Welchen Stellenwert hat Populärphilosophie? Nach dem Beitrag des Wuppertaler Universitätsprofessors Peter Trawny widersprach HOHE LUFT-Chefredakteur Thomas Vašek dessen These, die Popularisierung stelle eine Gefahr für die Philosophie dar. Peter Trawny antwortet hier abermals auf Thomas Vašek: Populärphilosophie verliere die Fähigkeit, Voraussetzungen infrage zu stellen und zu kritisieren.
Thomas Vašek hat mit seiner Antwort auf meinen Artikel auf bemerkenswerte Weise verdeutlicht, worin der Unterschied besteht zwischen Philosophie und Populärphilosophie, eben jener Unterschied, der der Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist.
Bevor ich mich seiner Antwort widme, möchte ich ihm meine Achtung aussprechen. Anders als andere Vertreter einer sich popularisierenden Philosophie ist er bereit, ein Gespräch über Probleme, die mit ihr zusammenhängen, öffentlich zu führen. Wo andere sich im Glanz ihres Produktes unangreifbar machen wollen, bezieht er Stellung.
Thomas Vašek bestreitet den „Sonderstatus“ der Philosophie. Daraus ergeben sich einige Bemerkungen, die sich wie die Bestreitung selbst als korrekturbedürftig erweisen. Die geringste ist noch die, dass ich eben auf Grund der Behauptung eines „Sonderstatus’“ der Philosophie eine „elitistische“ Auffassung von ihr vertrete. Das ist eine Unterstellung. Ich vertrete diese Auffassung keineswegs. Die Philosophie ist ein universales Projekt. Sie steht jedem Menschen als Menschen offen. Dennoch oder gerade deshalb hat sie einen „Sonderstatus“. Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu denken?
Der „Sonderstatus“ der Philosophie ergibt sich in der Tat daraus, dass für die Philosophie alles – und das schließt sie selbst ein – in seiner Bedeutung zu klären ist. Noch was Philosophie selbst ist, welchen Gegenstand sie hat, ja, ob sie überhaupt einen hat, ist für die Philosophie fraglich. Was Physik ist, fragt der Physiker für gewöhnlich nicht. Was eine Zeitung ist, fragt auch der Macher einer Zeitung nicht. Wo Physiker und Journalist beginnen, ihre Gegenstände für fraglich oder problematisch zu halten, beginnt Philosophie. In diesem Sinne hat der Philosoph überhaupt keine Voraussetzung zu „akzeptieren“, erst recht keine einer, aus welchen Gründen auch immer herrschenden, Wirtschaftsform.
Warum das so ist, liegt auf der Hand: Wie könnte Philosophie über den „Grund“, den „Ursprung“ oder das „Prinzip“ überhaupt nachdenken, wenn sie schon Geltungsvoraussetzungen machen müsste? Und wenn sie diese Geltungsvoraussetzungen machte, würde sie nicht am Ende genau das finden, was sie vorausgesetzt hat? Eben deshalb hat Platon einmal die Philosophie von der Wissenschaft in dieser Hinsicht abgegrenzt: die Philosophie, so Platon, müsse in ihrem Geltungsanspruch „voraussetzungslos“ sein – nur dann könne sie die anderen Wissensbereiche kritisch und auf ihren Grund hin hinterfragen.
Dass Vašek diese Kritik von Voraussetzungen grundsätzlich teilt, zeigt seine Bemerkung, ich würde ein bestimmtes Verständnis von Philosophie voraussetzen, „ohne es … näher zu erläutern“. Doch er kritisiert dann Voraussetzungen, die nicht von mir, sondern von ihm stammen. Das ist ein grundsätzliches Problem seines Artikels. Diese seine Voraussetzungen hindern ihn, den „Sonderstatus“ der Philosophie, wie er von mir verstanden wird, zu sehen.
Sokrates – auf den hinzuweisen auch nach 2500 Jahren noch sinnvoll ist – lokalisiert seine Tätigkeit des Dialogisierens auf der Agora, dem Markt. Man könnte daran festmachen, dass er – wie ein „populärer Philosoph“ von heute – das philosophische Denken und Sprechen inmitten des gesellschaftlichen Lebens situierte. Doch zugleich charakterisierte er sein Denken als ortlos oder verrückt (átopos), als losgebunden von den Diskursformen, die auf dem Markt eben gelten. Deswegen bezeichnete er sich einmal selbst als Pferdebremse, als ein widriges, stechendes Insekt, das die Stadt in Bewegung hält.
