HOHE LUFT
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Selbst gemachtes Glück

Rucksack auf und los. Sechs Monate reist unser Redakteur Robin Droemer durch die Welt, auf der Suche nach dem Glück. Von Israel aus geht es nach Südostasien, China, Japan, Amerika und Mittelamerika.

Der Hobel wird mit Bedacht gesetzt. Stück für Stück hackt sich das Metall in das Holz. Späne rieseln auf den staubigen Boden.

Es ist mein zweiter Tag in Tel Aviv. Eigentlich sollte ich am Strand liegen und die Sonne genießen. Stattdessen stehe ich an einer Werkbank und schnitze einen Löffel aus afrikanischem Walnussholz. Die staubige Luft kratzt in meiner Lunge, und natürlich läuft mir brennender Schweiß in die Augen. Ich bin unerwartet glücklich.

Mit den Händen zu arbeiten ist faszinierend. Die Bearbeitung verwandelt schnödes Material in wertvolle Gegenstände und kann sogar glücklich machen. Ein solcher Prozess verlangt geradezu nach philosophischer Reflexion. Ein Selbstversuch.

Ellies Nasen-Piercing wackelt leicht, wenn sie lacht, und Ellie lacht gerne. Die fröhliche Kanadierin ist eine der Besitzerinnen der Werkstatt “Hastudia”, was übersetzt “das Studio” bedeutet. Dabei ist Hastudia in Wahrheit ein echter Do-it-Yourself- Tempel. Von Stichsäge bis Nähmaschine findet sich hier alles, was das Bastler-Herz begehrt. Das Prinzip ist einfach: Man bezahlt eine kleine Gebühr und kann dafür den ganzen Tag nach Lust und Laune hämmern, bohren, werkeln und wurschteln. Die Hausdamen versorgen dabei jeden gerne kostenlos mit Tee und Tipps. Ein Paradies für Kunsthandwerker mit Platzmangel. Ein Rätsel für einen doppelten Linkshänder wie mich. Mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen ist für mich wie in der Wildnis leben: aus der Ferne romantisch, aus der Nähe eine Qual. Allerdings könnte ich einen Löffel wirklich gut gebrauchen. Und Strand gibt es doch überall. Also ab dafür. Ich tausche Badehose gegen Arbeitskittel und mache mich an die Arbeit. Es vergeht etwa eine Stunde, bis ich die Kelle ausgekratzt habe. Zwei weitere Stunden dauert es, Rückseite und Griff heraus zu arbeiten. Eine Sekunde genügt, um die Hälfte der Kelle wieder abzubrechen. Während ich meinen gesplitterten Löffel in eine Art Schnabeltasse mit Stiel umarbeite, bin ich zwar leicht enttäuscht, aber immer noch seltsam beseelt. Dieser Zustand hält an, bis ich nach sechs Stunden schließlich einen leicht verkrüppelten Teelöffel in meinen Händen halte. Zuletzt noch ein wenig Öl auftragen, damit er glänzt. Ich selbst strahle auch ohne Ölung.

Georg Simmel würde sagen, ich hätte den Holzklotz “kultiviert”, also den Wert von etwas Natürlichem durch eigene Arbeit erhöht. Doch warum fühle ich mich selbst so gut dabei? Laut Simmel erkennt man echte Kulturarbeit daran, dass man sie nicht nur an einem Ding leistet, sondern immer auch an sich selbst. Während ich den Klotz in etwas Wertvolleres verwandle, passiert mit mir gleichzeitig etwas Ähnliches. Das Schnitzen initiiert einen Prozess, der nicht nur die Natur ausser mir, sondern auch in mir ergreift. Wenn man sagt, die Arbeit “gibt mir etwas”, ist genau das damit gemeint. Ich schnitze nicht an meinen Löffel, ich schnitze an meinem Sein. Welcher Strandurlaub kann da schon mithalten?

– Robin Droemer

High Air

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