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Donald Trump: Der falsche Prophet

Der US-Ideenhistoriker Richard Wolin, Professor am Graduate Center der City University New York, bringt das Phänomen Donald Trump mit Forschungsergebnissen Theodor W. Adornos et al. zur »autoritären Persönlichkeit« aus den 1940er Jahren in Verbindung. Wolin forscht auf dem Gebiet europäischer Ideengeschichte und beteiligte sich in einem Interview und einem Beitrag an der Heidegger-Debatte

Viel wurde bereits geschrieben im Bemühen, Donald Trump’s beispiellose und verstörende Kandidatur für das Amt des amerikanischen Präsidenten historisch zu situieren. Ein Problem dabei ist natürlich, dass Trump als politischer Outsider ein vollendetes politisches Chamäleon darstellt. Seine Positionen können sich von heute auf morgen, von Moment zu Moment ändern.

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Richard Wolin

Diese ziemlich grundsätzliche und unbestreitbare Tatsache enthüllt bereits etwas Wichtiges über seine Kandidatur. Denn während solche eklatanten Inkonsistenzen einen konventionellen Präsidentschaftsanwärter zweifellos zu Fall gebracht hätten, blieb Trump davon bemerkenswerterweise politisch unberührt. Wie Trump, anscheinend selbst verblüfft über seinen Erfolg, vergangenen Dezember scherzte: “Ich könnte mitten auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen – und würde keine einzige Stimme verlieren.” Trumps Getöse und seine größenwahnsinnige Persönlichkeit “über-trump(f)en” (pardonnez-moi) immer wieder die üblichen Standards rationaler Zurechnungsfähigkeit.

Seine treue Gefolgschaft, die ihn geschickt zur republikanischen Nominierung hintrieb, scheint es großteils gleichgültig zu sein, was Trump sagt: ob es praktikabel ist (eine Mauer, um die Immigranten aus Mexiko zu stoppen) oder verfassungsgemäß (sein Vorschlag vom Dezember 2015, einen Test zu religiösen Fragen einzuführen, um Muslime an der Einreise in die USA zu hindern). Ihre Verehrung ist hauptsächlich auf Trumps Persönlichkeit und Charisma zurückzuführen. Und deshalb scheinen sie in konsequenter Weise willens zu sein, in einer bedenklichen Urteilsenthaltung zu verharren, indem sie ohne die Beweise auskommen, auf die Wähler traditionell bestehen, um die Vertrauenswürdigkeit und Tauglichkeit eines Kandidaten zu bewerten.

Trump ist eher mit den heutigen europäischen Populisten zu vergleichen als mit den Faschisten

Viele Kommentatoren haben auch darüber nachgedacht, ob Trump mit dem Wort “Faschist” treffend beschrieben werden kann. Als politische Form war der Faschismus charakteristisch für das Europa zwischen den Weltkriegen. Und während andere politische Bewegungen den Faschismus in einem amerikanischen Kontext nachzuahmen versuchten – etwa die Baath-Regime in Irak und Syrien – trägt der Begriff eher zur Verwirrung als zur Klärung der Dinge bei. Trumps fanatische Unterstützer haben wenig gemein mit den kriegerischen “schwarzen” und “braunen” “Sportbewegungen”, deren straßenkämpferisches Gebaren Mussolini und Hitler in den 1920ern und 1930ern zur Macht verhalf.

Es ware treffender, Trumps autokratischen Habitus mit dem autoritärer Populisten wie Marine Le Pen, Victor Orban und Jaroslaw Kaczynski zu vergleichen– mit Figuren, die versucht haben, den europäischen, stets fragilen politischen Konsens der europäischen Demokratie der Nachkriegszeit zu unterminieren. Trumps Position in diesem Kontext neu zu denken, kann auch helfen, seine verstörende Bewunderung für einen der führenden politischen Tyrannen dieser Welt zu erklären: Wladimir Putin.

Müssen wir angesichts dieser interpretatorischen Herausforderungen auf einen verlässlichen historischen Indikator verzichten, um die Bedeutung von Trumps Kandidatur zu ermessen? Nein. Es heißt nur, dass wir bei der Suche nach einem angemessenen Paradigma, das die Bedeutung des Trumpismus und seine Auswirkungen auf das Schicksal der amerikanischen Demokratie erhellt, sehr vorsichtig sein müssen.

Als Ausgangspunkt, um die politische Bedeutung von Trumps Kampagne zu entziffern, möchte ich eine Serie von Texten vorschlagen, die von den Denkern der Frankfurter Schule während der letzten Jahre ihres amerikanischen Exils konzipiert wurden; eine Serie von fünf Studien, die Mitte der 1940er Jahren vom Amerikanischen Jüdischen Komitee in Auftrag gegeben wurden und unter der Rubrik Studies in Prejudice erschienen. Die bekannteste dieser Studien war The Authoritarian Personality: ein bahnbrechende Forschungskollaboration, von Theodor W. Adorno und den Soziologen der Universität von Kalifornien, Berkeley, Else Frenkel-Brunswil, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford.

The Authoritarian Personality (Die autoritäre Persönlichkeit) war eine der ersten Studien, die amerikanische und europäische Ansätze der Sozialforschung kombinieren wollte. Damals waren amerikanische Sozialwissenschaftler hervorragend darin, quantitative Methoden zu nutzen, während Europäer wie Adorno und seine Frankfurter Schule Kollegen besser darin waren, die qualitativen oder interpretatorischen Aspekte bestimmter Daten oder Erkenntnisse auszuwerten.

Unter den bemerkenswerten Neuerungen der Authoritarian Personality war die Entwicklung der “F Skala” (“F für Faschist”) , die als empirischer Index gedacht war, um die latenten autoritären Gewohnheiten und Dispositionen der Interviewten zu erfassen. Um etwa die Haltungen der Befragten zum Antisemitismus – dem ideologischen Anker des Nazismus – aufzuspüren, stellen die Forscher Fragen wie:

  • Können Sie einen Juden von anderen Menschen unterscheiden? Wie?
  • Ist es war, dass Juden einen unangemessenen Einfluss in Filmen, Radiosendungen, Literatur und an Universitäten haben? Wenn ja, was ist besonders schlecht daran? Was sollte dagegen unternommen warden?
  • Was taten die Nazis den deutschen Juden an? Was denken Sie darüber? Ist das so problematisch? (Adorno, Soziologische Schriften, II – 1, 266)

Ein Hinweis auf den großen Einfluss der Arbeit war ein Bericht von 1972, aus dem hervorgeht, dass zwischen 1950 und 1957 nicht weniger als 101 soziologische Studien die Authoritarian Personality als Vorbild genommen hatten (David McKinney, The Authoritarian Personality Studies).

Eine wesentliche Motivation für das Projekt war die ansteigende Verfolgung der europäischen Juden in den 30er Jahren. Es waren jedoch die ersten Enthüllungen über den Holocaust, aus dem Jahr 1942, die der Idee eine besondere Dringlichkeit gaben. Das Institut für Sozialforschung – der New-York-basierte institutionelle Arm der »Frankfurter Schule« – besaß die besten Voraussetzungen für eine größere interdisziplinäre Untersuchung zu dieser Frage, seit es, in den 30er Jahren, bereits einen großen Schritt in diese Richtung gemacht hatte, mit der Veröffentlichung der Studien über Autorität und Familie.

War die amerikanische Demokratie stark genug, um »totalitären Versuchungen« zu widerstehen?

Obwohl längst klar war, dass die Nazis den Krieg verlieren würden, lautete die Frage, die Politiker und Forscher zu dieser Zeit beschäftigte: Kann das auch hier geschehen? War die amerikanische Demokratie stark genug, um »totalitären Versuchungen« zu widerstehen? Wo genau lagen die Bruchlinien, und wie könnte man die Risiken messen? Und angenommen, empirische Untersuchungen könnten verbreitete antidemokratische Haltungen aufspüren – welche praktischen Schritte könnte man unternehmen, um solche Haltungen zurückzudrängen, die Loyalität der Staatsbürger und die »Gewohnheiten des Herzens« (Tocqueville) zu stützen, ohne die eine Demokratie zum Moloch der Autokratie degeneriert?

Einer der Gründe für den Erfolg der Studies in Prejudice war, dass die Studie nicht vor den komplexen Anforderungen des Themas zurückschreckte. Es ging um einen komplizierten, multidimensionalen Zusammenhang, der von den Forschern verlangte, das Zusammenwirken von politischer Ideologie, sozio-ökonomischen Trends und Persönlichkeitsstruktur zu ergründen. Zugleich waren die wesentlichen Ziele des Projekts relativ einfach: die Verbreitung und das Ausmaß autoritärer Dispositionen in der Gesellschaft zu bestimmen; jene Persönlichkeitsmerkmale aufzuspüren, die bestimmte Individuen für autoritäre Versuchungen empfänglich machen, während andere anscheinend dagegen immun bleiben.

Einer der Gründe, warum Studies in Prejudice (Studien über Vorurteile) seinen diagnostischen Wert behalten hat, ist, dass Forscher schon früh erkannten, dass antisemitische Ansichten Hinweise auf eine allgemeinere fremdenfeindliche Orientierung und Neigung sind. Daher hegten in fast jedem Fall jene, die einen irrationalen Hass gegen Juden zeigten, ähnliche Ressentiments gegen andere Minderheiten und ethnische Gruppen. Wie Adorno in The Authoritarian Personality feststellte: »Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen, was oft vermutet wurde: dass jemand, der feindlich gegenüber einer Minderheit ist, sehr wahrscheinlich auch feindlich gegenüber verschiedensten anderen ist.« [Soziologische Schriften, S. 160] Man könnte die Personen, die Adorno et al. befragten, auch »Gleichstellungsdiskriminatoren« nennen.

Die offensichtlichen Parallelen zu Trumps Verunglimpfungen einer großen Bandbreite sozial verletzlicher Randgruppen springen sofort ins Auge. Während also der republikanische Präsidentschaftskandidat herzlos damit droht, elf Millionen mexikanische Einwanderer zu deportieren und ein allgemeines Einreiseverbot gegen Muslime zu verhängen, bekannten die »autoritären Charaktere«, die Adorno et al. untersuchten, ganz ähnlich, sie würden »Fremde in Kozentrationslager stecken und Zionisten ausweisen« [Adorno, »Freudian Theory and the Pattern of Fascist Propaganda«, S. 118]

Vorurteile korrelieren mit Misstrauen in demokratische Institutionen

Ein weiterer Grund, warum die Studies in Prejudice weiterhin von Bedeutung ist, liegt in der Entdeckung der Forscher, dass Vorurteile mit Misstrauen in demokratische Institutionen korrelieren. Seit Beginn des Präsidentschaftswahlkampf 2016 ist klar, dass Trumps größte Wählergruppe – schlecht gebildete weiße Männer – ihn als politischen »Heiland« sehen, der das (geschmierte) »System« – den Kongress und die Justiz – umgehen kann, um Dinge zu bewegen, die auf normalen institutionellen Wegen nicht zu erreichen wären. Wie David Boaz im Februar im National Review schrieb: »Er ist der Typ, der auf einem weißen Pferd nach Washington reiten kann, um alles zu richten. Er redet nicht über Strategie oder Zusammenarbeit mit dem Kongress. Im Prinzip kündigt er an, ein amerikanischer Mussolini zu werden, der die Macht im Trump’schen Weißen Haus konzentriert und per Ermächtigung regiert.«

Nicht weniger hilfreich für das Verständnis der massenpsychologischen Verführungskraft des »Trumpismus« ist die Entschlüsselung der wichtigsten rhetorischen Techniken der amerikanischen protofaschistischen Agitatoren durch die Kritischen Theoretiker. Auch in diesem Fall sind die Parallelen und Übereinstimmungen mit Trumps bombastischen Reden überaus erhellend.

Damals wie heute war und ist es ein zentrales Ziel der Agitatoren, ihre Anhänger zu infantilisieren. Mit doppeltem Ziel: um sie in gefügiges Material für die eigenen demagogischen Absichten zu verwandeln und sie gleichzeitig dazu zu bewegen, gegen ihre eigenen materiellen Interessen zu handeln. Um dieses Ziel zu erreichen, macht sich der Demagoge drängende und legitime soziale Probleme zu eigen – Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, die Unnahbarkeit und Gleichgültigkeit der Berufspolitiker – um die wahren Ursachen dieser Probleme zu verklären und ihr Ausmaß zu übertreiben. Indem er die aktuelle Situation so schwarz wie möglich malt, vergrößert er die Verzweiflung seiner Zuhörer, bis sie Knetmasse in seinen Händen sind.

So erweist sich der Rückgriff des Demagogen auf rhetorische Übertreibung und Überemotionalität als wirksames Mittel, um in den Köpfen der durchschnittlichen, unterdrückten Bürger Verwirrung zu stiften und sie noch stärker an den Demagogen als politischen Messias zu binden. Wie der Philosoph Max Horkheimer in seiner Einführung zur Serie Studies in Prejudice bemerkte: »Der Demagoge prägt das Muster für jenes Zeitphänomen, die entindividualisierte, inkohärente und gänzlich formbare Persönlichkeitsstruktur, in welche die antidemokratischen Kräfte den Menschen zu verwandeln suchen.« [Prophets of Deceit, xii]

Ein Armageddon-artiges Wörterbuch der Dämonisierung, Verpestung und Verdammnis verhindert eine realistische Bewertung sozialer Probleme.

In Prophets of Deceit (1949), ihrer Analyse der rhetorischen Taktiken und Tricks der amerikanischen Agitatoren, zitieren die Soziologen Norbert Guterman und Leo Löwenthal die folgenden charakteristischen Bemerkungen eines der Möchtgern-Führer, die sie beobachteten:

Wann werden die einfachen, normalen, ehrlichen, schafsgleichen Amerikaner begreifen, dass ihre öffentlichen Angelegenheiten von Ausländern, Kommunisten, Spinnern, Flüchtlingen, Fahnenflüchtigen, Sozialisten, Termiten [sic] and Verrätern verwaltet werden? Diese ausländischen Feinde Amerikas sind wie Parasiten, die ihre Eier in den Kokon eines Schmetterlings legen und die Larven verschlingen. Sobald sich der Kokon öffnet, begegnen wir einem Schädling, einem Parasiten. [Prophets of Deceit, 1]

Hier verhindert ein überladenes, Armageddon-artiges Wörterbuch der Dämonisierung, Verpestung und Verdammnis eine realistische Bewertung sozialer Probleme. Eine »Feindesliste« tritt an die Stelle einer bedachten Abwägung politischer Alternativen und macht damit jede weitere Diskussion überflüssig. Wie Guterman und Löwenthal bemerken, hilft der Agitator seinen Anhängern nicht, konstruktiv ihre Wut zu sublimieren, stattdessen »gibt er ihnen die Erlaubnis, in Erwartungsfantasien zu schwelgen, in denen sie jene Emotionen gewaltsam gegen vermeintliche Feinde entladen« [Prophets of Deceit, 9].

Mit dem »Trumpismus« mag sich die Liste der Schuldigen verändert haben, aber die Beschimpfungen bleiben altbekannt. Statt einer maßvollen Bewertung der politischen Alternativen oder einer Abwägung der Vor- und Nachteile bestimmter institutioneller Reformen zieht Trump es vor, seine Gegner zu dämonisieren – »Betrüger-Hillary«, »Lügen-Ted« – und lädt damit seine Anhänger zur Teilnahme an Wahlkampfpossen ein, die manchmal an ein provokant inszeniertes, sadistisches Ritual erinnern. Indem der Demagoge in seinen Verehrern ein Crescendo ethnischen und religiösen Hasses entfacht, stellt er sicher, dass ihre Wahrnehmung der Realität verzerrt bleibt und Kathexis und die triebhafte Verbindung zwischen ihm und ihnen stark bleibt.

