HOHE LUFTpost vom 08. April 2016: Von Bürgern und Würgern
Niemand zahlt gern Steuern. Die Enthüllung der Panama Papers diese Woche nährt den Verdacht, dass eine beträchtliche Zahl unserer Mitbürger so ungern Steuern zahlt, dass sie mit Hilfe von Banken und spezialisierten Anwaltskanzleien hunderttausende Briefkastenfirmen in entfernten Inselstaaten gegründet haben, um ihr Vermögen den Finanzbehörden zu entziehen.
»Warum dürfen diese Diebe mir dauernd was von meinem hart verdienten Geld abknöpfen?« Diese Frage kann einem beim Öffnen eines Steuerbescheides schon mal kommen. Der amerikanische Philosoph Robert Nozick (1938–2002) hielt Zwangssteuern für eine Form der Zwangsarbeit. Niemandem dürfe rechtmäßig erworbenes Eigentum entzogen werden, argumentierte er in seinem Buch »Anarchy, State, and Utopia« (1974). Wenn jemand für Polizei und Müllabfuhr bezahlen möchte, ist das natürlich OK. Aber Nozick hielt es für unrechtmäßig, Bürger dazu zu zwingen.
Mit dieser Position ist Nozick allerdings Außenseiter unter Philosophen. Sein Kollege John Rawls (1921–2002) hielt Steuern für ein rational begründetes Mittel, um Gerechtigkeit herzustellen. Nehmen wir an, wir hätten die Wahl zwischen zwei Gesellschaften: A und B. In Gesellschaft A sind die Einkommensunterschiede geringer als in Gesellschaft B. Wer sich nun zwischen A und B entscheiden muss und nicht weiß, in welcher Einkommensklasse er landen wird (das ist Rawls’ berühmter »Schleier des Nichtwissens«), der werde vernünftigerweise A wählen, behauptete Rawls. Doch diese Behauptung – und mithin Rawls’ Rechtfertigung für Steuern – ist angreifbar. Unter gewissen Bedingungen könnte es rational sein, sich für eine Gesellschaft vom Typ B zu entscheiden, weil man in ihr größere Aussichten auf Reichtum hat.
Aber langsam, es gibt weitere Argumente. Besonders überzeugend finde ich jenes, das Liam Murphy und Thomas Nagel in ihrem Buch »The Myth of Ownership« (2002) geben. Vergessen wir zunächst die Gerechtigkeit, sagen Murphy und Nagel. Ohne Steuern kein handlungsfähiger Staat, also keine Sicherheit des Eigentums, keine einklagbaren Vertragsrechte. Steuern sind also eine notwendige Voraussetzung für Wohlstand. Und wenn man sie einmal auf diese Weise begründet hat, kann man im nächsten Schritt fragen, wie ein gerechtes Steuersystem aussieht.
Wenn reiche Bürger Steuern hinterziehen, untergraben sie die Voraussetzungen ihres eigenen Wohlstandes. Schlimmer noch, sie wälzen die Kosten für diese Voraussetzungen auf jene ihrer Mitbürger ab, die ihre Steuern bezahlen. Die wahren Diebe sind nicht die Finanzämter, sondern jene, die in den Panama Papers stehen.
– Tobias Hürter
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