„Ohne Worte“ können Gedanken schwerlich gefasst, Wahrnehmungen nicht geschildert werden. Doch das Sprachwerkzeug hilft nicht nur, es schränkt auch ein. Nur eine Realität existiert, aber sie wird von Benutzern verschiedener Muttersprachen bereits unterschiedlich wahrgenommen, und wir tragen vielerlei zusätzliche „Brillen“, die wir nicht einfach ablegen können. Wissbegierige mögen eine Methode der Beobachtung verfolgen, um Grade von Objektivität zu erreichen. Schaulustige mögen sich an der Subjektivität erfreuen, der Vielfalt, der kreativen Anreicherung ihrer Wahrnehmungen.
Jede Wahrnehmung ist teils Beobachtung (stärker kognitiv, stärker aktiv), teils Schauen (eher emotional, eher passiv), stets aber konstruktorisch, und die Schilderungen fallen mehr oder weniger artifiziell aus. Eine Reise, die aus gewohnter Umgebung herausführt, kann uns hier zur philosophisch-psychologischen Selbstwahrnehmung verhelfen – eine Schiffsreise zwischen Wellen, Küsten und Städten, zwischen Berufstätigen und Urlaubern, zwischen Natur und Technik, Gesellschaft und Kunst. Die schönste Landschaft vermag uns nur begrenzt zu faszinieren, solange wir noch unser Gleichgewicht auf schwankendem Deck suchen. Ist der Genuss dann vollkommen, kann die Hochstimmung auf das Bild abfärben, das wir uns von der Kreuzfahrt-Society machen. Wir witzeln über die Banausen, denen allein das Buffet etwas bedeutet. Doch sind „Naturschönheit“ und „Banausen“ nicht bereits von uns mitgebrachte Klischees, die unsere Wahrnehmung prägen, deren Interpretation vorwegnehmen? Wir geben unser Biografie auch nicht am Eingang zur fiktionalen Welt der Lichtkunst ab, wo versucht wird, uns hinsichtlich des Verhältnisses von Realität und Konstruktion zum Staunen zu bringen (oder gar zu verwirren): Gibt es hier etwas zu beobachten oder sind wir von vornherein aufs Schauen beschränkt?
Eine philosophische Mini-Kreuzfahrt „Kiel-Oslo-Kiel“ unter dem Motto „Wahrnehmen – Beobachten – Schauen“ versucht vom 14.-16.10.2014, an Bord eines Color-Line-Schiffs, Antworten auf die Frage „Wie verarbeiten wir unsere Sinneseindrücke?“ zu finden. Urlaub ist das nur am Rande, vielmehr ein anspruchsvolles geistiges Abenteuer: Studien in James Turrells Lichtkunstpark, Einführungen in Natur-, Technik-, Gesellschafts- und Kunstphilosophie, Denkarbeit in der Schiffsbibliothek.
– Helmut Stubbe da Luz