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Die Freundschafts-Frage

Was eigentlich ist die Freundschaft? Ein lebenslanger Pakt? Eine nützliche Verbindung? Eine kleine Liebe? Und wie verändert sie sich, seit es die sozialen Netzwerke gibt? Eine Betrachtung – mithilfe von Aristoteles.

Auf Facebook habe ich 268 »Freunde«, wobei es sich dabei um Personen handelt, die ich zwar kenne, aber die wenigsten von ihnen besonders gut, und noch nicht einmal alle würde ich auf der Straße grüßen. Offline gibt es ja leider kein Instrument, das die Freunde zählt, darum ist es hier schon schwieriger zu sagen: Sind wir Freunde? Oder eher Bekannte, Kollegen, Freunde von Freunden? Jedenfalls sind es deutlich weniger als 268.

Im Gegensatz zur romantischen Zweierbeziehung scheint die Freundschaft besser dazustehen denn je. In Zeiten, in denen sich alles verändert und vieles unsicher ist, sind Freunde die Felsen in der Brandung. Freundschaften sind, so meint etwa die israelische Soziologin Eva Illouz, weniger anfällig für Dramen als Liebesbeziehungen. Sie begleiten uns teilweise ein ganzes Leben lang.

Im Gegensatz zur romantischen Zweierbeziehung scheint die Freundschaft besser dazustehen denn je.

Trotzdem verändert sich im Zuge der Digitalisierung auch die Freundschaft: Durch die sozialen Medien ist es viel leichter geworden, mit alten Schulfreunden in Kontakt zu bleiben. Über Facebook können wir am Leben von Freunden teilhaben, die wir möglicherweise seit Jahren nicht getroffen haben oder die weit weg wohnen. Auch durch Chatprogramme wie WhatsApp haben wir unsere Freunde stets da- bei und bleiben in Verbindung, egal, wie groß der räumliche Abstand ist. Wir haben im digitalen Zeitalter also viel bessere Chancen, uns nicht aus den Augen zu verlieren.

Doch genau diesen Aspekt kann man auch kritisch sehen. Während man früher vielleicht eine Handvoll guter Freunde hatte, nämlich jene, mit denen man üblicher- weise seinen Alltag bestritt, schleppt man heute einen digitalen Freundeskatalog mit sich herum, dem man mit seiner begrenzten Zeit kaum gerecht werden kann. Seit es Face- book gibt, wird darüber diskutiert, ob der »Facebook- Freund« gar die Freundschaft selbst torpediert – sie zum leeren Label werden lässt.

Folgt man Aristoteles (384–322 v. Chr.) in seiner Auffassung über die Freundschaft, so macht ein Klick allein definitiv niemanden zu einem echten Freund. In seiner bis heute einflussreichen Systematik der Freundschaftsarten hält der antike Denker zunächst fest: Richtige Freundschaften sind nur unter Gleichen möglich, es darf kein größeres hierarchisches Gefälle zwischen den Personen geben.

Freundschaften können laut Aristoteles um einen bestimmten Zweck herum entstehen, beispielsweise könnte man sich um eine Verbindung bemühen, weil die andere Per- son einem nützt. Vielleicht nützt man sich sogar gegenseitig. Oder aber es gibt ein Vergnügen, das einen zusammen- schweißt, wie es etwa bei Saufkumpanen der Fall ist. Auch sexuelle Beziehungen können laut Aristoteles auf diesem Lust-Nutzen-Kalkül beruhen.

Freundschaften können laut Aristoteles um einen bestimmten Zweck herum entstehen

Solche Freundschaften sind für den antiken Philosophen jedoch nicht das Wahre, sondern kurzlebig und oberflächlich. Sie beruhen auf einem externen Zweck, und sobald dieser wegfällt, ist es auch mit der Freundschaft vorbei. Wahre, echte, tiefe Freundschaft nennt Aristoteles daher auch »Charakterfreundschaft«, weil sie auf den Freunden um ihrer selbst willen beruht. Den Freund liebt man, weil er so ist, wie er ist. Das Liebenswerte unterliegt allerdings nicht dem Zufall, sondern ist mit Tugendhaftigkeit verbunden.

Echte Freundschaft gibt es für Aristoteles nur zwischen guten, also tugendhaften Menschen. Wer nicht gut sei, könne folgerichtig kein guter Freund sein. Der Denker legt also ziemlich hohe Maßstäbe an das Ideal der Freundschaft. Innerhalb einer Gruppe Krimineller gibt es demzufolge keine wahren Freunde.

Allen von Aristoteles charakterisierten Freundschaftsvarianten liegt die philia zugrunde, eine Form von Liebe, die meist mit Zuneigung oder freundschaftlicher Liebe übersetzt wird. Obgleich philia nach aristotelischer Auffassung auch in Liebesbeziehungen eine Rolle spielt, kommt hier noch die erotische Liebe (eros) dazu, die man normalerweise aus Freundschaften heraushält. Freundschaft und Erotik können sich gegenseitig auslöschen. Interessanterweise können sie aber auch ineinander übergehen: Die einst leidenschaftliche Romanze wird zum freundschaftlichen Zusammenleben, aus guten Freunden wird plötzlich doch mehr.

Freundschaft als eine Art von Liebe zu verstehen oder zumindest als etwas, das nicht ohne ein Gefühl der Zuneigung und Sympathie auskommt, leuchtet ein. Befreundet zu sein, geht nur gegenseitig: Wir können einseitig verliebt sein, aber nicht mit jemandem befreundet, der uns nicht als Freund betrachtet. Freundschaft braucht Freiwilligkeit. Keine äußere Instanz kann uns verpflichten, unsere Freundschaften zu pflegen, dazu müssen wir uns selbst entscheiden. Der Volksmund bezeichnet Freunde auch als Familie, die man sich selbst aussucht. Auch mit seinen Geschwistern kann man eine freundschaftliche Ebene haben, wenn man sich auch abseits des erzwungenen Familienlebens füreinander interessiert. Gleiches gilt für Kollegen.

Befreundet zu sein, geht nur gegenseitig: Wir können einseitig verliebt sein, aber nicht mit jemandem befreundet, der uns nicht als Freund betrachtet.

Sprichwörtlich gesellt sich jeder gern mit Gleichen – aber auch Gegensätze ziehen sich an. Der Freund sei »ein zweites Selbst«, schreibt Aristoteles. Heißt das, ein Freund muss einem möglichst ähnlich sein? Es liegt nahe, dass es irgendeine gemeinsame Basis braucht, um sich überhaupt so nahezukommen, dass eine Freundschaft entstehen kann. Aber mögen wir nicht an vielen Freunden gerade auch ihre Andersartigkeit? In der Literatur etwa sind oft jene Freundschaftsgeschichten besonders interessant, die von sehr unterschiedlichen Freundespaaren erzählen.

Dennoch muss es etwas geben, das einen verbindet – und sei es nur ein wechselseitiges Interesse am anderen. Ohne dies würden wir kaum die Motivation aufbringen, unsere kostbare Zeit mit jemandem zu verbringen. Und ohne gemeinsame Zeit gibt es auch keine Freundschaft. Sie ist nichts, was auf dem Papier besteht, sondern muss gelebt werden. Schon Aristoteles war der Meinung, innige Freunde müssten eigentlich zusammenwohnen. Nur so könnten sie am Leben des anderen teilhaben.

Das ist vielleicht etwas viel verlangt. Aber dass Freundschaften gepflegt werden müssen, stimmt. Freundschaft braucht Zeit, um zu wachsen. Alte Freunde haben oft einen besonderen Stellenwert in unserem Leben. Blickt man gemeinsam auf eine lange Geschichte zurück, hat man immer etwas, an das man im Zweifel anknüpfen kann – selbst wenn man sich in der Gegenwart vielleicht nicht mehr so viel zu sagen hat. Freunde, die man seit der Kindheit oder Jugend hat, sind mit einem erwachsen geworden. Mit ihnen hat man das erste Mal geraucht, seine erste Party besucht, den ersten Kuss nachbesprochen.

Freundschaft hebelt ethische Ideale aus

Zeitlichkeit spielt in Freundschaften insgesamt eine wichtige Rolle. Man kann sich völlig aus den Augen verlieren, und doch fühlt es sich beim nächsten Wiedersehen an, als wäre keine Zeit vergangen, als wäre man so vertraut miteinander wie zuvor. Zugleich kann in wenigen Wochen eine so enge Freundschaft entstehen, für die es sonst Jahre braucht. In Gesellschaft von Freunden vergeht die Zeit rasend schnell, selbst wenn man nur zusammensitzt und redet. Wie und wann man sich kennengelernt, was man gemeinsam erlebt hat, prägt die Sichtweise auf den Freund. Bezeichnet man sich als Freunde, bedeutet das nicht nur, dass man schon eine gewisse Zeit miteinander verbracht hat, sondern auch, dass man davon ausgeht, in Zukunft eine Rolle im Leben des anderen zu spielen – auf unabsehbare Zeit.

Doch selbst bewährte Freundschaften müssen nicht ewig halten. Die Gründe, weshalb Freundschaften enden, geben Hinweise darauf, was Freunde zu Freunden macht: Man verbringt nicht mehr genügend Zeit miteinander, zerstreitet sich oder entwickelt sich in so verschiedene Richtungen, dass das Gemeinsame mehr und mehr verschwindet, bis es zu einer blassen Erinnerung wird. Man kann dann nichts mehr miteinander anfangen, zum Beispiel, weil der eine sich voll in die Karriere stürzt und nur noch übers Business redet, während der andere im Familienleben aufgeht.

Natürlich kann man auch im Erwachsenenalter noch neue Freundschaften schließen – aber offenbar fällt es vielen mit zunehmendem Alter schwerer. Der Philosoph Alexander Nehamas, der an der Universität Princeton lehrt, vermutet, dass das auch daran liegt, dass wir im Alter weniger wandlungsfähig sind als in der Jugend. Es fällt uns schwerer, uns auf neue Menschen im Leben einzustellen. Dazu kommt, dass wir nicht unbegrenzt Freunde ansammeln können. Auch das betonte bereits Aristoteles: Freundschaft kann man nur mit einigen Ausgewählten schließen. Man hat schlicht nicht genug Zeit und vielleicht auch nicht genug mentale und emotionale Kapazität, um mit jedem befreundet zu sein, der einem über den Weg läuft.

Freundschaft ist der Sache nach selektiv und begrenzt auf einen kleinen Kreis von Personen, denen man einen besonderen Stellenwert einräumt. »Die Beziehung der Freundschaft zur modernen Ethik bleibt eine unbequeme, weshalb die Freundschaft in der Moralphilosophie immer eine untergeordnete Rolle spielt«, schreibt Nehamas. Wenn man sich in einem moralischen Gedankenexperiment entscheiden müsste, ob vier Fremde oder drei Freunde sterben sollen, würden die meisten wohl die Freunde retten.

„Die Beziehung der Freundschaft zur modernen Ethik bleibt eine unbequeme, weshalb die Freundschaft in der Moralphilosophie immer eine untergeordnete Rolle spielt“ Alexander Nehamas, Philosoph

Freundschaft ist eine emotionale Verbundenheit, die ethische Ideale aushebelt. Für Freunde würden wir vieles tun – ihnen Geld leihen, für sie lügen, einen Nachteil für uns selbst in Kauf nehmen, um ihnen zu helfen. Freundschaft macht uns so parteiisch, dass sie als Ratgeber für rationale Entscheidungen, wie sie Moralphilosophen gern postulieren, nicht taugt.

Unsere Freunde sind für uns die besten und einzig- artigsten Menschen der Welt. Ihnen gebührt alles Glück. Recht besehen macht die Freundschaft uns daher nicht unbedingt moralischer, sondern sie kann vielmehr sogar zur Unmoral anstiften. Und trotzdem betrachten wir Freundschaft an sich als ein hohes Gut, ohne das, mit Aristoteles gesprochen, selbst dann niemand leben wollen würde, wenn er sonst alles besäße.

Dem tut der Umstand keinen Abbruch, dass es toxische Freundschaften gibt, die uns mehr schaden als guttun. Leider erkennen wir solche Verbindungen oft erst im Nach- hinein. Wer sich auf eine Freundschaft einlässt, ist bereit, einer Person insofern zu vertrauen, als dass man ihr erlaubt, das eigene Leben und die Persönlichkeit zu verändern – und andersherum. Wir gehen mit der Freundschaft also immer auch ein Risiko ein. »Unsere Freunde ›um ihrer selbst willen‹ zu lieben«, so Nehamas, »heißt, dass wir auch lieben, was aus uns selbst wird aufgrund unserer Beziehung zu ihnen.« Im Regelfall tun Freunde uns gut – deswegen haben wir sie. Man könnte also gegen Aristoteles sagen, dass uns Freunde immer auch Vergnügen bereiten und nutzen. Die Frage ist eher, was im Vordergrund der jeweiligen Beziehung steht.

