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Urlaubsethik – darf man überall hinreisen?

Viele Urlauber sind unsicher, wie es um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen ihrer Reisepläne steht, wenn sie ein Land bereisen wollen, das gemeinhin als arm oder strukturschwach gilt. Stärke ich die Region, wenn ich dort Urlaub mache – oder schade ich ihr womöglich? Wenn ich Geld im Land lasse, könnte das doch der Wirtschaft nutzen und den Wohlstand anheben. Oder kommt der Geldsegen nur einigen Strippenziehern zugute während Einheimische ausgebeutet werden, die Natur zerstört wird und ich mir womöglich den Vorwurf einhandle, »Slum-Tourismus« zu betreiben? Wer profitiert, wenn man Urlaub in einem ärmeren Land macht?

Wir haben vier Experten um eine Einschätzung gebeten.

Der Tourismusprofessor

In vielen ärmeren Ländern stellt der Tourismus einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar, zu dem es oft wenige Alternativen gibt. Ressourcen wie das Klima, exotische Natur und Wildtiere oder die einheimische Kultur verschaffen ihnen einen Wettbewerbsvorteil, der Touristen anzieht und weitere Wertschöpfung, zum Beispiel in der Landwirtschaft oder durch den Verkauf von Souvenirs, ermöglicht. So gibt es ein berechtigtes Interesse daran, diese Ressourcen zu schonen und dem Raubbau an der Natur entgegenzuwirken. Leider handelt die Tourismuswirtschaft nicht immer in diesem Sinne.
Da auch Unqualifizierte im Tourismus arbeiten können, ist er zumindest theoretisch geeignet, auch die Ärmsten zu erreichen. Es hängt von einer verantwortungsvollen Tourismuspolitik und vom richtigen Management ab, ob Einheimische partizipieren können und fair bezahlt werden, ob mit Ressourcen verantwortungsvoll umgegangen wird und regionale Produkte importierten vorgezogen werden. Trotz einiger Negativbeispiele lässt sich Tourismus grundsätzlich so gestalten, dass er sich vor Ort positiv auswirkt. Welches Problem sich nur nicht zufriedenstellend lösen lässt, ist das der Klimabelastung durch den Flugverkehr. Einige Länder sind leider auf Fernreisende angewiesen, da der einheimische Markt zu klein oder nicht kaufkräftig genug ist. Man kann seine Flüge aber immerhin freiwillig kompensieren, indem man Geld an zertifizierte Klimaschutzprojekte spendet, zum Beispiel für den Einsatz erneuerbarer Energien oder an Aufforstungsprojekte.

Wolfgang Strasdas ist Professor für Nachhaltigen Tourismus an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde und leitet dort das Zentrum für Nachhaltigen Tourismus (ZENAT).

 

Der Philosoph

Wer in armen Gegenden dieser Welt Urlaub macht, legt zunächst eine gewisse Takt- und Stillosigkeit an den Tag. Er oder sie verhält sich wie ein Zoo-Besucher, der nach dem erquicklichen Rundgang durch das Gehege schnell noch – gewissermaßen vor den Augen der Tiere – ein Schnitzel in der Cafeteria verdrückt. Kann man machen, ist aber geschmacklos. Und genau an diesem Punkt ähneln Zoo-Besucher jenen Urlaubern, die sich von bettelarmen Einheimischen „verwöhnen“ und von der exotischen Umgebung „verzaubern“ lassen, ohne darin ein Problem der humanen Etikette zu sehen. Folglich „profitiert“ zumindest das Ansehen dieser Personen von derlei Tun nicht. Allerdings ist nicht schon jede auf Ansichtskarten festgehaltene Stillosigkeit zugleich auch schon ein Verstoß gegen die Moral. Vielmehr hängt die Frage, ob ein Erholungsurlaub in der Dritten Welt „unmoralisch“ ist, von der jeweiligen Moraltheorie ab, die man (implizit) vertritt. Hier mag eine Utilitaristin, die auf ethische Profitmaximierung schielt und den wirtschaftlichen Gesamtnutzen der Region am Ende positiv bilanziert, zu einer ganz anderen Einschätzung kommen als ein aristotelischer Tugendethiker, eine kantianische Deontologin oder eine schopenhauersche Mitleidsethikerin. Diese drei kümmern sich ja gerade nicht um die Frage: „Wer profitiert?“. Auch beim Reisen ist also an dem Unterschied zwischen Moral und Etikette festzuhalten, das Reisen selbst ist Ansichtssache, und es gibt Reisende, die moralisch im Recht sein mögen, ohne deshalb auch schon stilsicher zu sein.

Arnd Pollmann ist Professor für Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule Berlin.

 

Der Entwicklungsökonom

Für viele Entwicklungsländer ist Tourismus eines der wichtigsten Exportgüter auf dem Weltmarkt. Die Tourismusbranche fragt viele Arbeitskräfte, auch mit weniger guter Ausbildung, nach. Man kann also davon ausgehen, dass eine große Zahl an armen Menschen direkt von dieser Branche profitiert. Ein empirisch weitestgehend unbekannter Teil der Tourismuseinnahmen geht an die Kapitaleigner der Tourismusunternehmen im In- und Ausland. Was oft als Ausbeutung der armen Beschäftigten verteufelt wird, muss aber nicht notwendigerweise schlecht sein. Ausländische Investoren können in der Lage sein, Investitionen in Höhe und Qualität durchzuführen, die für inländische Investoren, sollte es sie denn geben, nicht machbar sind.
Tourismus ist oftmals ein sehr simples Produkt. Ein paar schöne Strände in Kombination mit einfach zu errichtenden Hotelanlagen und einigen Angestellten reichen meist aus, um Touristen anzulocken. Wenn ein Land sich aber aus Bequemlichkeitsgründen lediglich einem Sektor zuwendet, kann dies zu wirtschaftlichen Problemen führen. Wenn bspw. eine Clique aus politischen Entscheidungsträgern und Kapitaleignern (und Mischformen) ausreichend hohe Einkommen aus dem Tourismusgewerbe ziehen kann, können andere wichtige wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen leicht aus dem Auge verloren werden. Dieses sogenannte »rent seeking« kann zu einer schiefen Einkommensverteilung beitragen und die ärmsten Menschen im Zielland dauerhaft arm halten. Tourismus bietet also Chancen und Risiken für die Armutsreduzierung. Wie stark die Chancen die Risiken überwiegen, hängt von der institutionellen Struktur des Landes und der Einbettung in die lokale Wirtschaft ab. Man kann davon ausgehen, dass Tourismus alleine kein ausreichender Faktor für wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensbedingungen armer Menschen in Entwicklungsländern ist. Hierfür ist eine Vielzahl an landesinternen Faktoren entscheidend, die für den Reisenden nicht beeinflussbar sind.

Sebastian Renner ist Research Fellow am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.

 

Die Reiseveranstalterin

Wer von Reisen in strukturschwache Länder profitiert, hängt ganz entscheidend von der Gestaltung der Reise ab. Unser Verband gründete sich 1998 aus der Idee heraus, dass ein anderer Tourismus möglich ist: ökologisch nachhaltig, sozial verträglich und wirtschaftlich fair in der Bezahlung der beteiligten Arbeitskräfte und Partner. Nachhaltiger Tourismus muss für uns einige Kriterien erfüllen, von der Zusammenarbeit mit ortansässigen Partnern über umweltschonenden Transport bis hin zur Förderung lokaler Wertschöpfung. Wichtig ist uns der sparsame Umgang mit Ressourcen wie Energie, Wasser oder Land. Als Reiseanbieter versuchen wir, den Wunsch der Urlauber nach Erholung und Komfort mit einem verantwortungsvollen Bewusstsein zu verbinden. Statt all-inclusive-Buffet gibt es saisonale, regionale Kost, kulturelle Traditionen wie Ayurveda werden den Touristen nahe gebracht, übernachtet wird in landestypischen Unterkünften statt in riesigen Hotels. Wir fördern gemeindebasierten Tourismus, der die Partner vor Ort einbindet: Wie viele Touristen können sie aufnehmen, was möchten sie den Urlaubern zeigen? Tourismus kann zur Völkerverständigung beitragen und auch dazu, dass ein eher geschlossenes Land sich langsam öffnet – vorausgesetzt, es gibt dort eine Privatwirtschaft und man unterstützt nicht unweigerlich eine Diktatur. Wir schauen, wo die Menschenrechte geachtet werden, man Minderheiten fördern kann oder wo man mit seinem Geld eher Konflikte befeuern würde. Wo es in einem Land Probleme gibt, sollte man nicht bloß Betroffenheit schüren, sondern Lösungsansätze aufzeigen, zum Beispiel indem man soziale Projekte besucht.

Petra Thomas ist Geschäftsführerin und Pressesprecherin von »Forum anders reisen«. Mehr als 100 Reiseveranstalter sind inzwischen Mitglieder des Verbandes.

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