»Populisten sind die Pest«, so etwas sagt sich ganz leicht. Aber neigen wir nicht alle dazu, Dinge zu vereinfachen? Wenn wir den Populismus bekämpfen wollen, sollten wir daher beginnen, uns selbst zu verstehen.
Die Flüchtlinge rennen uns die Türen ein, der Rechtsstaat ist ausgehebelt, das politische Establishment nicht vertrauenswürdig. So nehmen »Populisten« die Lage wahr. Sie vereinfachen die Probleme, sie spitzen sie aufs Äußerste zu – und sie beanspruchen für sich, als Einzige den Durchblick zu haben, während alle anderen unfähig oder verblendet sind. So oder ähnlich lauten gängige Definitionen populistischer Politik.
Aber wie viel Populismus steckt in jedem von uns? Neigen wir nicht alle manchmal zu grober Vereinfachung, wenn wir über die Welt und die anderen urteilen? Womöglich verstehen wir den Populismus besser, wenn wir unsere eigenen Denkmuster und Wahrnehmungsschablonen auf den Prüfstand stellen. Wir nehmen uns heraus, andere Menschen nach dem Augenschein einzuschätzen, ohne Näheres über sie zu wissen. Wir schließen von uns selbst auf andere. Wir orientieren uns an Stimmungen und Atmosphären. Wir behaupten irgendwelche Dinge, ohne den Wahrheitsgehalt überprüft zu haben. Oft genug halten wir unsere eigene Meinung für die objektiv gültige. Wie die Populisten den Beifall der Menge brauchen, um sich stark fühlen zu können, so brauchen wir die Likes in unserer Facebook-Filterblase. Schon ein kleiner Wortwechsel mit dem Nachbarn im Treppenhaus genügt, um ihn jäh zum Feind zu erklären.
Der politische Populismus hat es auch deshalb so leicht, weil er an solche vorhandenen Mechanismen anknüpfen kann. Früher artikulierte sich der Demagoge von nebenan am Stammtisch, heute twittert und postet er seine Tiraden. Das soll nicht heißen, dass es keine realen Probleme gibt. Die Probleme existieren. Aber der Populist in uns neigt dazu, auf den Tisch zu hauen und zu sagen: »So geht’s nicht weiter mit diesem Land!« Insofern ist er eine Art Stammtisch-Held – einer von denen also, die nicht nur wissen, wie man richtig Fußball spielt, sondern auch, wie man die Weltprobleme löst. Der Populist in uns will keine langwierigen demokratischen Entscheidungsprozesse abwarten. Er will die Lösung sofort und ohne Kompromisse. Er ist im Innersten seines Herzens kein Demokrat, sondern ein Rechthaber, ein kleiner Diktator. Das macht ihn so gefährlich, wenn er unbeobachtet in der Wahlzelle seine Stimme abgeben soll – und sich dann womöglich an allen rächt, die ihm nicht folgen wollen und seine Sache unnötig verzögern. Der Populist in uns muss nicht unbedingt ein Rechter sein. Er kann auch aus der wohlmeinenden Linksliberalen sprechen, die meint, das Migrationsproblem müsse sich doch ganz einfach lösen lassen. Nämlich auf ihre Weise. Der Populist in uns erschwert es, die realen Probleme differenziert wahrzunehmen und zu pragmatischen Lösungen zu kommen. Der Stammtisch-Held in uns ist der, der alles besser weiß, aber in der Praxis auf lange Sicht scheitert. Denn die Welt widersetzt sich immer wieder unseren Versuchen, sie einer vereinfachenden Sichtweise zu unterwerfen.
Man kann den Populisten in uns nicht austreiben, aber man kann ihn auf eine erträgliche Weise kleinhalten. Die Lösung liegt aber nicht darin, ihm seine Denkfehler nachzuweisen oder ihn sonstwie intellektuell zu belehren. Die Lösung liegt vielleicht in einer Politik, für die das Stammtisch-Heldentum zwar eine Stimme hat, aber eben nur eine unter vielen. Vielleicht stecken auch in uns selbst mehr Stimmen, als wir ahnen. Stimmen, die sich Gehör verschaffen wollen. Die Stimme des Verunsicherten, des Einsamen, des Liebesuchenden oder Anerkennungsbedürftigen, der einfach nicht so recht weiß, wie es mit ihm weitergeht.
Rebekka Reinhard, Thomas Vašek
Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe HOHE LUFT (5/2018). Hier können Sie das Heft versandkostenfrei bestellen.
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