HOHE LUFTpost vom 17. Juni 2016: Wir gewinnt
In Europa grassiert das Fußballfieber, und auch meine Temperatur ist leicht erhöht. Es ist noch viel zu früh für ein Resumee, die Infektion ist ja noch nicht einmal voll ausgebrochen, aber zu diesem Zeitpunkt kann man sagen: Es war bisher ein Turnier der Kollektive, nicht der Einzelspieler. Mannschaften wie Italien zeigen, wie man Gegner von deutlich höherer individueller Klasse mit einem gut zusammenspielenden Team überwinden kann. Ein erstaunliches Phänomen, auch aus philosophischer Sicht. Die Mannschaftsleistung übersteigt die Summe der Beiträge aller Mitspieler. Es scheint geradezu, als habe die Mannschaft ein Eigenleben, als könne sie selbst denken und handeln. So ist es auch, sagt der irische Philosoph Philip Pettit, der eine Theorie der »Group Agency« entwickelt hat. Gut kooperierende Gruppen haben einen eigenen Geist, sie treffen Entscheidungen, sie sind Akteure, sagt Pettit. Wie gelingt es Menschen, sich zu solchen Superakteuren zu formieren? Durch ihre Fähigkeit zu »Wir-Intentionalität«, sagt Pettits amerikanischer Fachkollege John Searle: Sie können gemeinsame Absichten und Ziele haben, die mehr sind als die Schnittmenge ihrer einzelnen Absichten und Ziele. Eine fundamentale Fähigkeit, sagt Searle, die nicht auf individuelles Denken reduzierbar ist. Aus elf Ichs wird auf wundersame Weise ein Wir.
– Tobias Hürter
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