Aktuell, HOHE LUFT, Onlinebeitrag, Politik
Schreibe einen Kommentar

Bezahlbarer (T)Raum? 

Glückseligkeit ist für Aristoteles das einzige Gut, welches um seiner selbst willen angestrebt wird. Aber auch der Glückselige wird wohl in äußeren guten Verhältnissen leben müssen“. Unter guten Verhältnissen versteht Aristoteles kein angehäuftes Vermögen, sondern lediglich ausreichend materielle Güter, um sich dem tugendhaften Handeln widmen zu können. Auch Martha Nussbaum philosophiert in Anlehnung an Aristoteles darüber, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Menschen gut leben und ihr Potential entfalten können. Erst bestimmte Minimalbedingungen ermöglichen ein „truly flourishing human life“; Nussbaum spricht von »Fähigkeiten« (capabilities). So entspringt die menschliche Fähigkeit eine Unterkunft zu haben, dem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Schutz.

Eine Unterkunft scheint jedoch nicht immer selbstverständlich zu sein, zumindest nicht zu einem angemessenen Preis, denn zehntausende trieb es am 06. und 07. April deutschlandweit für bezahlbaren Wohnraum auf die Straßen. Was heißt es, die eigene Wohnung nach einer Mieterhöhung nicht mehr zahlen zu können? Die Sorgen, die damit einhergehen, sind für viel existentiell. Es kann bedeuten, an den Stadtrand verdrängt zu werden, enger zusammen rücken zu müssen oder einfach nicht in München studieren zu können. Dass es „kein Grundrecht auf billige Miete mitten in der Großstadt“ gibt, wie Reinhard Müller in der FAZ schreibt, nimmt dem Menschen zwar nicht die Freiheit umzuziehen. Doch das unerfüllte Grundbedürfnis nach Schutz und Rückzugsort nimmt ihm die Freiheit der Entfaltung. Wie soll der Staat damit umgehen, wenn Bürger ihren privaten Raum bedroht sehen?

Die Demonstrationen gegen #Mietwahnsinn fielen mit einer Bürgerinitiative zusammen: „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ fordert, dass Eigentum privater Berliner Immobilienunternehmen in Gemeineigentum überführt werden soll. Die Forderungen stützen sich auf Artikel 15 des Grundgesetztes (der bisher noch nie zur Anwendung kam) und nach dem Grund und Boden „zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeingut oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“ kann. Nach Artikel 14 des Grundgesetztes ist Enteignung möglich. Dies hat bisher beispielsweise beim Straßenausbau Anwendung gefunden. Während Vergesellschaftung für die Befürworter ein legitimes Mittel darstellt, um „gegen die grassierende Wohnungsnot vorzugehen“ (Robert Habeck), halten sie Gegner für eine sozialistische Zwangsmaßnahme.

Auch der Staat, als Zusammenschluss kleiner Hausgemeinschaften, ist für Aristoteles auf die Glückseligkeit ausgerichtet. Er unterscheidet dabei die gesetzliche Absicht, die „entweder das gemeine Beste aller Staatsangehörigen, oder das der ersten oder der herrschenden Klassen“ anstrebt. Der Staat muss sich also entscheiden, wem er sich primär verpflichtet fühlt. Gerecht ist nach Aristoteles in einem Sinne „was  in  der staatsbürgerlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit und alles, was zu ihr gehört, hervorbringt und aufrechterhält“. Ebenso nennt Martha Nussbaum eine Gesellschaft dann gerecht, wenn sie ihren Mitgliedern Minimalbedingungen garantieren kann. Für sie gibt es nicht nur den Menschen innewohnende Fähigkeiten, sondern auch solche, die erst durch das soziale und ökonomische Umfeld geschaffen werden. Falls steigenden Mieten nur durch staatlichen Eingriff entgegen gewirkt werden kann, ist die  Vergesellschaftung zumindest als eine mögliche Option zu durchdenken. Dass Minimalbedingungen in einer Gesellschaft für alle erfüllt sein sollten ist nicht (ausschließlich) eine sozialistische, sondern zunächst eine gerechte Vorstellung. Auch Aristoteles hat schon beschrieben, dass für Zufriedenheit Luft und Liebe alleine nicht ausreicht.

– Lena Frings

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert