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„Heidegger hielt ‚Endlösung‘ für notwendig“

Die Heidegger-Debatte hat die USA erreicht. Im Interview mit „Hohe Luft“ ordnet der renommierte US-Ideenhistoriker Richard Wolin die jüngsten Enthüllungen in einen größeren Kontext ein. „Heideggers ganzes Projekt ist kompromittiert,“ sagt Wolin, der zu den weltweit führenden Heidegger-Forschern zählt.

Richard Wolin

Richard Wolin

Hohe Luft: Professor Wolin, Sie beschäftigen sich seit mehr als über 20 Jahren mit Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus. Was bedeuten die Textpassagen aus dem neuen Band der „Schwarzen Hefte“ für Ihr Gesamtbild?

Richard Wolin: Die bisher bekannten Passagen sind aus mehreren Gründen verstörend. Heideggers Metakritik der Technik, die so wichtig für sein späteres Denken ist, steht in unmittelbarer Verbindung zur Frage der jüdischen „Selbstvernichtung“. Heidegger behauptet da: „Wenn erst das wesenhaft ‚Jüdische‘ im metaphysischen Sinne gegen das Jüdische kämpft, ist der Höhepunkt der Selbstvernichtung in der Geschichte erreicht.“ In Zukunft wird es sehr schwierig sein, den früheren Enthusiasmus für Heideggers Technik-Kritik von diesen Passagen zu trennen. Die ganze seinsgeschichtliche Konzeption beim späteren Heidegger steht nun in Frage. Schon früher hat man gesehen, dass Heideggers Technik-Kritik einiges gemeinsam hat mit der deutschen Zivilisationskritik von Leuten wie Oswald Spengler und Ernst Jünger. Das wurde von Heideggers Anhängern bislang ausgeblendet, aber diese ideologischen Resonanzen kann man nicht länger ignorieren.

Hohe Luft: Manche sprechen bei Heidegger von einem „metaphysischen“ oder „seinsgeschichtlichen“ Antisemitismus….

Wolin: Das ist zumindest teilweise ein Versuch, Heideggers Antisemitismus wegzurücken vom Antisemitismus der Nazis in den 30er Jahren. Doch das ist irreführend. Heideggers Solidarität mit dem Regime und dessen Zielen war enorm. Die Unterschiede sind nicht substanziell, es geht um Familienähnlichkeiten. Es gab keine offizielle antisemitische Doktrin, sondern immer ein ganzes Spektrum von antisemitischen Sichtweisen. Solange jemand mit bestimmten Prinzipien zur Lösung der Judenfrage übereinstimmte, wurde das vom Regime akzeptiert. Die Nazis interessierten sich nicht für Scholastik, sofern man die grundlegenden Ziele teilte. Heidegger war begeistert von der deutschen Erlösungsmission für die Krise des Westens. Und wie die „Schwarzen Hefte“ zeigen, hielt er daran auch nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs fest, allen Tatsachen zum Trotz. Deshalb halte ich den Begriff des seinsgeschichtlichen Antisemitismus für irreführend weil er uns wegführt von Heideggers Solidarität mit dem Regime nach der »Stunde Null«. Der Journalist Thomas Assheuer hat in der Zeit einmal richtig bemerkt: “Dieser hermeneutische Trick, Heideggers Antisemitismus erst festzustellen, um ihn dann luftdicht verpackt von seiner Philosophie abzuspalten, verfängt nicht mehr. Die Judenfeindschaft in den Schwarzen Heften ist kein Beiwerk; sie bildet das Fundament der philosophischen Diagnose.“

 „‚Sein und Zeit‘ ist bereits politisch, es ist teilweise Philosophie, teilweise Ideologie.“

Hohe Luft: Wie hat sich Heideggers NS-Engagement entwickelt?