Wir betreiben heute freundschaftliche Arbeitsteilung

Auf Facebook sind wir mit unseren engsten Freunden ebenso „befreundet“ wie mit Familienmitgliedern, Ex-Partnern, alten Schulkameraden oder Kollegen. Sogar mit Vorgesetzten kann man sich dort „anfreunden“. Facebook hat daher einen ganz neuen Freundschaftstyp hervorgebracht: den Freund, der keiner ist, sondern eine digitale Markierung. Die Facebook-Freundschaft eröffnet einen neuen Kommunikationskanal, doch bedeutet sie darüber hinaus nicht unbedingt viel. Manche verschicken Freundschaftsanfragen an Leute, denen sie nur einmal begegnet sind. Einige Anfragen nimmt man nur aus taktischen Gründen an, zum Beispiel weil es ein Branchenkollege ist.

In der neuen Arbeitswelt geht nichts ohne Kontakte, heißt es. Man muss netzwerken, sich mit wertvollen Influencern verbinden, immer offen für neue Leute sein und dabei möglichst locker bleiben. Generell scheint mit dem Wandel der Arbeitswelt und der Tendenz zu flacheren Hierarchien und entspannterer Arbeitsatmosphäre eine neue Verquickung von Arbeit und Freundschaft zu entstehen: Man duzt sich, spielt zusammen in der Pause am Kickertisch oder macht Ausflüge in den Kletterpark.

Wenn die Kollegen zu »Frollegen«, also einer Mischung aus Freunden und Kollegen, werden, kann das zu einem besseren Arbeitsklima führen – andererseits lösen sich dadurch die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben noch weiter auf. Netzwerke, insbesondere Job-Plattformen, sind ein gutes Beispiel für die aristotelische Nutzenfreundschaft. Es geht nicht um die Personen selbst, sondern darum, was sie arbeiten, wen sie kennen, was sie einem viel- leicht ermöglichen können. Im Gegensatz zu Aristoteles würden wir solch eine auf Gewinn ausgerichtete Beziehung wahrscheinlich gar nicht als Freundschaft bezeichnen, sondern als einen Geschäftskontakt.

In anderen Fällen ist es weniger klar, was uns mit jemand anderem verbindet, weil es fast unmöglich ist, zu sagen, was es genau ist, das wir an einem Freund mögen – und was davon zu dessen »Selbst« gehört oder »nur« akzidentielle Eigenschaften sind. Wenn wir mit einem Freund gern Sport treiben, uns auf dieser Ebene sehr gut verstehen und auf einer anderen weniger gut, muss das nicht heißen, dass wir den Freund nicht um seiner selbst willen mögen, sondern nur deshalb, weil er uns das Vergnügen des gemeinsamen Sports bereitet. Es kann uns trotzdem darum gehen, genau mit diesem Menschen Sport zu machen, weil er er ist und niemand anderes. Alexander Nehamas vergleicht Freunde mit lebendigen Metaphern: Man könne ewig erklären, was man an ihnen mag, ohne den Kern dessen zu treffen, was einem ein Freund bedeutet.

Es scheint gerade zu unserer gegenwärtigen Freundschaftskultur zu gehören, dass wir Freunde für gewisse Angelegenheiten haben – also freundschaftliche Arbeitsteilung betreiben. Mit der einen Freundin können wir besonders gut über Probleme sprechen, mit der anderen gut feiern oder ins Theater gehen. Freundschaft bedeutet nicht, alles zusammen zu machen. Anders als in der Partnerschaft ist es sozial sehr akzeptiert, mehrere Freunde zu haben. Jede Freundschaft kann ihre eigene Dynamik haben, andere Seiten an uns hervorbringen.

Freundschaften erweisen sich als erstaunlich beständig

Von Freunden erwarten wir etwas, zum Beispiel Loyalität, Ehrlichkeit oder dass sie uns aus der Klemme helfen, wenn wir in Not sind. Doch sind die Erwartungen nicht annähernd so hoch wie jene, die wir an den festen Partner stellen, meint die Soziologin Eva Illouz. In der romantischen Liebe muss eine Person alles abdecken, man muss gemeinsam lachen und weinen können, sich vertrauen und heißen Sex haben, den Alltag organisieren, die Leidenschaften des anderen teilen, zusammen Urlaub machen, die gleichen Serien mögen. Romantische, erotische Liebe lebt nicht zuletzt vom Begehren, sie beginnt meist mit einem Knall und endet häufig auch so. Ein Freund hingegen, so Illouz, weile »eher im Hintergrund unseres Lebens«, wir seien »nicht von ihm besessen«.

