„Denn wenn auch beides sein muss, so ist doch das Leben in Muße dem Leben der Arbeit vorzuziehen.“ (Aristoteles)
Oder ist sie inzwischen nicht schon viel mehr als das? Und was ist davon zu halten? Thomas Vašek, Chefredakteur von HOHE LUFT, diskutierte diese und weitere Fragen zum Thema „Arbeit“ gestern Abend, im Rahmen von HOHE LUFT_live, mit dem Soziologen Prof. Dr. Mathias Stuhr in der modern life school.
Das ganze Gespräch können Sie sich hier anhören.
Die Arbeit wirft heute einige paradoxe Probleme auf: einerseits sind viele Menschen unzufrieden mit ihrem Job, fühlen sich überlastet und gestresst – andererseits sind zahlreiche Arbeitslose unglücklich ohne eine sinngebende Beschäftigung. Außerdem arbeiten die Menschen in der Informationsgesellschaft so wenig wie je zuvor und haben dennoch immer weniger Freizeit. Die Bedeutung von Arbeit ist enorm und nimmt immer weiter zu, darüber herrscht schnell Einigkeit. Wie soll man also mit dieser Entwicklung umgehen?
Der Dualismus von Arbeit und Leben ist falsch“ – so Thomas Vašek, dessen Buch „Work-Life-Bullshit“ Anfang September erscheint und in welchem er ausführlich für diese These argumentiert. Durch die Verteufelung von Arbeit als notwendiges Übel würde ihr hoher Wert für ein gelungenes Leben verkannt. Arbeit ist zweifellos wichtig für den Menschen, sie ermöglicht einem Selbstverwirklichung und Identitätsbildung. Philosophen von Aristoteles bis zu Hannah Arendt haben laut Thomas Vašek diesen positiven Aspekt von Arbeit stets zu sehr vernachlässigt. Die Tendenz der Abwertung von Arbeit als Gegensatz zum wirklichen Leben hält Thomas Vašek für problematisch. Vielmehr sollte doch jeder die Möglichkeit haben, sich in seinem Job wohlzufühlen, anständig bezahlt zu werden und seine Fähigkeiten optimal nutzen zu können. Dann sei auch die große Bedeutung der Arbeit kein Problem mehr.
Dem hält Prof. Mathias Stuhr, Autor des Buches „Mythos New Economy“ entgegen, der Arbeit werde ein viel zu hoher Stellenwert in unserer Gesellschaft beigemessen. „Es gibt Dinge, die wichtiger sind als Arbeit“, davon ist er überzeugt. Familie, Freunde, Partnerschaft, all dies mache einen Menschen sehr viel glücklicher und müsse darum mehr Zeit in Anspruch nehmen als der Job. Manchen Menschen würde eine Trennung von Freizeit und Arbeit gut tun, da der stetige Druck und die mentale Belastung durch den Job dadurch gemindert werden könnten. Wer weniger arbeitet, mache seinen Job besser, meint Prof. Stuhr. Generell scheint es ihm sinnvoll, der Wichtigkeit von Arbeit und Karriere entgegenzuwirken. Dass man sich selbst heute fast ausschließlich durch den Beruf identifiziert, sieht er als gefährliche Entwicklung. Wenn der Job wegfiele, was heute keine Seltenheit mehr sei, breche somit auch die gesamte Identität zusammen.
Nach Thomas Vašek wird der kausale Zusammenhang zwischen Überarbeitung und psychischen Erkrankungen wie Burn-Out zu selbstverständlich angenommen. Dabei gäbe es heute in jedem Unternehmen Psychologen, die sich mit der seelischen Gesundheit der Mitarbeiter beschäftigten, überall sei die Rede von Ausgleich und Erholung. Es sollte nicht die Arbeit insgesamt als schädlich abgelehnt, sondern die Jobs verbessert werden. Dazu gehören auch mehr Möglichkeiten, Zeit für Familie und Kindererziehung zu haben.
Das Publikum hatte natürlich einige Fragen an die beiden Diskutanten: Warum wird immer schlechter gearbeitet? Was halten Sie von den „Glücklichen Arbeitslosen“? Müsste es nicht das bedingungslose Grundeinkommen geben? Nach einer regen Diskussion sind sich die Debattenpartner einig, dass Arbeit bezahlt werden sollte und zwar einem gewissen Mindeststandard gemäß. Auch, dass Maßnahmen wie Sabbaticals und Elternzeit ausgeweitet werden müssen, findet beiderseits Zustimmung. Die Arbeitskultur wird sich verändern müssen, das steht ebenfalls für beide fest. Nur ob der Weg der Work-Life-Balance der richtige ist oder ob man dieses Konzept nicht lieber als Work-Life-Bullshit abtun sollte, blieb offen.
So ging ein weiterer schöner Abend mit HOHE LUFT_live zu Ende. Angeregt von vielen neuen Eindrücken und Ideen wurde noch bei einem Glas Wein in lauer Sommerluft weiterdiskutiert, aber nicht zu lange – schließlich mussten die meisten am nächsten Tag wieder arbeiten.
– Greta Luehrs
2 Kommentare