Wolin: Heideggers Verteidiger versuchen, den Heidegger der 30er Jahre von jenem des Frühwerks zu trennen. Zwar hat es wirklich eine „Kehre“ gegeben, also einen Wandel in seinem Denken. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass er eine »metapolitische« Entwicklung durchlaufen hat, die mit seiner Identifikation mit der Kriegsjugendgeneration des ersten Weltkriegs beginnt. Das zeigt sich etwa im Paragraphen 74 von »Sein und Zeit«, da gibt es diese Diskussion von Volk, Generation, Helden usw. Diese Identifkation mit der Frontgeneration ist außerordentlich wichtig, schon in seiner Kriegsnotsemester-Vorlesung von 1919 in Freiburg. Bereits in dieser Vorlesung betont er die Bedeutung des Krieges für die neue Generation. Und dieses metapolitische Anliegen spielt auch eine zentrale Rolle in Heideggers Daseinsanalyse. Seine Kritik der „durchschnittlichen Alltäglichkeit“, des „Man“ in „Sein und Zeit“ ist auch teilweise Zivilisationskritik, eine Kritik der Moderne. „Sein und Zeit“ ist bereits politisch, es ist teilweise Philosophie, teilweise Ideologie. Heidegger ist ja ein Philosoph der Zeitlichkeit, er betont die zeitgebundene Natur seiner Philosophie. Es ist die Erfahrung der Kriegsjugendgeneration, mit der er sich identifiziert, die ihn prägt. Der Weg dieser Frontgeneration durch die 30er Jahre zum Nationalsozialismus ist sehr klar und vorhersehbar. Tatsächlich ist es die Geschichte einer Generation. Heidegger war da keine Ausnahme. Er war und bleibt ein bedeutender Philosoph, aber in anderer Hinsicht war er ganz normal.

Hohe Luft: Wie schwer treffen die Antisemitismus-Vorwürfe Heideggers ganze Philosophie?

Wolin: Das ganze Projekt ist kompromittiert. Das heißt nicht, dass man Heideggers Werk nicht mehr lesen soll. Sein Werk fordert die traditionelle westliche Transzendentalphilosophie heraus. Aber wir brauchen eine doppelte Lektüre. Man kann Heideggers Werk im Sinne einer Fundamentalontologie lesen, aber man darf die ideologischen Resonanzen in seinem Denken nicht ignorieren. Wir können das eine nicht vom anderen trennen. Das ist die Strategie seiner dogmatischen Verteidiger, die versuchen, da einen Schutzwall aufzurichten. Doch dieser Schutzwall liegt jetzt in Trümmern.

Hohe Luft: Welche Konsequenzen haben die neuen Enthüllungen für die Heidegger-Forschung?

Wolin: Das ist eine außerordentlich wichtige Frage. Seit Jahrzehnten wissen wir, dass es Probleme mit der Gesamtausgabe und der Publikationsgeschichte von Heideggers Werk gibt. Das ist ein Skandal. Eben gab es einen Artikel in der Zeit „Was heisst ‚N. Soz.’?“ von Adam Soboczynski, der die Verbreitung und Ausmaß dieser Probleme bestätigt. Es gibt viele kompromittierende Passagen aus seinen Vorlesungen, die man einfach weggelassen hat. Und diese Probleme gibt es noch immer. Zum Beispiel ist der wichtige Briefwechsel mit seinem Bruder Fritz für die Forscher gesperrt. Und das Problem wird immer schlimmer, solange der Heidegger-Nachlass nicht völlig für die Forschung freigegeben ist.

„Es ist irreführend zu glauben, dass die antijüdischen Stellungnahmen im Werk früherer deutscher Denker Heidegger irgendwie freisprechen.“

Hohe Luft: Nun verweisen manche, wie etwa Donatella di Cesare auf die antisemitische Tradition in der deutschen Philosophiegeschichte. Auch bei Kant und Hegel gibt es antisemitische Stellen.

