Sie sitzen im Zug von Hamburg nach Lüneburg. Drei Männer mittleren Alters, ausgerüstet mit Sonnenhüten und Kameras. Einer sagt: „Mal sehen, wie weit wir an die Elbe rankommen.“ „Da bin ich auch gespannt“, sagt ein anderer. „Ob der Bus überhaupt noch so weit fährt? Vielleicht ist ja schon alles abgesperrt.“ Katastrophentouristen auf dem Weg zu einer großen Show: dem Hochwasser an der Elbe.
Andere melden sich freiwillig und schleppen Sandsäcke bis zum Umfallen. Die Gaffer jedoch wollen nur schauen. Und Fotos machen. Oft genug stehen sie dabei im Weg und behindern die Helfer bei ihrer Arbeit. Im Fernsehen berichtet eine Frau, wie ihr Sohn einen Schaulustigen bat, keine Fotos von ihrem überfluteten Haus zu machen. Die Reaktion des Gaffers: „Was willst du Arschloch denn?“
Wie kann so etwas passieren? Wie kann es dazu kommen, dass Menschen derart fasziniert von der Not anderer sind, dass sie darüber jeglichen Respekt verlieren? Wissen wir nicht alle, dass sich das nicht gehört? Dass es moralisch verwerflich ist, sich am Unglück anderer zu ergötzen, statt zu helfen? Und doch behindern Schaulustige die Helfer inzwischen oft so massiv, dass die Rettungsverbände drakonische Strafen fordern.
„Was diesen Gaffern auf jeden Fall fehlt, ist eigentlich das, was uns menschlich macht, nämlich Empathie, auch Einfühlungsvermögen genannt“, erklärt der Psychologe Michael Thiel in einem Interview in der Welt. Und: „Es gibt in unserem Gehirn sogenannte Spiegelneuronen, durch die beim Beobachter von Unglücken im Gehirn ähnliche Prozesse ablaufen wie bei den Betroffenen selber. Ein Gaffer erlebt sogar einen Adrenalinkick. Das kann durchaus süchtig machen.“
Im Grunde kennen wir das alle. Jeder Krimi lebt von unserem Vergnügen am Leid anderer. Wir zittern mit, bangen mit, hoffen mit. Ganz so, als würden wir selbst bedroht. Wir sind neugierig, wie die Geschichte ausgeht und erleichtert, wenn die Guten siegen.
Auch wenn in der Tagesschau Menschen in Kriegsgebieten gezeigt werden, die in Todesangst auf der Flucht sind, schalten wir nicht ab. Wir wollen uns informieren. Doch wo verläuft die Grenze? Wie viel Schaulust dürfen wir uns zu unserem eigenen Vergnügen gönnen? Wann ist es sogar wichtig und richtig, sich das Leid anderer genau anzuschauen? Und ab wann wird unsere Neugier moralisch fragwürdig?
– Katharina Burkhardt –