Nach den Anschlägen von Paris ist viel von Nihilismus die Rede. Vom “Angriff der Nihilisten” schreibt die Süddeutsche Zeitung, der “Standard” nennt die Täter “Agenten des Nihilismus”, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung fragt, was “unsere Toleranz und Vernunft gegen den Nihilismus der Terroristen ausrichten” können. Das ist ein Missverständnis. Dieser Terrorismus ist kein Nihilismus. Im Gegenteil, er ist getrieben von dem Wunsch, dem Nihilismus zu entkommen. Wer die Biografien der Täter liest, nicht nur von letztem Freitag, sondern auch vom Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion, der kann ein Muster finden: Es sind gescheiterte Gestalten, die orientierungslos vor sich hin lebten, bis sie begannen, sich zu radikalisieren. Damit kam gefühlter Sinn in ihr Leben. Plötzlich war klar, was gut und was böse, was richtig oder falsch ist. Die Terroristen sind völlig verstiegene Sinnsucher. Das ist wichtig zu verstehen, wenn man verhindern möchte, dass Menschen zu Terroristen werden.
Dabei ist es kein Zufall, dass der Begriff des Nihilismus im Zusammenhang mit den Pariser Anschlägen aufkam. Am Freitag, den 13. November zeigte sich eine neue Stufe des Terrorismus – neu in seiner völligen Wahllosigkeit. Jeden, der an jenem Abend zufällig draußen im Café saß oder die Straße entlang ging, hätte es treffen können, ob arm oder reich, Christ oder Muslim, syrischer Flüchtling oder Investmentbanker. Eine komplett irrsinnige Gewalttat, begangen auf der Suche nach Sinn. Sie zeigt auch die Stärke dieses Bedürfnisses.
– Tobias Hürter