HOHE LUFTpost vom 19.06.2015: Nur nicht den Kopf verlieren
Der italienische Chirurg Sergio Canavero hat angekündigt, in zwei Jahren die erste Kopftransplantation der Geschichte durchzuführen. Mit gewaltigem Aufwand will er den Kopf des Russen Valery Spiridonov, der an einer seltenen tödlichen Muskelkrankheit leidet, von seinem jetzigen Körper auf einen anderen verpflanzen.
Da drängen sich einige ethische und wissenschaftliche Fragen auf: Ist die verwegene Operation das Risiko wert? Kann ein Kopf an einem neuen Körper anwachsen? Auch wenn es klappt, stellt sich eine grundsätzliche Frage: Ist das dann noch Spiridonov? Wer eine gespendete Niere implantiert bekommt, bleibt er selbst, das bestreitet niemand. Doch ein Körper wiegt das Zehnfache eines Kopfes, und seine Funktionen sind in vieler Hinsicht nicht weniger komplex.
Im Kopf sitzt das Bewusstsein, und das Bewusstsein macht den Menschen aus, könnte man nun sagen. Bedeutet das, dass ein Mensch sein Gehirn ist – oder gar nur sein präfrontaler Cortex? Nein. Ein präfrontaler Cortex allein ist gar nichts.
Ich glaube, es gibt kein eindeutiges Ja oder Nein auf die Frage, ob das dann noch Spiridonov ist. Wir können uns entscheiden, ihn weiterhin als Spiridonov zu sehen, aber wir müssen es nicht. Man kann ihn auch als Fortsetzung des Körper-Spenders betrachten, oder als einen ganz neuen Menschen. Es ist zu hoffen, dass die Operation klappt. Natürlich für Spiridonov. Aber auch als beispielloses philosophisches Experiment.
– Tobias Hürter
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