Diese Ortlosigkeit des philosophischen Diskurses hat Sokrates im Gespräch selbst berücksichtigt. So ist seine Bemerkung berühmt, in der er seine Methode mit einer „Hebammenkunst“ vergleicht: Ausgangspunkt seiner Befragung des Anderen ist keine festgelegte Weltanschauung (vom wem?), sondern sind gerade die im Brustton der Selbstverständlichkeit, des common sense, vorgetragenen Sichtweisen, die Sokrates darauf hin befragt, wie sie zu rechtfertigen sind.
Aber ist, wie Vašek fordert, das eine Weise, die „die Relevanz“ der Philosophie „auch einer breiteren Öffentlichkeit“ vermittelt? Das Relevanzargument ist beliebt, denn wer will sich schon mit Irrelevantem beschäftigen? Allerdings gibt es ein Problem. Denn hier ist zu fragen: relevant für was und für wen? Wer legt die Kriterien fest, nach denen bestimmt wird, was als „relevant“ und als „irrelevant“ zu gelten hat? Die Organisatoren populärer Philosophie? Der Markt? Wohl nicht. Umgekehrt kann man fragen: Ist eine Philosophie, die sich nicht den „ökonomischen Regeln“ unterwirft, denen wir angeblich „alle unterliegen“, per se irrelevant? Ist die Anerkennung dieser apodiktischen Überzeugung wirklich die Bedingung dafür, dass die Philosophie der Gefahr entkommt, sich elfenbeinturmhoch „von der Gesellschaft abzukoppeln“?
Eine Philosophie, die das Verständlichkeitsdiktat einer behaupteten „Allgemeinverständlichkeit“ und das ökonomische Diktat eines scheinbar erfolgreichen Wirtschaftsverständnisses schon anerkannt hat – wie sollte diese Philosophie in der Lage sein, ihren Lesern die Grenzen und Probleme ihrer Überzeugungen aufzuzeigen? Wie sollte sie in der Lage sein, den gegebenenfalls ideologischen Charakter dieser Wirtschaftsauffassung zu hinterfragen, die als unhinterfragbar gesetzt wird?
Es scheint, als wollte gerade Vašek – der sich so vehement gegen „geschützte Denkwerkstätten“ wehrt – die Philosophie in eine solche Denkwerkstatt einsperren: Man darf über alles nachdenken und alles hinterfragen, wenn es jedoch zu praktischen Konsequenzen kommt – dann hat man eben zu akzeptieren, was nicht anders sein kann, weil es nicht anders sein darf, denn es ist so, wie es ist.
Die populäre Philosophie – sie fühlt sich offenbar unwohl, wenn sie sich am Ende nicht wieder auf die Komfortzone eines common sense berufen kann, den sie selbstverständlich voraussetzt. Denn was bedeutet vor diesem Hintergrund das von Vašek angesprochene „Vermitteln“ der Philosophie im Gewande der Populärphilosophie? Es bedeutet, den Horizont des Lesers und seine Erwartungen als Kriterium für den Philosophen anzusetzen. Dann wird Geld verdient, indem man das Verständnis sicherstellt, selbst wenn der Gedanke seinen Gegenstand verfälschend oder verstellend wiedergibt. „Ein philosophischer Gedanke [wird] nicht dadurch falsch oder trivial, dass er von vielen verstanden wird“ schreibt Vašek. Es kann aber sein, dass er falsch oder trivial wird, weil er von vielen verstanden werden soll.
