Sprechakt. Als lokutionär versteht sich das Sagen unter seinen semantischen und syntaktischen Bedingungen – Fragen wie »wer, was, wie« also. Der zweite, der illokutionäre Akt gibt Auskunft über die Absicht der Sprecher_in:  Es wird versprochen, zu etwas aufgefordert, vor etwas gewarnt; Menschen werden getauft, sie heiraten oder rufen Republiken aus. Ein Sprechakt kann misslingen, wenn Aussagen die Regeln dieser gesellschaftlichen Riten missachten, unaufrichtig sind, oder aber, wenn die Äußerung nicht von darauf folgenden Handlungen gestützt wird. Ein »Ja, ich will« zu meiner/-m Partner_in ohne Standesbeamtin ist noch keine Hochzeit!

Sprechakte funktionieren nur aus ihrem Regelschema heraus, im Falle Merkels ist es die Institution Kanzlerin, die ihren Aktionsraum bestimmt und ihren Ausspruch »Wir schaffen das« so viel wirkmächtiger macht, als wenn beispielsweise meine Mutter oder mein Vater denselben Satz äußerten. Als Regierungschefin hat sie die Macht, die Situation zu verändern.

Im perlokutionären Akt geht es um die Wirkung, die mit dem Ausgesagten beim Gegenüber erzielt wird, wie also die/der Angesprochene reagiert.

Intendierte Reaktion und tatsächlicher Effekt können dabei divergieren und so den Sprechakt scheitern lassen. Der performative Akt braucht für sein Bestehen die Einheit von der Intention des Gesagten mit der Reaktion der Adressaten.

Wendet man nun Austins Grundsätze zur Sprechakttheorie auf Merkels »wir schaffen das« an, dann erfüllt der Satz die Bestimmungen einer performativen Aussage, die handelt, anstatt nur auszusagen. Eine erste Schwierigkeit ergibt sich allerdings in seinem lokutionären Gehalt, also dem beschreibenden Teil der Aussage – nämlich die eines (zu) vage bestimmten Subjekts. Wer ist dieses »Wir«, an das sich Merkel richtet und unter »Deutschland« zusammenfasst? In ihrem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (31.8.2016) erklärte sie kürzlich, dass sie sich damit an Politik, Helfer_innen, die Wirtschaft und die deutsche Gesellschaft wandte, genauso aber auch an Europa und deren Gemeinschaftspolitik: »Das Wir geht aber über Deutschland hinaus: Wir Europäer müssen es schaffen.« Aus ihrem ersten Ausspruch vom letzten Jahr geht aber genau das nicht klar hervor – der Adressat verschwimmt im Subjekt des Satzes und wird damit für diverse Spekulationen aneigenbar, ganz zum Nutzen derer, die damit ihre Kritik befeuern.

Vereinfacht fasst Austins Begriff des illokutionären Sprechakts die Absicht einer Aussage zusammen. Was aber war genau war Merkels  Absicht?  Meint sie damit eine optimistische Zukunftsaussicht, wonach wir uns ausruhen können, »wir schaffen das« ohnehin. Oder braucht es Einsatz, braucht es Anstrengungen, gilt er also als Aufforderung? Was sie tatsächlich mit ihrem Gesagten bewirken wollte, blieb sie – ihren  Kritiker_innen zufolge – schuldig, sie machte nicht explizit, was sie meinte. Erst später in einem SZ-Interview vom 31.August diesen Jahres erläutert Merkel: Es sei ein »Satz des Anpackens«; ein Satz, der auffordern soll, zusammen an Lösungen zu arbeiten.

Woran liegt es also, dass der Satz so kontrovers diskutiert wird – ist es die Unklarheit, wie Merkels Worte nun eigentlich zu verstehen sind: als Aufforderung, als ein Gut-Zureden? Oder als Beschreibung, die danach beurteilt werden kann, ob sie wahr oder falsch ist? Womöglich liegt aber genau hierin eine der Schwierigkeit, die den Satz so umstritten machen – der Anspruch an den Satz wahr oder falsch zu sein, wo er doch als Aufforderung gedacht war. Der Ausspruch schafft es damit nicht seinen Appellcharakter zu realisieren. Der Schritt vom Wort zur Tat wird vernachlässigt bzw. die Tat im Wort zu ungenau gemacht.

Andererseits belässt der Satz seinen Inhalt vage – das von Merkel hochgehaltene »Schaffen« gibt weder konkrete Handlungsanweisungen (nach der Art: »wir werden es schaffen, ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen, die Menschen zu integrieren und die dafür erforderlichen Maßnahmen setzen…«), noch kann sie sich auf erbrachte Leistungen stützen, die ihr Sagen konkret werden lassen würden. »Wir schaffen das« impliziert (politische) Arbeit, aber genau diesen Einsatz ließ die Kanzlerin in den Augen ihrer Kritiker missen. Der Handlungsauftrag in ihren Worten verliert sich damit in einer Floskel.

– Denise Du Rieux

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