Tatsächlich gibt es sehr wenig Neues oder Originelles an Trumps Werbesatz, nur er könne »Amerika wieder groß machen«, oder auch an seiner Erklärung auf dem Nominierungsparteitag: »Ich werde eure Stimme sein.« Dazu passend zitieren Guterman und Löwenthal In Prophets of Deceit einen Agitator mit Grammatikschwäche aus den 1940ern, der Trumps rhetorische Schauspielkunst mit erstaunlicher Voraussicht vorwegnahm: »Ich sage, was ihr alle sagen wollt, aber nicht den Mut habt zu sagen … Wir schlagen unverzüglich vor … die Verführer in unserer Gesellschaft zu entmannen und Amerika wiederzuerrichten auf einer Grundlage, auf der solch eine Plünderung niemals wiederholt werden kann.« [Prophets of Deceit, 3]

Trump kann mit einem Vermögen von zehn Milliarden Dollar schwer als »Mann des Volkes« bezeichnet werden

An anderen Stellen hat Trump versucht, aus diesem Slogan politischen Gewinn zu ziehen: »Holen wir uns Amerika zurück.« Aber wie die folgende Passage aus Prophets of Deceit zeigt, ist auch diese Erklärung nicht sonderlich originell: »Wir werden die Regierungsverantwortung diesen Großstädtern aus den Händen nehmen und sie den Menschen zurückgeben, die weiterhin glauben, dass zwei plus zwei gleich vier ist.« [ibid.] Diese Bemerkungen legen nahe, dass schon in den 1940ern einheimische Demagogen geschickt darin waren, zwischen doppelzüngigen urbanen Eliten und sogenannten »echten Amerikanern« zu unterscheiden.

Die Ironie dabei ist natürlich, dass Trump, der Spross eines New Yorker Immobilienmoguls, der sich mit einem Vermögen von zehn Milliarden Dollar brüstet (aber sich immer wieder weigert, zum Beweis seine Steuerbescheide vorzulegen), schwerlich als »Mann des Volkes« bezeichnet werden kann. Sind den »echten Amerikanern« so sehr die Optionen ausgegangen, dass sie nun ihr politisches Schicksal jemandem in die Hände legen zu müssen meinen, der erwiesenermaßen ein Tyrann, Fremdenhasser und Frauenfeind ist? Jemandem, der sich regelmäßig erlaubt, politische Argumente durch persönliche Beleidigungen zu ersetzen, und der, wenn er in den Umfragen hinten liegt, seinen Gegnern kaum verblümt mit Gewalt droht, wie vor kurzem seine Anspielung auf das »Volk des Zweiten Zusatzartikels« zeigt?

In Prophets of Deceit versuchen Guterman und Löwenthal, mit der Analogie eines ständig überfüllten Busses Licht in die Sozialpsychologie der Vorurteile zu bringen. Die frustrierten Fahrgäste, am Ende ihrer Geduld, gehen dazu über, ihre eigenen Lösungsvorschläge zu verkünden. Fahrgast A schlägt sinnvollerweise vor, dass die Verkehrsgesellschaft die Zahl der Busse auf der überlasteten Linie erhöht. Fahrgast B dagegen verfolgt eine ganz andere Spur – für unsere Zwecke werde ich sie den »Trump-Ansatz« nennen – und verkündet theatralisch, die Überfüllung habe nichts mit der Unfähigkeit der Verkehrsgesellschaft zu tun. Stattdessen behauptet er, mit der amerikanischen Einwanderungspolitik stimme etwas nicht, und stellt als Schuldige all jene hin, »die nicht einmal gutes Englisch sprechen, und die dorthin zurückgeschickt werden sollten, von wo sie kommen« [Prophets of Deceit, 8-9].

In theoretischer Hinsicht stützte sich Adorno auf Freuds Studie »Massenpsychologie und Ich-Analyse“ (1921). Am Beginn der faschistischen Ära hatte Freud scharfsinnig die ontogenetischen Gefahren der »Massensgesellschaft« in Bezug auf das Risiko der „Ich-Regression“ untersucht: die Opferung der individuellen Autonomie auf dem Altar irrationaler und emotionaler Anforderungen der „Gruppe“ als Träger des kollektiven Über-Ichs. Das prekäre Wesen des Übergangs von Gemeinschaft zu Gesellschaft, der eine beschleunigte und weitreichende Auflösung tradtioneller sozialer Bande nach sich zog, führte zu einem exponentiellen Anstieg solcher Risiken.