Das schwächt die Philosophie. Sie benutzt dann kritische Fragen, um den Leser anzulocken – aber die Radikalität der Philosophie, ihre Eigenart, sozusagen dorthin zu gehen, wo es wehtut, vermeidet sie. Denn das ist schlecht zu verkaufen. Dagegen lässt sich eine Philosophie entwerfen, die durchaus ihre politische und soziale Verantwortung anerkennt und doch zugleich und gerade deswegen auf ihren diskursiven „Sonderstatus“ beharrt. Der Philosoph redet nicht mit, er lässt sich weder die Form noch den Inhalt seiner Rede vorgeben. Er ist nicht ins Bestehende integrierbar, viel eher ist er eine Liebhaber der Desintegration, des Bruchs mit der Wirklichkeit – der Kritik.
Die Frage ist nun, ob die von einem bestimmten Kapitalismus organisierte Öffentlichkeit (vgl. z.B. phil.COLOGNE) Diskursformen diktiert oder ob sie offen ist für eine Gesprächsform, die eben diese Organisation kritisieren und – wenn notwendig – hinterfragen und aufbrechen will. Ich beziehe mich wiederum auf ein Beispiel: Wenn der Philosoph zu einer Veranstaltung antritt, die den Zweck hat, den Verkauf seines neuen Buches anzukurbeln, ist er dann bereit, Schwächen seines Denkens, gar Denkfehler, einzuräumen? Ist er bereit, das Publikum zu vergraulen, indem er unbequeme Rückfragen an das stellt, was der potentielle Käufer für selbstverständlich hält? Unwahrscheinlich. Er unterwirft sich vielmehr einer Diskursform, die dem ökonomischen Erfolg seines Produkts dient.
Vielleicht wird man eines Tages im Rückblick erkennen, dass der politische Rechtsruck, der die reicheren Länder der Welt in den letzten Jahren ereilt und verändert, sich einer Denkhaltung mitverdankt, die sich in das Gegebene, Selbstverständliche integriert anstatt es radikal zu hinterfragen. Sie spielt mit, spiegelt sich in der Inszenierung der Macht und gefällt sich darin. Und noch dort, wo sie diese zu durchschauen versucht, verfällt sie ihr – etwa weil sie sie immer schon anerkennt? In der Pop-Kultur ist einmal zu fragen, ob populäre Philosophen im Prinzip mit Populisten verbunden sind. Jede Zeit hat die Philosophen, die sie verdient.
Es ist aber auch deshalb falsch, den „Sonderstatus“ der Philosophie zu bezweifeln, weil sich die Popularität der Philosophie am Ende gerade diesem „Sonderstatus“ verdankt. Die gegenwärtige populäre Philosophie profitiert vom „Sonderstatus“ der Philosophie, ohne ihn noch weiter mit Leben füllen und so bestätigen zu können. Die populäre Philosophie ist der Parasit einer Philosophie, die sie als „unverständlich“ und „elitistisch“ karikiert, ja: karikieren muss, um den eigenen Verkaufserfolg zu garantieren. Der Status des Philosophen wird sich allerdings niemals mit dem des Lohnbuchhalters decken. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Philosoph etwas Besseres wäre. Es soll nur meinen, dass die glänzende Integration des populären Philosophen in den herrschenden Diskurs nur gelingt, weil er die gleichsam mythische Vergangenheit seines Metiers vor sich her trägt und sich als die bessere – verständlichere, ökonomischere – Alternative inszeniert.
Die Philosophie, von der ich träume, ist eine, die jede vorgegebene Diskursform auf ihre Legitimität hin zu prüfen bereit ist. Sie verweigert jeder Autorität – der der Institution, der Partei und des Geldes – unmittelbare „Akzeptanz“. Das ist nicht als Skeptizismus zu verstehen, sondern als eine kritische Haltung. Diese Philosophie bewahrt sich ihren Ort am Rand, außerhalb der disziplinierenden Verfahrensweisen der Gesellschaft. Das aber tut sie nicht, weil sie sich in akademischen elitären Kontexten verkriechen will oder weil sie der Gesellschaft, in der sie lebt und arbeitet, nicht begegnen will. Sondern es gehört zur guten Dialektik dieser Ortschaft oder, besser, dieses Ortsverlusts, dass sich die sie Bewohnenden um die Gesellschaft auf diese Weise noch am Besten kümmern können. Das ist der „Sonderstatus“, den der Philosoph beansprucht, um ihn in seiner Arbeit mit jedem Menschen zu teilen und so preiszugeben.
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