HOHE LUFTpost vom 09.10.2015: Suizid auf kalifornisch
Laut Albert Camus ist es die einzig wichtige philosophische Frage: Leben oder sterben? Die Gesetzgeber des amerikanischen Bundesstaates Kalifornien haben diese Woche todkranken Patienten erlaubt, die Antwort auf diese Frage selbst zu bestimmen. Ärzte dürfen solchen Patienten künftig beim Suizid helfen.
Für manche Menschen kompromittiert eine so weitgehende Liberalisierung der Sterbehilfe den Wert des menschlichen Lebens. Manche dieser Menschen denken religiös, sie halten den Wert des Lebens für gottgegeben und uns Menschen für unwürdig, diesen Wert auszulöschen. Camus sah es anders, er fragte nach dem, was dem Leben seinen Wert gibt. In einer absurden Welt, einer Welt ohne Gott, ohne Hoffnung und voller Sünde gebe es nichts, was das Leben wertvoll mache.
Man muss Camus nicht in allen seinen Argumenten folgen, aber seinen Ansatz halte ich für richtig: sich der Frage zu stellen, was das Leben eigentlich so wertvoll macht. Meine Antwort darauf: die Möglichkeit ethisch und ästhetisch guter Taten und Erfahrungen. Und ich kann mir Umstände vorstellen, in denen diese Möglichkeit verlorengeht, etwa in manchen Fällen schwerer Krankheit ohne Aussicht auf Heilung. In solchen Fällen kann der Wunsch, Suizid zu begehen, gerechtfertigt sein.
Tatsächlich gibt es im Judentum kein Suizidverbot, und auch nicht im Neuen Testament. Das Tabu des Suizids kam erst später ins Christentum, mit Augustinus und Thomas von Aquin. Und vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dieses Tabu wieder aufzuheben.
– Tobias Hürter
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