Der Demagoge fungiert als Ersatz-Vaterfigur

Um die Verlockungen der Regression zu illustrieren, berief sich Freud auf die Parabel der Urhorde, deren Gruppenzusammenhalt durch einen ursprünglichen Gewaltakt gestärkt wird: die angebliche Ermordung des Urvaters. Weil die Aufrechterhaltung der Ich-Autonomie übermäßige Triebunterdrückung erfordert, wird sie oft als anstrengend wahrgenommen.Wie der Sozialpsychologe Erich Fromm in seiner klassischen Studie „Furcht vor der Freiheit“ gezeigt hat, können diese Anforderungen bei »fremdbestimmten« Persönlichkeitstypen oft eine „Fluchtreaktion“ auslösen, die das Individuum dazu bringt, Entlastung im falschen Trost eines politischen Demagogen zu suchen, der als eine Ersatz-Vaterfigur fungiert.

Vor allem in Zeiten großer sozialer und ökonomischer Spannungen, ist es oft schwierig, der Verlockung der Regression zu einer primitiveren phylogenetischen Stufe, wie sie Freuds Fabel von der Urhorde nahelegt, zu widerstehen. (Im Falle von Trumps Kandidatur hatten die Nachwirkungen der Finanzkrise von 2008 unzweifelhaft eine Kalysator-Funktion).

Durch das Prisma von Freuds Theorie der mentalen Topografie betrachtet, war die faschistische Charakterstruktur gekennzeichnet durch ein schwaches Ich, ein überentwickeltes Über-Ich, und ein undiszipliniertes Es. Das labile faschistische Selbst wurde gestärkt durch das Festhalten an Stereotypen und Vorurteilen gegen andere. Die F-Skala zeigte, dass faschistische Persönlichkeitstypen Vernunft und Demokratie als Zeichen von Schwäche sehen – und folglich als geeignete Ziele von triebhafter Aggression. Insoweit sich solche Persönlichkeitstypen bereitwillig mit den herrschenden Mächten identifizierten, waren sie die ultimativen politischen »Konformisten« – das war eine der zentralen Punkte in Bernardo Bertoluccis Film „Der Konformist“ (1970).

Aus Adornos Sicht bot Freuds Zugang zu Fragen der Massenpsychologie eine wertvolle Heuristik, um den Zusammenhang zu verstehen zwischen sozioökonomischer Krise, narzisstischem Trauma (etwa Arbeitslosigkeit und sozialer Statusverlust) und dem Auftreten regressiver politischer Bewegungen, die kompensatorischen Trost in Emotionen und Sündenbock-Theorien suchen, im Gegensatz zu mühsameren, reiferen, Ich-zentrierten Zugängen zur politischen Problemlösung.

Die von Adorno et al. entwickelte F-Skala war allerdings keineswegs unumstritten. Während man ihren prognostischen Wert durchaus anerkannte, befanden die Kritiker, die Forscher hätten ihre Fragen verzerrt, um die Antworten zu bekommen, die sie bekommen wollten (vgl. Marie Jahoda, et al. Studies in the Scope and Method of the Authoritarian Personality“)

Im Rückblick ist es schwierig einzuschätzen, in welchem Ausmaß diese Kritik die Ergebnisse von „The Authoritarian Personality“ kompromittiert. Gleichwohl haben Politikwissenschaftler versucht, den methodologischen Ansatz der ursprünglichen Forschergruppe zu verfeinern, dabei kamen sie zum Schluss, dass die Haltungen und Praktiken der Kindererziehung ein genaueres Maß für autoritäre Neigungen bieten. Der neue Ansatz wurde 2009 in der Studie von Marc J. Hetherington und Jonathan D. Weiler verwandet, Authoritarianism and Polarization in American Politics (Cambridge University Press) – eine Arbeit, die sehr hilfreich ist, um die Anziehungskraft von Trumps Wahlkampf auf einen großen Teil der US-Wählerschaft zu erklären.

Die Ergebnisse von Adorno et al. wurden in der Anwendung auf das Trump-Phänomen durchschlagend bestätigt

Wie nicht anders zu erwarten, haben sich Studien über Trump und politischen Autoritarismus in letzter Zeit zu einer Art akademischen Industrie entwickelt. Insofern hat sich die Nutzung verfeinerte sozialpsychologischer Messtechniken als einer der Schlüssel erwiesen. Dabei ist es wichtig festzustellen, dass die Ergebnisse von Adorno et al. in der Anwendung auf das Trump-Phänomen durchschlagend bestätigt wurden.