Wolin: Das ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Es gab einen Paradigmenwechsel im späten 19. Jahrhundert, vom religionsbasierten zum rassischen Antisemitismus. Sehen Sie sich nur den Kontext der 30er Jahre an, die Diskriminierung der Juden, den genozidalen, auf Vernichtung ausgerichteten Antisemitismus. Die Nazis haben gar nicht versucht, das zu verbergen. Es ist irreführend zu glauben, dass die antijüdischen Stellungnahmen im Werk früherer deutscher Denker Heidegger irgendwie freisprechen. Zum einen taucht der Antisemitismus (ein Begriff, der erst in den 1870er Jahren geprägt wurde) im Werk von Kant und Hegel nur vereinzelt auf. Ausserdem handelte sich im allgemeinen um die traditionelle, religiöse Form. Dieser Antisemitismus führte zwar oft zu Diskriminierung und Verfolgung. Aber er unterschied sich wesentlich vom rassischen Antisemitismus in Zentraleuropa gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Das Ziel des Christentums war vor allem, die Juden zu bekehren, nicht sie massenhaft auszulöschen. Außerdem gründeten die Philosophien von Kant und Hegel auf der Idee der „Autonomie der Vernunft“, die den rationalen Kern ihres Denkens bildet. Das macht ihre Aktualität bis heute aus. Kants und Hegels antisemitische Äußerungen beeinflussen unsere Wertschätzung für ihr Denken nicht, zum Teil, weil sie zu ihrem emanzipatorischen Anliegen im Widerspruch stehen. Man muss hier auch betonen, dass es sich als sehr schwierig herausgestellt hat, Kants und Hegels Lehren während der NS-Zeit zu assimilieren.

Hohe Luft: Bei Heidegger war das anders…

Wolin: Der Antisemitismus in den „Schwarzen Heften“ steht in einer Verbindung zu dem „eliminatorischen Antisemitismus“, einer zentralen Säule des deutschen Kulturnationalismus während der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Schon in „Das Judentum in der Musik“ (1851) spielte Richard Wagner mit der Idee des „Untergangs“, obwohl er keine bestimmten Methoden nannte, als „Lösung“ der Judenfrage. Da Heidegger glaubte, dass die Auflösungstendenzen der Moderne durch den jüdischen „metaphysischen“ Hang zum „rechnenden Denken“ vorangetrieben würden, hielt er eine „Endlösung“ für notwendig.

„Nach Heideggers Auffassung ist ein „neuer Anfang“ erst möglich, wenn der jüdische Geist besiegt ist.“

Was sonst meint Heidegger, wenn er in der „Geschichte des Seins“ schreibt: „Es wäre zu fragen, worin die Vorbestimmung der Judenschaft für das planetarische Verbrechertrum begründet wird“ oder wenn er in den „Schwarzen Heften“ behauptet: „Die höchste Art und der höchste Akt der Politik bestehen darin, den Gegner in eine Lage hineinzuspielen, in der er dazu gezwungen ist, zu seiner eigenen Selbstvernichtung zu schreiten“? Nach Heideggers Auffassung ist ein „neuer Anfang“ erst möglich, wenn der jüdische Geist besiegt ist. Bereits 1934 sprach er enthusiastisch von der „völligen Vernichtung“ der Feinde des Dritten Reiches (GA 36/37, Seite 91). Hier ist Heideggers Verwendung des Wortes „Vernichtung“ frei von jeglicher Mehrdeutigkeit. Gemeint ist „Zerstörung“ oder „Eliminierung“. Darüber hinaus ist es schockierend, dass er die Bemerkung in den „Schwarzen Heften“ vor der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 machte, als die Nazi-Führung die „Endlösung“ der Judenfrage beschloss.

Das Interview führte Thomas Vašek

Richard Wolin ist Professor für Geschichte und Politikwissenschaften an der City University of New York, sein Forschungsgebiet ist die Europäische Ideengeschichte. Zu seinen einschlägigen Publikationen gehören u. a.: „The Politics of Being“ (Columbia University Press 1990), deutsch: „Seinspolitik. Das politische Denken Martin Heideggers“ (Passagen Verlag 1991); „Heideggers Children“ (Princeton Univ. Press 2001) und „The Seduction of Unreason“(Princeton Univ. Press 2004).

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