Im Alten Griechenland #2: Eine lakonische Aufforderung
In Sparta traf ich einen weisen Mann, der auch nicht viel gesprächiger war als Thales. Er hieß Chilon. Die Einsilbigkeit war in diesem Landstrich, der Lakonien genannt wurde, typisch. Die Leute lebten spartanisch und gaben lakonische Auskünfte. Chilon war einer von ihnen und er sagte nicht viel. Also ich ihn fragte, was ich tun sollte, um ein weiser Mensch zu werden und die Welt zu verstehen, antwortete er nur: Γνῶθι σαυτόν – Gnothi sauton! Auch wenn Chilon einen anderen Dialekt als Thales sprach, brauchte ich gar nicht ins Wörterbuch zu schauen, um ihn zu verstehen. Γνῶθι gehört auch zum Verb γιγνώσκω (gignósko), das mich schon seit meinem Treffen mit Thales beschäftigte. „Verstehe oder erkenne dich selbst!“, „Lerne dich selbst kennen!“ – das war der Rat des weisen Chilon. Also genau das, was Thales als das Schwierigste bezeichnet hatte, sollte die Aufgabe sein? So sehr ich überlegte, ich kam immer wieder zu dem Ergebnis, dass es eigentlich doch das Einfachste sein müsste, sich selbst kennenzulernen. Schließlich habe ich zu mir selbst den besten Zugang, ich kann …