„Künftig muss das Unverständliche gewagt werden,“ schrieb Martin Heidegger einmal: „Jedes Zugeständnis an Verständlichkeit ist schon Zerstörung.“ Der Satz ist wie ein Schlag ins Gesicht für jeden, der an die Kraft des nachvollziehbaren Arguments glaubt, an die Verantwortung begründender Rede. „Unverständlich“ solle die Philosophie bleiben, ja mehr noch, nur die Unverständlichkeit sichere ihre Existenz.
Man kann Heideggers Satz einfach als Pose abtun, als Selbstinszenierung. Wir können aber auch versuchen, diesen Satz ernst zu nehmen, ihn seinerseits zu verstehen. Eine Philosophie, die für alle »verständlich« sein will, macht es sich womöglich zu einfach. Das Verständnis des Lesers kann schließlich nicht der Maßstab für die Verständlichkeit eines Textes sein. Zudem wäre es möglich, dass die «Unverständlichkeit« eines Textes im zu denkenden Gegenstand selbst begründet liegt. Wer also um jeden Preis »verständlich« sein will, verfehlt somit zwangsläufig die Sache selbst.
So verstanden, wirft Heideggers Satz die Frage auf, was Philosophie ist und sein soll. Geht es der Philosophie primär um Klarheit der Begriffe? Oder vielmehr darum, Fragen offenzuhalten, Denkgewohnheiten zu destabilisieren?
Die moderne »analytische« Philosophie hat sich auf die Seite der Klarheit geschlagen und zu zeigen versucht, dass viele vermeintlich metaphysische Probleme in Wahrheit auf sprachlichen Missverständnissen beruhen. Die Philosophie sei ein Kampf gegen die »Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel der Sprache«, schrieb Ludwig Wittgenstein. Eines der Verdienste der analytischen Philosophie ist sicherlich, dass sie hilft, Unsinn und Geschwurbel zu entlarven Eine Philosophie allerdings, die sich nur noch als streng rationales Unternehmen begreift, droht letztlich langweilig zu werden.
Es gibt eine Sehnsucht des Menschen nach dem Dunklen, nach dem Geheimnisvollen, das wir auf rationalem Wege nicht erfassen können. Eine ganz klare, für jeden verständliche Philosophie kann womöglich das Transzendenzbedürfnis der Menschen nicht befriedigen. Aber wie kann die Philosophie einerseits dem Anspruch auf rationale und intersubjektive Nachvollziehbarkeit genügen – und andererseits ihre transzendente Dimension bewahren?
Die Antwort kann weder in einer neuen Mystik liegen, noch in einer Poetisierung der Philosophie, bis man sie von Literatur nicht mehr unterschieden kann. »Unverständlich« können Dichter sein, aber nicht Philosophen. Gefragt wäre vielmehr ein philosophisches Denken, das das »Dunkle« und »Unverständliche« ernst nimmt, ohne selbst dunkel und unverständlich zu werden. Den Weg zu einem solchen Denken weist Ludwig Wittgenstein. Seinen berühmten „Tractatus logico-philosophicus« kann man auch als mystisch-religiöses Buch lesen, etwa wenn er sagt, der Sinn der Welt müsse »außerhalb der Welt« liegen. Wittgenstein glaubte durchaus an eine transzendente Dimension, die jedoch nicht begrifflich zu erfassen sei: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Mit Wittgenstein gegen Wittgenstein ließe sich einwenden: Über das Unaussprechliche kann man mehr sagen als bloß, dass es unaussprechlich ist. man kann Räume der Imagination öffnen, indem man die Leerstellen der rationalen Argumentation kenntlich macht, ihre blinden Flecken aufweist, ihre eigenen Dunkelheiten ans Licht bringt. Die Philosophie muss über das Rationale hinausdenken, die Grenzen der Vernunft gelegentlich überschreiten, aber zugleich deutlich machen, dass und wie sie es tut – und wo diese Grenzen liegen. Philosophie kann auch über das Unaussprechliche und Unverständliche sprechen, aber nur gleichsam, vielleicht sogar buchstäblich, in Klammern. Und sie sollte vor allem nicht das eine mit dem anderen vermischen, dunkle Ahnungen als propositionale Gehalte ausgeben, ihre Dunkelheiten als lichtvolle Einsicht. Die Philosophie sollte nicht versuchen, alle ihre Gespenster auszutreiben, sondern Räume schaffen, wo man ihnen gefahrlos begegnen kann.
Thomas Vašek, Chefredakteur HOHE LUFT
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