„Die Lüge ist wahrer als die Wahrheit, weil die Wahrheit so verlogen ist“. Mit diesem Zitat des österreichischen Künstlers André Heller eröffnete der Philosoph und Journalist Martin Koch den zweiten Abend der Reihe HOHE LUFT live in der modern life school in Hamburg. Gemeinsam mit HOHE-LUFT-Chefredakteur Thomas Vašek diskutierte Koch, ob man eigentlich lügen darf und welche moralischen Probleme sich im Zusammenhang mit dem Lügen ergeben können. Schnell verständigten sich die Philosophen darauf, dass die Lüge die Kenntnis der Wahrheit voraussetzt- und damit eine gewisse Raffinesse erfordert. Der Lügner habe demzufolge, so Thomas Vašek, durchaus ein Interesse an der Wahrheit, allerdings eines perverser Natur.
Unter aktivem Zutun des Publikums wurden grundlegende Fragen aufgeworfen und diskutiert: Wieso ist das Lügen ein so weit verbreitetes Handlungsmuster? Müssen wir lügen dürfen, damit unser Zusammenleben funktioniert? Gehört das Lügen nicht irgendwie zum Mensch-Sein dazu? Und sind manche Lügen besser als andere? Einige plädierten dafür, zwischen ‚harmlosen’ und ‚gravierenden’ Lügen zu unterscheiden. Ist es denn wirklich so schlimm, wenn zum Beispiel ein Kompliment nicht exakt den Tatsachen entspricht? Immanuel Kant würde spätestens jetzt laut aufschreien! Denn er hielt Wahrhaftigkeit für eine Pflicht, von der es keine Ausnahmen gibt. Das moralische Gesetz nach Kant gebietet die Wahrheit zu sagen – und dies immer und überall. Selbst wenn ein Mörder nach dem Aufenthaltsort seines nächsten Opfers fragt, dürfte man ihn also nicht anlügen. Das ist eine so radikale Position, dass man Kant laut Thomas Vašek durchaus als „Taliban der Moralphilosophie“ bezeichnen könnte. Tatsächlich kann wohl niemand eine so hoch gesteckte Moralvorstellung jemals erfüllen. Wer würde beispielsweise offen vor seinem Arbeitgeber zugeben, nicht viel von ihm zu halten?! Nach Kant müsste man das jedoch. Neben den deontologischen – also von einer allgemeinen Regel abgeleiteten – Argumenten wurden auch utilitaristische Ansätze diskutiert. Diese zielten darauf ab, mögliche Folgen des Lügens abzuwägen und so jede einzelne Lüge aufgrund ihrer zu erwartenden Konsequenzen zu bewerten. Aber was genau sind die Folgen vom Lügen? Und wer kann sie schon mit kompletter Sicherheit vorausahnen? Thomas Vašek plädierte daher für eine andere Argumentation gegen die Lüge: Eine Lüge beraubt den Belogenen nämlich immer seiner Autonomie und nimmt ihm so die Freiheit, auf die eigentliche Wahrheit angemessen zu reagieren. Und wer das Lügen dennoch nicht lassen kann, soll doch zumindest mit ‚Grandezza’ lügen, bittet Martin Koch.
Nach rund zwei Stunden hitzigen Diskutierens, vielen witzigen Einwürfen und zahlreichen Denkanstößen ging der zweite HOHE LUFT live-Abend in der modern life school zu Ende. Bei einer Flasche Elbler (und gestärkt durch eine Schüssel Chili con Carne) konnte auch noch nach Ende des offiziellen Veranstaltungsteils privat mit Thomas Vašek und Martin Koch philosophiert werden. Die HOHE LUFT bedankt sich für diesen gelungenen Abend und freut sich auf das nächste HOHE LUFT live am 06. Februar in der modern life school!
– Christina Geyer
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