Darum seien Freundschaften langlebiger und wir sollten diese Art von Verbindung viel mehr würdigen, meint Illouz. Zum Teil geschieht das bereits: Seit einigen Jahren wird »Co-Parenting« immer bekannter, ein Familienmodell,

bei dem nicht romantische Liebe die Basis einer Familiengründung ist, sondern Freundschaft. Dass man nicht unbedingt mit dem Partner und seiner Kleinfamilie zusammenleben, Weihnachten feiern oder seinen Lebensabend planen muss, sondern dies durchaus auch mit Freunden tun kann, wird immer normaler. Vor allem dort, wo Familie mit Schmerz und schlechten Erfahrungen verbunden ist, können Freunde ein guter Ersatz sein.

Es täte der romantischen Liebe gut, sich etwas mehr an der Freundschaft zu orientieren. An Freunde stellen wir nicht den Anspruch, für unser Lebensglück verantwortlich zu sein, und wir betrachten sie nicht als Eigentum. Freunde geben sich gegenseitig mehr Freiheiten. Trotzdem lebt Freundschaft auch im schnelllebigen Zeitalter der Digitalisierung von Beständigkeit. Das macht sie so besonders: Sie ist eigentlich völlig frei und unbestimmt, und doch erweist sie sich als prägender und bindender als viele andere Beziehungsarten. In der Liebesbeziehung spricht man früher oder später darüber, »was das jetzt zwischen uns ist«, Freundschaften entstehen im stillschweigenden Einverständnis. Vielleicht macht gerade die Abwesenheit von Zwang die Freundschaft als Verbindung so attraktiv und zeitgemäß.

Freunde können aber auch etwas von Liebenden lernen. Während es sich in den letzten Jahren herumgesprochen hat, dass Beziehungen dadurch besser werden, dass man über sich und vor allem über Probleme redet, ist genau das in Freundschaften noch nicht angekommen. Man macht selten Beziehungsarbeit unter Freunden. Unter Umständen wäre aber genau das keine schlechte Idee. Schließlich können sich auch unter Freunden Muster einschleichen, es kann Streit entstehen, man hat unterschiedliche Bedürfniss nach Nähe, und man verändert sich mit der Zeit. Freundschaften brauchen – ebenso wie Partnerschaften – Pflege.

Eine große Herausforderung für Freundschaften ist heute die Distanz. Es ist fast unwahrscheinlich geworden, dass man sein ganzes Leben im selben Land bleibt wie seine Freunde, geschweige denn in der gleichen Stadt. Eine Freundschaft aus der Ferne zu führen, ist schwierig – obgleich man das bereits zu Postkutschenzeiten irgendwie hinbekommen hat. Meine Großmutter und ihre Freundin wohnen ebenfalls weit voneinander entfernt, sie halten ihre Freundschaft seit Jahren nur übers Telefon aufrecht.

Die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Instagram erfüllen ihren Zweck hier endlich einmal besonders gut: Sie machen es uns deutlich leichter, am Leben unserer Freunde teilzuhaben, auf dem Laufenden zu bleiben und sich gegenseitig nicht zu vergessen. Auf Dauer wird jedoch auch Face- book keine Freundschaft retten können, die eigentlich zu Ende ist – gerade wenn man zwar voneinander Notiz nimmt, also Fotos und Beiträge anschaut, aber nicht mehr direkt miteinander kommuniziert. Freundschaft findet nicht plötzlich nur noch im Digitalen statt. Das Digitale erleichtert nur die Möglichkeit, verbunden zu bleiben, egal, wie viel man sonst um die Ohren hat. Auch über Chats, den Austausch von Bildern und Emojis können wir uns anderen nah, unter- stützt und geliebt fühlen.

Freundschaft allein ist zwar noch nicht politisch, doch kann sie so etwas wie Solidarität im Kleinen sein. Ein Netz aus Freunden respektive Freundinnen, die sich gegenseitig stärken und auffangen, kann, etwa für Menschen, die in der Gesellschaft anecken und diskriminiert werden, von größter Relevanz sein. »Bildet Banden« heißt es in feministischen Kreisen zum Beispiel: Zusammen erreicht man mehr, kann aufeinander achtgeben, füreinander einstehen. Ohnehin ist Freundinnenschaft etwas, das erst seit kurzer Zeit in Kulturgütern vorkommt, zum Beispiel in den Bestsellern der italienischen Autorin Elena Ferrante. Bei Aristoteles war wahre Freundschaft noch erwachsenen Männern vorbehalten.


Illustration: Sofia Hydman

Der Artikel stammt aus der Ausgabe 2/2019:

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