Jörg Phil Friedrich zweifelt daran, dass es ein »richtiges« Verstehen von Texten gibt. Offenbar meint er damit, dass es gar nicht auf die Verständlichkeit eines Textes ankommt, sondern vielmehr darauf, welche Wirkung er auf uns hat, zu welchen Einsichten er uns führt. Friedrich schreibt: „Ein philosophischer Text wäre dann verständlich, wenn er mir hilft, etwas zu verstehen, nicht unbedingt den Text selbst, sondern eine grundsätzliche Eigenschaft meiner Welt.“
Das ist schön gesagt. Aber was genau heisst das? Kann auch ein »unverständlicher« Text helfen, etwas zu verstehen? Im Falle von Poesie würde ich sofort zustimmen. Ein Gedicht kann mir zu »verstehen« geben, was Liebe ist. Es muss dafür keine Argumente liefern. Aber Philosophie ist auf nachvollziehbare Begründung angewiesen; das unterscheidet sie (unter anderem) von der Dichtung. Eine poetische Metapher kann völlig dunkel sein – und trotzdem meine Sicht auf die Welt verändern. Von einem philosophischen Gedanken hingegen, darauf möchte ich bestehen, muss man eine gewisse Klarheit und Nachvollziehbarkeit verlangen – und zwar schon deshalb, um eine kritische Diskussion zu ermöglichen. Jörg Phil Friedrich schreibt: „Ein Philosoph versucht mit seinem philosophischen Schreiben ja zumeist erst einmal, sich selbst eine schwierige Sache verständlich zu machen.“ Das scheint mir jedoch ein allzu ideales, verklärtes Bild vom Philosophen zu sein, der redlich mit den größten und tiefsten Fragen der Menschheit ringt. Tatsächlich aber sind Philosophen nicht einfach nur interesselose „Denker“, sondern Menschen, die mit ihren Texten bestimmte Ziele verfolgen, die ihr Publikum rhetorisch beeindrucken, faszinieren und wohl auch gelegentlich verführen wollen. Das gilt für philosophische Autoren genauso wie für alle anderen.
Gegenüber dem »Unverständlichen« ist daher ein gewisses Misstrauen angebracht. Es mag ja sein, das wir oft zu dumm oder zu faul sind, einen großen Gedanken zu verstehen. Aber nicht jeder Gedanke, der uns unverständlich oder dunkel erscheint, ist ein großer Gedanke. Es soll sogar große Gedanken geben, die so klar und einfach sind, dass jedes Kind sie versteht.
Thomas Vašek
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