HOHE LUFTpost vom 11.11.2016: Der ehrliche Lügner
Donald Trump gehört zu den erstaunlich wenigen Menschen, die notorisch lügen, habe ich letzte Woche an dieser Stelle geschrieben. Diese Woche will ich davon schreiben, warum ich ihn für außergewöhnlich ehrlich halte.
Warten Sie bitte einen Moment, bevor Sie mich für verrückt erklären. Politiker haben heute generell ein Glaubwürdigkeitsproblem. Auch Hillary Clinton hat, so muss man vermuten, keineswegs immer gesagt, was sie denkt. Trump hingegen hat sich wenig Mühe gemacht, irgendwie zu taktieren oder irgendetwas zu maskieren. Man kann das als Unverfrorenheit bezeichnen, oder als “Trumpeligkeit”. Oder eben als eine Form der Ehrlichkeit. Wenn man den Umfragen wenigstens in dieser Hinsicht glauben kann, dann haben die Wähler ihm gerade das hoch angerechnet. Und ich muss gestehen, dass auch ich ihm das abnehme: Der Mann gibt sich wirklich so, wie er ist. Er ist rücksichtslos, arrogant, rüpelhaft, sexistisch, diskriminierend – und er ist ehrlich dabei. Er ist ein tausendfach überführter Lügner, aber das ist für seine Fans nicht wichtig, weil er sogar dabei in gewisser Weise ehrlich ist: Die Wahrheit schert ihn nicht. Der Linguist und politische Aktivist Noam Chomsky warnte vor sechs Jahren: »Die Vereinigten Staaten haben großes Glück, dass keine ehrliche, charismatische Figur aufgetaucht ist. Wenn jemand daherkommt, der charismatisch und ehrlich ist, wird dieses Land in große Schwierigkeiten geraten, wegen der Frustration, der Desillusionierung, der gerechtfertigten Wut und des Fehlens einer kohärenten Antwort.« Jetzt ist diese Figur aufgetaucht.
– Tobias Hürter