HOHE LUFTpost vom 16.01.15: Warum ich nicht Charlie bin
»Je suis Charlie« ist der Slogan dieser Tage, er steht für die weltweite Solidarität mit dem Satiremagazin Charlie Hebdo, dessen Redaktion vergangene Woche das Ziel des brutalsten Terroranschlags der letzten Jahre in Europa war. Er soll bedeuten: »Wer die Meinungsfreiheit angreift, der greift auch mich an«. Der Anschlag zielt auf ein Grundprinzip unserer Gesellschaft: das Recht auf freie Rede. Doch es steht noch mehr auf dem Spiel: unsere Toleranz. Sie erlaubt Menschen mit verschiedensten Werten und Lebensweisen, friedlich miteinander auszukommen.
Das Magazin Charlie Hebdo ist ein Testfall für unsere Toleranz. Seine Karikaturen vermischen oft das Religiöse mit dem Sexuellen, sie zeigen Jesus und Gottvater beim Analsex und Frauen in Ganzkörperschleier mit einem dreieckigen Loch für die Vagina. Ich persönlich finde sie schrecklich geschmacklos. Nein, ich bin nicht Charlie. Aber gerade deshalb verteidige ich das Recht, solche Zeichnungen zu veröffentlichen. Toleranz bedeutet, dasjenige in Ruhe sein zu lassen, was man für sich ablehnt.
Wir sollten uns vom Anschlag von Paris anspornen lassen, diese Tugend zu pflegen – und das Gefühl für ihre Grenzen zu schärfen. Wer unsere Toleranz mit Kalaschnikows angreift, verdient keine Toleranz.
– Tobias Hürter