HOHE LUFTpost vom 08.07.2016: Netz und Wahrheit
Nachdem in Österreich die Stichwahl des Bundespräsidenten wiederholt werden muss, sind nun in Blogs und sozialen Netzwerken Gerüchte über den Gesundheitszustand eines der beiden Kandidaten aufgetaucht. Ich möchte diese Gerüchte, für die keine sachliche Grundlage erkennbar ist, nicht wiedergeben, denn damit würde ich sie weiterverbreiten. Und damit sind wir beim Thema: Wahrheit im Internet.
Das Netz ist wunderbar egalitär. Jeder kann was reinschreiben, jeder kann es lesen, jeder kann darauf antworten. Da haben es Lügen und Falschheiten schwer, möchte man vermuten, denn unzählige Augen prüfen sie und können sie widerlegen. Leider funktioniert es so nicht. Es gibt eine Asymmetrie. Falsche Behauptungen sind schnell ins Netz gesetzt, sie verbreiten sich noch schneller, sie sind aber nur schwer richtigzustellen. Sie werden tausendfach geglaubt, weiterverbreitet und weiter verzerrt. Und selbst bei Lesern, die sie nicht glauben, hinterlassen sie Spuren: »Ist vielleicht doch irgendwas dran?« Von jeder Behauptung, die ein Mensch zur Kenntnis nimmt, bleibt etwas in ihm hängen. In seinem jetzigen Zustand ist das Netz eine üble Gerüchteküche.
Wie könnten wir das ändern? Wie lassen sich Normen wie Fairness und Wahrhaftigkeit im Internet durchsetzen. Ein Blick zurück in die Urzeiten von Twitter könnte helfen: Damals griff in vielen Fällen die soziale Kontrolle. Wer sich schlecht benahm und jemanden unberechtigt angriff, wurde von den anderen Nutzern bloßgestellt und bestraft. Das funktioniert heute kaum noch. Warum nicht? Ich habe keine befriedigende Antwort. Ja, die Netzwerke sind größer und unübersichtlicher geworden. Und ja, die juristischen und technischen Möglichkeiten gegen Gerüchtestreuer sind noch nicht ausgeschöpft. Aber ohne den gemeinsamen Willen und die Fähigkeit der Nutzer, sich gegen Bullshit und Beleidigungen zu wehren, können auch Gesetze und Algorithmen wenig ausrichten. Vielleicht ist ja die Erkenntnis, dass es jeden erwischen kann, ein Ansporn, unduldsamer durchs Netz zu gehen. Wer keine Bosheiten gegen sich selbst lesen will, sollte auch keine gegen andere stehenlassen.
– Tobias Hürter
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