Einer der führenden Analytiker der autoritären Persönlichkeitsstruktur, als bestimmendes Merkmal von Trumps Unterstützern, ist Matthew C. MacWilliams (University of Massachusetts), dessen Studie Americas Authoritarian Spring: the Rise of Trumpism gerade erschienen ist (Amherst College Press). In ähnlichen Worten wie Adorno und seine Kollegen, beschrieb MacWilliams kürzlich treffend die autoritären Persönlichkeiten von heute: „Individuen mit einer Disposition zum Autoritarismus zeigen eine Furcht vor »dem anderen« ebenso wie die Bereitschaft, starken Führern zu folgen. Sie neigen dazu, die Welt in Schwarz-Weiss-Begriffen zu sehen. Sie sind definitionsgemäß in ihren Haltungen unflexibel und starr. Und wenn sie einmal zwischen Freund und Feind unterschieden haben, dann halten sie an ihren Auffassungen fest. [1]

MacWilliams`Charakterisierung hilft zu erklären, warum Trumps Unterstützer, sobald sie sich einmal entschieden haben, so unbeweglich bleiben: gänzlich unzugänglich für gegenläufige Fakten, Hinweise und Argumente.

Selbst wenn Trump die politische Bühne verlässt, bleibt der »Trumpismus«

Während des Wahlkampfes 2016 befragte MacWilliams ein repräsentatives Sample von Trump-Unterstützern und kam zu einer ernüchternden Schlussfolgerung: eine autoritäre Disposition war, bei weitem, die wichtigste Variable, die eine Unterstützung für Trumps Kandidatur anzeigte – wichtiger als Einkommen, Bildungsniveau und Hautfarbe. In einer genauen empirischen Studie zu 1800 Trump-Unterstützern kam MacWilliams zum Ergebnis, dass diese wesentlich wahrscheinlicher glaubten, dass Minderheiten (1) ihren Platz kennen sollten, (2) daran gehindert werden sollten, sich gegen Mehrheitsentscheidungen zu stellen; und dass (3) wenn das Wohlergehen des Landes auf dem Spiel steht, der Präsident die Möglichkeit haben sollte, die Kakophonie oppositioneller Stimmen zu unterdrücken. Sie sprachen sich auch stark dafür aus, Moscheen zu schließen und das Recht auf richterliche Haftprüfung auszusetzen, wenn eine Person verdächtigt wird, einer terroristischen Organisation anzugehören.“ [2]

Selbst wenn Donald Trump nach der November-Wahl von der politischen Bühne abtreten sollte, wird der „Trumpismus“ – die sozialen Ursachen, die das Trump-Phänomen herbeigeführt haben – wohl nicht so bald verschwinden. Der einzige Weg, den besorgniserregenden autoritären Taumel in der amerikanischen Politik loszuwerden, besteht darin, ernsthaft seine Wurzeln zu bekämpfen. Und das bedeutet, die missliche Lage von Millionen amerikanischen Bürgern ernstzunehmen, die sich vom heutigen politischen System und den herrschenden Eliten im Stich gelassen fühlen.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Tobias Hürter, Rebekka Reinhard, Thomas Vašek

[1] MacWilliams, Vox: Policy & Politics, updated on Feb. 23, 2016

[2] MacWilliams, LSE US Center Blog, „Donald Trump is attracting authoritarian primary voters, and it may help him to gain the nomination.“ February 12, 2016

Richard Wolin ist Professor für Geschichte und Politikwissenschaften an der City University of New York, sein Forschungsgebiet ist die Europäische Ideengeschichte. Zu seinen einschlägigen Publikationen gehören u. a.: „The Politics of Being“ (Columbia University Press 1990), deutsch: „Seinspolitik. Das politische Denken Martin Heideggers“ (Passagen Verlag 1991); „Heideggers Children“ (Princeton Univ. Press 2001) und „The Seduction of Unreason“(Princeton Univ. Press 2004).

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