Alle Artikel mit dem Schlagwort: Heraklit

Im Alten Griechenland #5: Mit Heraklit am Fluss

Nun war ich schon eine Weile bei Heraklit und endlich wollte ich ihm die Frage stellen, was es nun mit dem Fließenden auf sich hatte. Anderswo hatte ich gehört, dass der Satz πάντα ῥεῖ (pánta rhei – „alles bewegt sich / alles fließt“) von ihm stammen würde, ein Satz, der es ja als „geflügeltes Wort“ bis in unsere Zeit geschafft hatte. Der Satz klang natürlich irgendwie richtig, aber ich mochte nicht glauben, dass schon ein Denker aus dem alten Griechenland zu dieser Einsicht gekommen sein sollte. Selbst für uns heutige gab es doch vieles, was unveränderlich schien, die astronomischen Prozesse etwa, aber auch die Gebirge und die wichtigen Formen der Landschaften veränderten sich kaum. Wir brauchen Geschichtsbücher und die Wissenschaften, um davon überzeugt zu sein, dass auch in diesen Gegebenheiten stetiger Wandel stattfand. Wie sollte jemand, der keine moderne Naturwissenschaft kannte und für den auch die Lehren aus der Geschichte noch nicht unbedingt auf stetige Veränderung der Welt hinweisen mussten, zu einer solchen Einsicht kommen? Gerade die Flüsse zeugten doch in ihren Flussbetten von einer …

Im Alten Griechenland #4: Unerreichbare Grenzen

Am Abend nach meinem ersten Gespräch mit Heraklit hatte ich noch eine Weile über die Psyche nachgedacht, diese Lebenskraft, deren Bedeutungsvielfalt sich selbst mehrt. Umso mehr ich darüber nachdachte, desto undeutlicher wurde mir wieder der Sinn des Satzes. Ich wollte Heraklit am nächsten Tag erneut danach fragen, was es mit dem Logos der Psyche, also der begrifflichen Vorstellung von dieser Lebenskraft auf sich hat. Heraklits neue Auskunft war nicht viel klarer als die, die er mir beim ersten Mal gegeben hatte. Er sagte: Ψυχῆς πείρατα ἰων οὐκ ἄν ἐχεύροιο· Psyches peirata ion ouk án echeúroio. Die Konstruktion ἄν ἐχεύροιο war neu für mich, ich verstand sie nicht gleich. ἐχεύροιο ist ein Optativ, ein Modus von Verben, den wir im Deutschen nicht haben, er drückt einen Wunsch aus. Mit ἄν zusammen drückt er aber eine Möglichkeit, eine Macht aus. Wörtlich genommen bedeutete Heraklits Satz also: Psyches Grenzen gehend nicht kannst herausfinden – wobei mir schon klar war, dass ich „Psyche“ nicht im modernen Sinn verstehen durfte. Aber ich konnte das Wort hier als meine geistige, seelische …

Im Alten Griechenland #3: Bei Heraklit

Ich entschied mich, einen Philosophen aufzusuchen, von dem ich schon viel gehört hatte: Heraklit. Mir war zu Ohren gekommen, dass er gesagt haben soll, dass alles fließt und dass man nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen könne. Der konnte ja unmöglich nur über sich selbst nachdenken, vermutete ich. Ich traf ihn als alten, offenbar ziemlich wohlhabenden Mann in Ephesos. Da ich ihn nicht gleich mit der Sache mit dem Fluss behelligen wollte, fragte ich ihn – auch wenn ich schon befürchtete, dass seine Antwort der von Thales und Chilon ähneln würde – doch als erstes danach, womit er sich in seinem Philosophenleben denn am meisten beschäftigt hätte. ἐδιζησάμην ἐμεωυτόν edizesámen emeouton Das war seine Antwort. Ich hatte es ja befürchtet. Wieder tauchte dieses „ich selbst“ in dem Satz auf: ἐμεωυτόν bedeutete, wenn auch wieder in einem etwas anderen Dialekt, „mich selbst“ oder „mir selbst“. Aber was ist die Bedeutung von ἐδιζησάμην? Schnell schlug ich in meinen Wörterbüchern nach und fand, dass es zu διζημαι gehört, also bedeutet, dass man nach etwas sucht, indem man …